So war es ...

Ich wurde am 4. März 1939 in Ortelsburg, in Ostpreußen geboren. Meine Eltern, die beide aus Heilsberg stammten, waren hier her gezogen, als sie heirateten. 
Zu den wohlhabendsten Familien in der Stadt Ortelsburg gehörten damals wohl die Familien Anders, Fechner und Daum. Daum war der Besitzer der Schloßbrauerei, der Daum'schen Brauerei. 
Aber mein Vater konnte auch recht zufrieden sein. Er war kein armer Mann. Fast jeglicher Luxus, von dem man damals zu träumen vermochte, stand ihm zur Verfügung. Als kaufmännischer Leiter der Daum'schen Brauerei verdiente er gut. Er arbeitete, wenn er nicht gerade auf Dienstfahrt in eine der Brauereifilialen war, im "Kontor". 
Er hatte eine Dienstwohnung, in der er sich mit seiner Frau und uns beiden Kindern, meinem Bruder und mir, wohl fühlen konnte. Es war eine gemütliche Mansardenwohnung mit Bad und WC, Zentralheizung, stets fließendem warmem und kaltem Wasser und einem großen Eisschrank, der jede Woche von der Brauerei aus mit frischen Eisstangen bestückt wurde. Im Wohnzimmer stand ein großer, schwarzer Konzertflügel, auf dem meine Mutter am liebsten Walzermusik oder Operettenlieder spielte. ("Du, du sollst der Kaiser meiner Seele sein!" verband sie in ihrer Erinnerung mit ihrer ersten großen Liebe. Sie durfte ihn nicht heiraten, weil er evangelisch war.) 
In ihrer Freizeit machte die Familie Ausflüge oder Besuchsfahrten zu den beiden Omas nach Heilsberg im schwarzen OPEL P4, auf den mein Vater sehr stolz war. Meine Mutter kränkte ihn einmal sehr, als sie das gute Stück eine "Äppelchaise" nannte. 
Gern segelte mein Vater mit seinem Segelboot auf dem Haussee. Mit einem Freund zusammen hat er stets an Segelbooten herumgebastelt, die ihnen gemeinsam gehörten. Basteln war überhaupt seine Leidenschaft.- Bei Segelregatten hatte er viele Preise gewonnen, aber auch bei Motorradrennen, gegen die meine Mutter immer etwas einzuwenden hatte. - Auch das Angeln war eines seiner Hobbies. Er brachte manchmal mehr Fische heim als seine Familie essen konnte. 
Familie Daum besaß eine Kutsche mit einem Pferdegespann. Da Herr Daum, Vaters Chef, froh war, wenn die Pferde bewegt wurden, durften wir oft Kutsch-Ausflüge machen. Am Sonntag fuhr Opa nicht selten mit uns Kindern und den beiden Söhnen seines Chefs eine Runde um den Großen und den Kleinen Haussee. 

Meine Mutter war eine elegante Dame. Sie zeigte guten Geschmack besonders in allem, was Kleidung, Wohnungseinrichtung oder Handarbeiten betraf. Im Haushalt half ihr stets ein Haus- oder Kindermädchen. - Mit dem Segelboot hatte sie nicht viel im Sinn. Paddeln machte ihr dagegen sehr viel Spaß. Auch war sie eine sehr gute, schnelle Schwimmerin. 

Wenn ich mich recht erinnere, führte zu unserer Wohnung eine ziemlich breite Treppe hinauf. Oben angekommen, stand man vor einer großen Glaswand. Die Türe hier führte in eine geräumige Wohndiele mit einem Korridor zum "Freiboden". 
Im Haus wohnte ganz oben unsere Familie, in der 1. Etage Familie Kraus, im Erdgeschoß Familie Endruweit (?) und in der Kellerwohnung Herr Krupka (?), der im "Betrieb" und in den Dienstwohnungen alles reparierte, was kaputt war, der, wenn es gewünscht wurde, den Christbaum besorgte und vom selbstgezogenen Gemüse, das in der Stadt rar war, anderen etwas abgab. Er war die Hilfsbereitschaft in Person. - Mir hat er einmal die Raucherkarten (Bezugsscheine), die ich irgendwo hintragen sollte und die mir aus der Hand in einen Kellerschacht gefallen waren, von dort wieder herauf geholt. Mein Kinderherz wurde dadurch sehr erleichtert, und der gute Mann blieb in meiner Erinnerung. 

Es war kurz vor Weihnachten 1944, und es herrschte Krieg. Offiziell wurde den Menschen zwar gesagt, daß es keinen Grund zur Beunruhigung gäbe, daß Hitler schon alles im Griff habe, aber die Wirklichkeit sah ganz anders aus. 
 

