Keine Alternative zum Frieden |
Ich wurde im Juni 1928 in der Paulstrasse
geboren. Es war eigentlich eine sehr ruhige Strasse. Meine erste
Bekanntschaft mit den Nationalsozialisten machte ich als Kind von
ca. 5 Jahren, als ich abrupt von meiner Mutter von der Strasse
geholt wurde.
Denn es kam ein LKW mit laut grölenden und singenden Männer
die Strasse Richtung Neue Strasse hochgefahren. Diese waren SA
Leute (Schlägertruppe), wie ich durch Erwachsenengespräche
erfahren konnte.
Diese Leute sollen auch in der Neuen Strasse von jüdischen
Bewohnern Betten usw. rausgeschmissen haben. Habe da aber nur
eine schwache Erinnerung davon. Aber dieses Rollkommando habe ich
wie heute noch in der Erinnerung. War wohl der Schreck oder die
Angst als Kind. Weitere Entwicklungen bekam ich als Kind auch
nicht mit. Vater und Mutter hatten meistens Arbeit, und so ging
es uns auch wirtschaftlich entsprechend gut. Politisch war keiner
von den beiden besonders interessiert. Später zogen wir in die
Bismarkstrasse, von da aus in ein mit Eigenleistung gebautes
Doppelthaus in die Deckerstrasse. Als ich ca. neun Jahre alt war,
kam ich in die DJ
(Deutsches Jungfolk). Zuerst war dieses mehr
freiwillig und brachte sogar Spass. Wir hatten uns im Süden von
Westerland in einem ehemaligen Bunker aus dem ersten Weltkrieg
eine Art Heim eingerichtet. Das ganze war mehr so richtig nach
Pfadfinderart gehandhabt. Etwas später, ca. 1938-39 kam dann
immer mehr Zwang hinein. Ich erschien immer in Zivil zum Dienst.
Denn ich bekam und bekam von Zuhause einfach kein Braunhemd mit
Schlips und Knoten gekauft (Geld war auch knapp). Aber man konnte
zum Aussenseiter werden,wenn man da nicht mitmachte. Das wollte
ich zu der Zeit auch nicht. Denn zu alternativen Denken wurden
wir nicht erzogen.
So bekam ich dann eines Tages von meiner Grossmutter das gewünschte
Hemd (Fünf Reichsmark zu der Zeit). Mittlerweile hatte uns die
DJ so im Griff mit Mittwochs und Sonntagsdienst. Laufend Sport
usw. Und immer im militärischen Stil. Auch die Schleiferei
gefiel mir in dem Stil nicht.
Aber andererseits waren wir in diese Entwicklung reingewachsen
und fanden uns damit ab. Ich fehlte schon mal beim Sonntagsdienst.
Auch schon mal dreimal hintereinander. Das hiess zu der Zeit
eigentlich: Wochenend-Jugendarrest Flensburg. Zuerst musste
ich, wenn ich dreimal hintereinandergefehlt hatte, zur Kripo. Da
wurde ich dann zusammengestaucht. Der Kripobeamte(Konrad) hatte
es aber irgendwie immer unter den Tisch fallen lassen und deshalb
brauchte ich nie zum Jugendarrest.
Da gab es wohl nichts zu lachen. Ich machte dann auch
einigermassen weiter mit. Die Eltern hatten zu der Zeit auch überhaupt
keinen Einfluss auf diese Dinge. So kam dann, wie wohl für viele
voraussehbar, der 1.September 1939 mit dem Kriegsanfang. Wir
waren, kann ich mich erinnern, zu der Zeit gerade am Strand. Ich
dachte, hoffentlich kommen wir noch heil nach Hause bevor
geschossen wird. Als Kind hatte man eben noch keine Vorstellung
vom Krieg. Am Strand hat sich die Nachricht vom Kriegsanfang wie
ein Lauffeuer verbreitet. Es war auch schon viel Militär zu dem
Zeitpunkt auf der Insel. Trotzdem lief der Kurbetrieb normal
ungestört mit Kurkonzert usw. weiter. Ab und zu hatten wir
Besuch von meinem Onkel. (Bruder meinesVater´s) Der war zu
der Zeit Offizier im Hunderttausendmann Heer. Von Hitler hielt er
aber nicht viel. Sein Eid als Soldat war ihm aber heilig. Das
wusste ich zu der Zeit auch noch nicht. Hätte ich wahrscheinlich
vom Alter her auch nicht begriffen. Wenn es darüber Gespräche
der Erwachsenen gab, passten sie sowieso auf, dass wir Kinder
nichts mitbekamen.
Es gab auch einiges Kurioses zu erzählen. Zum Beispiel, gab
es im Soldatenheim einen Feiertag, wo SA - HJ und alles, was es
sonst noch gab, aufmarschiert war. Dann hiess es: "Präsentiert
die Flaggen!"
Da war H.W. wohl zu übereifrig und stiess den Flaggenmast mit
der Spitze so fest in den Holzbalken, unter dem er mit seiner
Gruppe stand, dass er diesen nur mit Mühe wieder herausbekam.
Das sah so lustig aus, dass ich grinsen musste. Dabei wurde ich
erwischt und musste nach der Feier strafexerzieren (bin
geschliffen worden).
An etwas ähnliches kann ich mich noch erinnern. Inzwischen
war ich von der HJ (Hitlerjugend) übernommen worden. Es war ein
grösserer Aufmarsch an dem Tag von HJ und DJ. Wir marschierten
vom Bahnhof Westerland los und wurden von einem grösseren
Musikzug angeführt. Ganz vorne an der Spitze lief der
Tambourmajor H.Br. (Sehr eifrig in seinem Amt). Wir sollten laut
Marschbefehl hinter dem Hotel
"Deutscher Kaiser" (heute Kaisers Kaffee Geschäft)
rechts in Richtung Norden (Rathaus) abbiegen. Was wir
einschliesslich Musikzug auch taten!
Nur der Tambourmajor hatte wohl nicht richtig zugehört.
Dieser marschierte statt nach rechts, alleine geradeaus die
Friedrichstrasse hoch. Irgendwann hat er es dann auch gemerkt.
Lustig war auch dieses, nur gelacht haben wir erst später darüber
! Unser Vater