"In Heilsberg seid Ihr sicherer", meinte mein Vater und brachte seine Familie nach Heilsberg zur Oma, wo sie gemeinsam mit ihr und Hildchen (meiner Tante) und Edeltraud (meiner Cousine), die schon länger hier wohnten (seit mein Onkel in den Krieg mußte), Weihnachten feierten.
Alles, was im Augenblick nicht gebraucht wurde, war verpackt. Alle Kisten waren nach Heilsberg geschafft worden und standen dort verschlossen. (Mein Vater hatte das mit einem Lastwagen der Brauerei veranlaßt.) Doch meine Lieblingsspielsachen wurden ausgepackt: Die große, weiße, hölzerne Wiege mit der Schildkröt-Puppe Gretchen und meine Perlen! In Omas Wohnzimmer durfte ich ein Fensterbrett ganz vollstellen mit den vielen Zigarrenkistchen und Käseschachteln voller Perlen (was damals schon eine Kostbarkeit war). Eine Woche lang habe ich mich hier daran gefreut. 
Dann kam die Nacht vom 1. zum 2. Januar 1945: Entfernte, immer näherkommende Böllerschüsse! Nein, mit einem verspäteten Silvesterschießen, wie zunächst vermutet, hatte das nichts zu tun. Auf! Raus aus den Betten! Schnell anziehen! Aus dem Lautsprecher tönte es: "Heilsberg muß bis spätestens in einer halben Stunde geräumt sein. Dann wird der Übergang über den Schützengraben gesprengt." (Dieser Schützengraben führte am Haus von Oma vorbei.) In aller Eile wurde das Nötigste zusammengerafft, was man eben tragen konnte. "Nein, die Puppe Gretchen muß hierbleiben!" Das war hart... 
Ein letzter Blick durchs Wohnzimmerfenster auf meine Perlen... Ich sehe sie noch heute stehen.

Hinein in den OPEL P4: Mein Vater, meine Mutter, mein Bruder Martin und ich, Tante Hildchen mit Edeltraud und das Gepäck! - Nein, unsere Oma wollte hier nicht weggehen. Sie blieb. 
Doch Stunden später marschierte sie, den Rodelschlitten hinter sich herziehend, nach Braunsberg. Dort wohnten die Schwiegereltern des Sohnes Josef. 
Mit unserem Opel kamen wir zunächst im Schrittempo "recht zügig" voran. Wir fuhren direkt hinter einem Panzer, der eine gute Spur durch den reichlichen Schnee bahnte. Auch wir waren auf dem Weg nach Braunsberg. Doch durch ständige Bombenangriffe konnten wir dann nur noch ganz langsam vorankommen. Bei jedem Angriff verließen wir das Auto und warfen uns neben der Straße in den Schnee. Dabei sagte Tante Hildchen, Edeltrauds Mutter, ganz nebenbei zu meiner Mutter: "In deinem schwarzen Persianerpelz warst du im Schnee überhaupt nicht zu sehen." 
Wieder einmal rief mein Vater: "Alle raus!" und stürzte hinaus. Mutti mit Martin auf dem Arm und Tante Hildchen mit Edeltraud rannten, so schnell sie konnten. Und wer nahm mich mit? Ich blieb einfach sitzen... Unser schwarzes Auto wollten die Russen nicht bombardieren. Aber der Panzer vor uns mußte dran glauben.
Mutti merkte plötzlich, daß der Rucksack mit den Hosen und Unterhosen für Martin in Heilsberg stehengeblieben war. "O mein Gott", jammerte sie, "das Kind erfriert mir ja!" . Martin war dreieinhalb Jahre alt und brauchte noch Windeln. Doch, o Wunder! Von diesem Tag an war Martin trocken. 
Als wir schließlich, ich weiß nicht, ob am selben oder am nächsten Tag, abends, es war schon dunkel, Braunsberg erreichten, war die Wohnung der Familie Hohmann bereits überbelegt. Nun begann unsere Herbergsuche. Doch schließlich wurden wir bei ganz lieben Leuten untergebracht. Dort schliefen wir wie die Heringe in der Dose. Mitten in der Nacht läutete es. Ein Nachzügler kam. Es war meine Oma.

Um am nächsten Tag von Braunsberg aus weiterfahren zu können, brauchten wir nun erst einmal Benzin. Doch es war keines zu bekommen. Also mußten wir unser Auto stehen lassen. Meinem Vater gelang es, einen kleinen Kutschenwagen mit einem Gespann Ponypferdchen zu besorgen, aber unter einer Bedingung. Da er ja Soldat war, (zu dem Zeitpunkt krank geschrieben und deshalb "freigestellt") meinte er, diese Bedingung gewissenhaft erfüllen zu müssen. Er hatte den Auftrag, mit dem Wagen irgendwelche "Versorgungsgüter" an die Front zu bringen. Worum es sich dabei gehandelt hat, weiß ich nicht. Auf jeden Fall brachte er noch seine Familie und Hildchen mit Edeltraud nach Heiligenbeil und fuhr dann weiter, um seinen Auftrag zu erfüllen.

Wir fanden in Heiligenbeil bei einer sehr netten Frau für 10-12 Tage und Nächte Obdach und Verpflegung. Ich war damals sehr krank, hatte Mittelohrentzündung und Vereiterung und hohes Fieber. Aber wir mußten wieder weiter. Meine Mutter setzte mir 5 Mützen auf, und hinaus ging's bei 30 Grad Kälte. Tante Hildchen zog Edeltraud und ihren Koffer auf einem Schlitten, Mutti zog den Koffer, Martin und mich. Der Fluchtweg auf dem Land in westlicher Richtung war durch einen russischen Vorstoß, der Ostpreußen nach Westen hin abriegelte, unmöglich geworden. Die vielen Flüchtlinge, die sich in Heiligenbeil befanden, zogen in langem Treck zum Frischen Haff. Hier reihten wir uns ein, um über das Meer, auf dem zugefrorenen Haff nach Westen zu fliehen. 

Was da am Weg lag!!! Alles, was die Menschen nicht mehr tragen konnten und wollten, ließen sie am Wegrand liegen, Besteck und Geschirr und Taschen und...
Zwischendurch wurden wir Kinder auch auf irgendeinen Leiterwagen, auf dem ein wenig Platz war, gesetzt und durften da ein Stück mitfahren. Die Schlitten wurden hinten an den Wagen gehängt. 
Wie auf dem ganzen bisherigen Weg, brausten auch auf dem Haff immer wieder russische Tiefflieger über uns hinweg und warfen Bomben auf den Treck. Ganze Gespanne versanken mit Pferden und Wagen und Menschen im eisigen Meer. Bei dem strengen Frost, der damals herrschte, fror gleich wieder eine Eisschicht darüber, der man es vor allem nachts nicht ansah, daß sie vielleicht noch dünn war. Einmal wären meine Mutter und Tante Hildchen beinahe auf eine solche Stelle getreten, hätte sie nicht ein Polizist angeschrieen: "Ihr wollt wohl da ersaufen!" (Was wäre aus uns Kindern auf dem fremden Wagen geworden?)

Unsere Oma, und Frau Hohmann (Schwiegermutter von Omas Sohn Josef) hatten sich von Braunsberg aus auch mit dem Rodelschlitten auf den Weg gemacht. Sie gingen über das Haff hinüber nach Narmeln auf die Frische Nehrung und da immer am Haff entlang über Kahlberg bis Stutthof. Herr Hohmann blieb in Heiligenbeil. Dort fand ihn eines Tages sein Schwiegersohn, mein Onkel Josef und konnte ihn schließlich dazu überreden, das Haus zu verlassen. Kurz bevor er aufs Haff gehen wollte, wurde er geschnappt und am 9.5.1945 in russische Kriegsgefangenschaft verschleppt, aus der er erst am 30.9.1946 entlassen wurde.

Mutti, Tante Hildchen und wir Kinder gingen in Kahlberg "an Land", um etwas zum Essen und Trinken zu kaufen. Dort war ein Bäckerladen, vor dessen Tür eine lange Schlange wartender, hungriger Menschen stand. Die Bäckersfrau ließ immer wieder einige herein, schloss die Türe zu, während sie bediente, und ließ dann die einen wieder hinaus und die Nächsten herein. Als wir gerade im Laden standen, noch ehe wir dran waren, schaute meine Mutter zufällig durch die Glastüre hinaus und sah meinen Vater mit dem Pferdegespann langsam im Treck vorbeifahren. Sie schrie wie eine Verrücktgewordene: "Mein Mann! Mein Mann! Lassen Sie mich raus!" Die Bäckersfrau schloss tatsächlich sofort auf. Mutter rannte Vaters Wagen nach, und so hatten wir uns wieder gefunden. Welch unfassbares Glück in all dem Elend! Mutti und Tante Hildchen konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Endlich durften sie sich wieder auf den Wagen setzen.
Bevor wir Kahlberg verließen, hat Vater meiner Ohren wegen fast eine Apotheke gestürmt. Da diese geschlossen war, schlug er so lange und heftig gegen die Tür und das Fenster, bis der Apotheker Angst um seine Scheiben bekam. (Vati hätte sie sonst vielleicht wirklich eingeschlagen.) Er öffnete und gab uns sehr gute Medizin für mich, worauf es mir bald besser ging.
Weiter ging's. Am Weg stand ein Kinderwagen, in dem ein erfrorenes Baby lag. Ich stieß Mutti an: "Schau!"- "Nein", sagte sie "schau nicht hin!" - An einer Böschung waren große Blutlachen im Schnee. (Noch nach Jahren habe ich immer wieder davon geträumt.) 

Langsam bewegte sich der Treck nach Stutthof. Mutti und Tante Hildchen stellten sich wieder zum Einkaufen an. Dabei trug Tante Hildchen, die sehr groß war, ihre Edeltraud auf den Schultern huckepack. Edeltraud konnte also über alle Leute drüberschauen und auch von allen gesehen werden, auch von Oma und Frau Hohmann, die hier ebenfalls gerade einkaufen wollten. Kaum zu glauben, wir hatten uns alle wieder gefunden. Und das in einer nicht überschaubaren Menschenmenge!
Warum war mein Vater überhaupt wieder zu uns gekommen? Ein höherer Offizier hatte ihn, der in Uniform war, angehalten und nach seinem Vorhaben befragt. Als Vati ihm seinen Auftrag nannte, sagte der Offizier: "Mensch, Sie sind wohl lebensmüde! Geben Sie her (was er zu transportieren hatte), drehen Sie um und machen Sie, dass Sie Richtung Westen kommen!" - Kein Auftrag wäre meinem Vater lieber gewesen als dieser. Von nun an trug er keine Uniform mehr. Er wickelte sich in seinen dicken russischen Pelz und setzte eine riesige Pelzmütze auf. Er kam daher wie ein alter, dicker Opa (mit 39 Jahren).

Mit dem Wagen und den Pferdchen ging's nun weiter Richtung Danzig. Von Danzig aus wollten wir versuchen per Schiff weiterzukommen. Mutti und Tante Hildchen gingen - mit Zigaretten zur Bestechung (woher sie diese in größeren Mengen hatten, weiß ich nicht) - zum Hafen. Sie wurden zum Freihafen geschickt. Vor Anker lag ein großes Lazarett-Schiff, die Gustloff. Mit diesem Schiff wollten wir mitfahren. Der Kapitän des Schiffes empfing die beiden Damen persönlich, die in Pelzmäntel gekleidet trotz aller Strapazen immer noch recht vornehm wirkten, und war sehr höflich und freundlich. (Wie hatten sie's nur angestellt, überhaupt so weit zu kommen?)
Doch der Herr Kapitän musste leider bedauernd ablehnen, da sein Schiff schon jetzt zu "so und so viel Prozent" überladen sei. Aber es fahre zur Begleitung ein kleiner Tanker (ein Torpedosuchboot) mit, dessen Kapitän er sehr gut kenne. Sie sollten ihm einen schönen Gruß ausrichten und in seinem Namen bitten mitgenommen zu werden. Sie müssten sich sehr beeilen, da noch am selben Abend abgelegt werden sollte... Und wie sie sich beeilten!
Dieser andere Kapitän war ein brummiger Kerl. Der hätte uns ohne die gute Empfehlung niemals mitgenommen. So aber konnten wir bei einsetzender Dunkelheit (es durfte nicht auffallen und von anderen bemerkt werden) an Bord gehen. Wir, das waren mein Vater, meine Mutter, Martin und ich, Tante Hildchen mit Edeltraud, Oma und Frau Hohmann. Unsere Koffer waren groß, sehr voll und sehr schwer. Vor allem Frau Hohmanns Koffer war von einer Frau allein gar nicht zu heben. So schwer war er. Sie hatte zu Hause eine Metzgerei, und der Inhalt ihres Koffers war entsprechend.
Beim Betreten des Schiffes wurden uns unsere Koffer freundlicher Weise gleich abgenommen und in einen "verschlossenen, sicheren Raum" gebracht. Außer der Schiffsbesatzung und uns waren nur noch wenige Leute an Bord. Das war Ende Januar 1945.

Ein paar Tage (wie lange genau, weiß ich nicht mehr) fuhren wir neben der großen Gustloff her. Mein Vater und ich standen oft an der Reling, während die anderen alle seekrank in der Kajüte lagen, und bestaunten das schöne Schiff mit den vielen Menschen an Bord. 
Wir befanden uns vor Stolp, es war am 30. Januar 1945. Die Gustloff wurde von russischen U-Booten in der Dunkelheit torpediert. Dabei fiel auf der Gustloff die gesamte Stromversorgung aus. Wie lange es dauerte, bis das Schiff - plötzlich wieder hell erleuchtet - ganz schnell in den Fluten versank, weiß ich nicht mehr. Mein Vater und ich standen wieder an der Reling. Er hat mit seinen Händen mein Gesicht von der Gustloff und den schreienden Menschen im Wasser weggedreht und an sich gedrückt. " Schau nicht hin!", rief er mir ins Ohr. Es war ja fast nichts zu verstehen. Ein großes Brausen habe ich irgendwie in Erinnerung. Auch meinte ich, das plötzliche Licht auf der Gustloff sei Feuer. (Von diesem Bild habe ich später immer wieder geträumt.) 
Das Schiff ging mit 6000 Menschen, Flüchtlingen und Soldaten, unter.
(Unser "Begleitboot" war ja eigentlich ein Torpedosuchboot. Aber die entsprechende Technik war ausgefallen, und die Besatzung unseres Bootes, das in diesem Augenblick einige Meter vorausgefahren war und erst wieder zurückfahren musste, hat den Zwischenfall nicht sofort bemerkt. Und die Gustloff konnte nicht mehr funken.)
Kaum wage ich daran zu denken, daß wir eigentlich mit diesem Schiff mitfahren wollten.
(Im Fernsehen wurde zu diesem Thema ein Film ausgestrahlt: "30. Januar 1945 - Der Tag, an dem die Gustloff sinkt"..)

Hier auf unserem kleinen Tanker ( er hieß wohl "Löwe") feierte ich, 
am 4. März, meinen Geburtstag mit ein paar Rippchen Schokolade und einem Krapfen aus der Schiffsküche. (Was die hier für gute Krapfen backen konnten!) 
Nach ein paar Tagen gingen wir in Svinemünde von Bord. Als uns dort unsere Koffer ausgehändigt wurden, rief Frau Hohmann: "Kinder, mein Koffer ist leer!" Auch alle anderen Koffer waren "erleichtert" worden. Das waren wohl jene besagten "Ratten", von denen ein Schiffsjunge einmal erzählte.

Von nun an ging's weiter Stück für Stück im Zickzack-Kurs per Eisenbahn "Richtung Süden" . Oft warteten wir in dunklen Bahnhofs-Warteräumen. Muttis Brautkerze, die die "Ratten" uns gelassen hatten, tat da manchmal gute Dienste. 
An jeder Zughaltestelle war das Wichtigste nach Essen auszuschauen. Dank der Essensausgaben, die das Rote Kreuz oder die Caritas an vielen Orten eingerichtet hatten, mussten wir nicht ganz verhungern, obwohl wir wohl immer hungrig waren.- Wir hätten gar nicht gewusst, womit wir unser Essen holen sollten, hätte uns nicht in Heiligenbeil jene hilfsbereite Frau zum Abschied einen Kochtopf, einen Esslöffel, eine emaillierte Milchkanne und eine Kaffeekanne aus bemaltem Porzellan geschenkt. Mit dem Kochtopf also holten wir das Essen für acht Personen. Mit dem Löffel aßen wir abwechselnd und in der Milchkanne hat mein Vater immer wieder vorne auf der heißen Lokomotive Schnee geschmolzen, damit wir etwas Wasser hatten. 
Irgendwann trennten sich unsere Wege. Frau Hohmann wollte nach Mockersdorf zu ihrer Tochter Erna. 

Auf unserer Fahrt gen Süden hatten wir eines Morgens Aufenthalt in Erfurt. Wir saßen in einem vollgestopften Zugabteil. Da kam eine Frau, schaute sich in unserm Abteil um, sah meinen Vater und die Oma und schrie: "Oma und Opa müssen raus!" Es reagierte aber niemand darauf. Nachdem sie das Abteil verlassen hatte, schrieb sie mit weißer Kreide außen an den Zug: "Abteil für Mutter und Kind!" Kaum war dies geschehen, kam ein Fensterputzer (diesen Luxus gab's noch in jenen Tagen), wusch die Fenster und diese Schrift wieder ab. Ich weiß noch gut, wie wir damals gelacht haben. Leider gab es nicht oft was zum Lachen, so dass sich das Wenige eingeprägt hat.

Als Ziel unserer Flucht hatten wir uns Planegg bei München gedacht. Dort wohnten Tante Hildchens Geschwister mit ihrer Mutter. Doch als wir nach Planegg kamen, lag das ersehnte Haus in Trümmern. Es war einem Bombenangriff zum Opfer gefallen. Tante Hildchens Mutter wohnte nun bei Nachbarn. Tante Hildchen konnte dort vorübergehend unterkommen und auch wir für ein paar Tage.
Meine Eltern gingen am nächsten Tag in München zu einer Behörde wegen Unterkunft für fünf Personen. Das war in den letzten Märztagen des Jahres 1945. Diese Behörde schickte uns nach Aichach. Also marschierten Vater und Mutter zu Fuß los nach Aichach. Dort angekommen, erfuhren sie, dass sie in Gundelsdorf eine Wohnung bekommen sollten. Sie machten sich wieder auf den Weg nach Planegg, um uns nach Gundelsdorf zu holen. Und damit ihnen der Weg nicht "allzu leicht" fiel, kauften sie in Aichach eine schwere Steinplatte mit folgendem Spruch:

"Du bist a liabs Diandl,
aber jetzt bist ma Wurscht,
i iß z'erst mein Radi
und still z'erst mein Durscht."

Diese Platte erschien ihnen so einmalig und ihrem Wesen so entgegengesetzt und deshalb so originell, dass sie sie unbedingt mit nach Ostpreußen nehmen wollten, wohin sie ja demnächst wieder zurückzukehren glaubten. Also taten sie sich auch diese Strapaze noch an.
Alle fünf Familienmitglieder fuhren mit dem Zug von Planegg nach Aichach. Zusammen mit einer Familie aus Schlesien waren wir die ersten Flüchtlinge im Kreis Aichach. In der Aichacher Turnhalle blieben wir eine Nacht. Von Aichach aus fuhren wir zu unserm Ziel, nach Gundelsdorf, hinten auf dem Milchauto (einem Holzvergaser-Lastwagen) sitzend, vorbei an vielen Haltestationen, an denen leere Milchkannen abgeladen wurden. 
Dieses Milchauto war damals die einzige Möglichkeit von den Dörfern in die Kreisstadt und wieder zurück zu kommen. Dabei saß man hinten auf der offenen Ladefläche des Holzvergasers auf den Milchkannen und hatte große Mühe auf dieser kurvigen Strecke die Balance zu halten. Auch dauerte jede Fahrt mehrere Stunden, da der LKW nicht den kürzesten Weg wählte, sondern über unzählige kleine Dörfer fuhr, von denen aus er die vollen Milchkannen nach Aichach und die leeren wieder zurück bringen musste.
In Gundelsdorf angekommen, zeigte man uns den Weg zum Bürgermeister. Der empfing uns höflich und reserviert freundlich. Im Ort selber aber hatte er kein Quartier für uns, die ersten Flüchtlinge in diesem Dorf.

Koppenzell im Landkreis Aichach

Eineinhalb Kilometer von Gundelsdorf entfernt lag der Einödhof Koppenzell. Mit der Bäuerin dieses Hofes hatte der Bürgermeister Streit. Da tat es ihm gut, dieser Frau eins auswischen zu können, indem er uns auf ihren Hof schickte. Er stellte uns einen Leiterwagen mit einem Pferdegespann zur Verfügung. Ein Knecht mußte uns mit unseren paar Habseligkeiten nach Koppenzell bringen. Uns war alles recht. Wir wollten nur endlich zur Ruhe kommen.
Am 1. April 1945 kamen wir gegen Mittag im hellen Sonnenschein auf einem Leiterwagen sitzend in Koppenzell an. Dies war ein großer Bauernhof. Aber wir wurden nicht etwa ins große Bauernhaus, ins Wohnhaus geführt. Nein, auf der linken Seite des Hofes zwischen Wagenremise und Geräteraum war ein Gebäude mit zwei "Wohnungen". Die Räume (in der Familienchronik eingezeichnet und nummeriert) Nr.3 und 4 wurden bereits seit einigen Wochen von Frau Hofmeier mit ihren beiden schon etwas größeren Kindern bewohnt, da sie in München ausgebombt worden waren. Die Räume Nr.1 und 2 bekamen wir. Zuerst betrat man den Raum Nr.1 mit Fliesenboden, altem Herd und etwas Stroh. Von dort gelangte man in den Raum Nr.2 mit kaputtem Bretterboden und Loch in der Decke, durch das man das Heu vom Dachboden oben heruntergezogen hat. Etwas Heu und Stroh, das war alles in diesem Raum. Das konnte man aber beim ersten Betreten dieser Räume fast nicht sehen. Man konnte es nur erahnen durch das wenige Licht, das durch die Ritzen der Pappe, die an die Fenster genagelt war, hindurch drang. Glasscheiben gab's hier wohl schon lange keine mehr. Auch Türschlösser fehlten. Man hängte die Türe mit einem Schnürlein an einen Nagel an. 
Ach ja, eine Beleuchtung für diese beiden Räume gab's auch. In die Wand, welche die beiden Räume - Zimmer konnte man sie ja kaum nennen - von einander trennte, hatte man oben an der Decke ein Loch geschlagen und eine ganz schwache Glühbirne hineingehängt. (Für uns war das nur pro forma, wie sich schon bald zeigte. Denn abends, wenn in den übrigen Wirtschaftsräumen dieser Hofseite kein Licht mehr benötigt wurde, schaltete die Bäuerin vom Wohnhaus aus den Strom ab. Wozu hätten wir auch Licht gebraucht? Beten konnten wir auch im Dunkeln.)

Ach wäre doch einer an diesem 1. April gekommen und hätte gerufen: "April, April! - Alles nur ein Traum!" Aber es war kein Traum. Es war traurige, düstere Wirklichkeit.
"Mutti, wohin soll ich mich setzen?" fragte ich. "Setz dich auf den Fußboden!" antwortete Mutti mit erstickter Stimme und Tränen in den Augen. "Lass man gut sein, Käthe," meinte Oma "wir gehen doch bald wieder nach Haus!" Diese Hoffnung ließ sie aufrecht stehen und nicht verzweifeln.
Irgendwoher bekamen wir in den nächsten Tagen ein Bettgestell und ein paar Wolldecken. In dieses Bett kam viel Stroh. So hatten Oma und ich in der Küche unsere Schlafgelegenheit. Vati, Mutti und Martin lagen in dem anderen Raum auf dem Fußboden auf Stroh. 
Unser Klohäuschen stand einige Meter außerhalb des Hofes, Richtung Wald... 

Wir wohnten erst ein paar Tage hier, da rief Frau Hofmeier, die durch ihre Fenster nach Süden zum Hof hinausschauen konnte: "Frau Skirde, da kommt einer. Der sieht aus, als wäre er Ihr Bruder!" Und wirklich, es war Onkel Arthur. Er kam aus russischer Kriegsgefangenschaft und hatte auf der vergeblichen Suche nach seiner Familie uns gefunden. Seine Anlaufstelle war auch Planegg gewesen. Von dort war er zu uns geschickt worden. Wo sollte er nun hingehen. Er blieb bei uns. Also waren wir nun sechs Personen. Er schnitzte für uns verschiedene Löffel, einen Fleischklopfer, einen Kartoffelstampfer und einen Topfdeckel. Er half uns im Kampf gegen die vielen Mäuse in unserer Wohnung. 
Der ältere der beiden Söhne der Bäuerin war aufgeschlossen und hilfsbereit. Er lieh meinem Vater und Onkel Arthur einiges Werkzeug, so dass diese unsere ersten Möbel bauen konnten. Der erste Stuhl aus Birkenästen hat jahrelang gute Dienste getan.
Weniger entgegenkommend war dieser Sohn des Hauses uns Kindern gegenüber. Wir haben ihn wohl gestört. Eines Tages entdeckten Martin und ich im sog. Geräteraum einen Stapel kleiner Fliesen, etwa 6 cm x 6 cm groß. Wir, die wir kein einziges Spielzeug besaßen, waren außer uns vor Glück, solche Bausteine gefunden zu haben. Eine solche Freude hatten wir schon lange nicht mehr erlebt. Doch sollte sie nicht lange währen. Der junge Bauer hatte uns und unser "Spielzeug" gesehen. Er hat uns rausgeschmissen und angeschrieen, als hätten wir das größte Verbrechen begangen. Ich glaubte ihm das sogar und hatte deswegen lange Zeit Schuldgefühle. Diesen Raum habe ich nie mehr betreten. 

Meine Eltern und die Oma mussten auf dem Bauernhof mitarbeiten. Dafür bekamen sie etwas zu essen und freies Wohnen. Oma schlich sich alle Tage ganz früh aus unserem gemeinsamen Bett, um zum Melken zu gehen. Ihr machte das nichts aus. Sie war in der Landwirtschaft aufgewachsen. Doch was war das für meine Eltern? -
Es fehlte uns an allen Enden. Wir hatten wenig zum Essen und Trinken. Oma machte Kaffee aus getrockneten, gerösteten und dann gemahlenen Rübenschnitzeln. Aufs Brot wurde Sirup gestrichen, den Oma aus Zuckerrüben bereitete. Aus Milch, die sie alle Tage fürs Melken bekam, machte sie Käse. Käse und Pellkartoffeln, Pellkartoffeln und Käse waren herrliche Mittagessen. 
Vor allem für uns Kinder fehlten Kleider. Wir hatten auch kaum Geschirr oder Schüsseln. Frau Hofmeier,die ausgebombte Frau aus München, die selbst nicht viel hatte, schenkte uns Besteck und sonst noch einiges von ihrem Wenigen. 
Vater hatte eine Aktentasche auf die Flucht mitgenommen, die er stets bei sich trug. Alles, was da drin war, war ihm geblieben, vor allem Papiere, seine Orden und ein guter Fotoapparat. Diesen Fotoapparat verkaufte er einem Amerikaner für Geld und Lebensmittel (was für uns fast so viel wie heute "sechs Richtige im Lotto" bedeutete). Aber auch davon konnten wir nicht recht lange leben.
Mein Vater machte sich von nun an (immer, wenn er auf dem Hof entbehrlich war) auf den Weg in die umliegenden Dörfer. Auf dem Rücken hatte er einen großen Rucksack mit etwas Werkzeug, das er sich gekauft hatte. Er ging von Haus zu Haus und bot seine handwerklichen Dienste an: Er reparierte alte Nähmaschinen, Waschzuber aus Holz, Gartenzäune, Schuhe, Möbel und was sonst anfiel. Er schnitt Obstbäume und schliff Scheren, war gar manchem sympathisch, hörte dessen Geschichte an und erzählte aus seinem Leben. - Wenn er abends heimkam, war der Rucksack oft, aber nicht immer gefüllt mit Lebensmitteln wie Speck und Eier, Brot und Schmalz, Mehl und Butter und Zucker, einem Stückchen Stoff und anderen notwendigen Dingen. Manchmal brachte er auch etwas Geld oder ein paar Bretter und Nägel mit. - Er versuchte auch Arbeit in seinem erlernten Beruf zu finden. Aber in allen Brauereien wurde er abgewiesen. Einmal sagte man's ihm: "Einen Preußen wollen wir nicht."
Wie hatte sich doch die Welt verändert! In Ortelsburg das wohlgeordnete, sorgenfreie Leben und nun diese Armut und Not!

Onkel Arthur hatte sich bei seiner Ankunft beim Roten Kreuz gemeldet. Über das Rote Kreuz hat ihn dann schließlich seine Familie gefunden, zu der er sofort zog. 
Im Herbst 1945 kam ich in die Schule. Viele Erlebnisse auf meinem Schulweg nach Gundelsdorf sind mir in Erinnerung geblieben. - Zum Schulbeginn hatte ich ein rotgrundiges Kleid mit weißen Blümchen bekommen. Ich trug es im Herbst und im Frühjahr alle Tage, bis die Farbe durch die Sonne ganz verblichen war. Mutti kaufte Stofffarbe und färbte das Kleid. Es war nun ganz rot. Als mich einmal auf dem Heimweg von der Schule ein Gewitterschauer überraschte, war auch ich anschließend ganz rot...- 
Die Sandalen, die ich auf meinem Schulweg trug, hatte mir mein Vater aus seiner alten Aktentasche genäht. 

Frau Hofmeier hatte einen Volksempfänger. Den dazugehörigen Kopfhörer lieh sie uns. Wir hängten ihn in der Küche an die Wand und verbanden ihn durch ein langes Kabel, das wir in die Wohnung von Frau Hofmeier führten, mit dem Radio. Immer, wenn der Radioapparat eingeschaltet war, hatten auch wir Verbindung mit der großen, weiten Welt. Als durch diesen Kopfhörer die Nachricht vom Ende des Krieges kam, am 8. Mai 1945, war unsere Freude groß. Die Rückkehr in die Heimat würde ja nun bald möglich sein!

Inzwischen waren in Gundelsdorf viele Flüchtlinge aus dem Sudetenland eingetroffen. Deshalb gab es hier auch eine Flüchtlingsobmännin, die in Gundelsdorf wohnte. Mutti, die ständig auf der Suche nach einer Wohnung war, verstand sich mit ihr recht gut. Und als diese im Herbst 1946 wegzog, bekamen wir ihre Wohnung in Gundelsdorf Nr.47. 
Das Haus hier war groß und alt. Es war früher einmal die Station der Postreiter und Postkutschen auf dem Weg von Neuburg nach Augsburg gewesen. So wie früher, als es erbaut wurde, war es auch im Jahre 1946 noch ohne Wasser und Strom. Vor dem Haus war zwar der alte Brunnen. Aber er war versiegt. 
In diesem Haus wohnten die Familie Pfleger mit fünf Personen, die Familie Schreier mit drei Personen, wir mit fünf Personen und die "Hausfrau", das Fräulein Maria Mayer, die allerdings nur zum Schlafen in ihr Zimmer kam und während des Tages bei Verwandten arbeitete. - Die Küche stand allen gemeinsam zur Verfügung, was stets zu Reibereien führte. Oma und ich schliefen bis 1948 nicht hier im Haus. Wir gingen jeden Abend in ein Nachbarhäuschen, zu einer alleinstehenden Dame, die dadurch sehr eingeengt wurde, da das Häuschen nur zwei Zimmer und einen Hausgang mit Kochgelegenheit und Wasser hatte. Hier durften wir nur schlafen. Es war dort nichts von uns, kein Schrank, nichts.
Wenn die drei Familien Wasser brauchten, mussten sie das bei den verschiedenen Nachbarn holen, die immer wieder seufzten: "Braucht ihr aber viel Wasser!" 
Damit ich am Weißen Sonntag zur Erstkommunion weiße Schuhe bekommen konnte, welche eine Nachbarin noch von ihrer verstorbenen Tochter besaß, hat mein Vater bei einem Bauern Obstbäume geschnitten und dafür Butter und eine weiße Kerze bekommen. Die Butter wurde eingetauscht gegen die weißen Schuhe. 

Meine Mutter hatte inzwischen Heimarbeit gefunden. Sie nähte für die Kleiderfabrik Walter in Aichach und das bei Kerzen- und später bei Petroleumlicht. Dabei nähte ich manchmal die Knöpfe an, und Vater machte meistens die Knopflöcher. 
Eben in dieser Kleiderfabrik Walter in Aichach fand Vater Arbeit als Nähmaschinenwart und "Mädchen für alles", zeitweise auch als Zuschneider. Das ging so bis April 1948. Die Firma Walter in Aichach hatte aufgehört, war pleite gegangen. Vater bekam Stempelgeld.
 

Die Familien Pfleger und Schreier waren ausgezogen. Nun hatten wir Platz im Haus. Meine Eltern eröffneten hier einen Gemischtwarenladen. In der Zeit, in der wir den Laden einrichteten, haben wir uns außer Brot kaum etwas gekauft. Wir lebten von unseren Hasen (über 50 Stück). Es gab Hasenfleisch, Hasenschmalz und Geld vom Hasenfell. Dieses Geld und das Stempelgeld wurde fast ganz für Bretter, Nägel, Farben und ähnliches ausgegeben. 
Nachdem der Laden, nach der Währungsreform, eröffnet worden war, stand die ganze Familie von morgens bis abends im Einsatz. Auch für mich blieb zum Spielen nicht viel Zeit. Es war ein hartes Geldverdienen. Doch Geld wurde gebraucht, ab 1951 und 1953 auch, um die Internate für mich und Martin zu bezahlen. 
Es war immer wieder ein Kampf ums Überleben. Wenn ein Auto gekauft werden musste, das Vati brauchte, um mit Waren "über Land" fahren zu können, mussten Schulden gemacht und wieder abgezahlt werden.
Als Vater einmal seine Mutter in Augsburg mit seinem Auto vom Zug abholte, rief diese erstaunt: "Du bist ja richtig wohlhabend. Hast ein Auto mit vier Rädern! Ich hatte höchstens mit drei gerechnet."

Das Leben war recht spartanisch, auch für meinen Bruder und mich in den Internaten. Um das geringe Taschengeld ein wenig aufzubessern, gab ich viele Nachhilfestunden...
Nach dem Abitur studierte ich an der Pädagogischen Hochschule in Eichstätt und wurde Lehrerin.
Ich heiratete meinen Mann, Bernhard Eder.
Nach einigen "Zwischenstationen" landeten wir in Dollnstein, dem Geburtsort meines Mannes, wo wir uns ein Haus bauten, ein Nest für unsere vier Kinder.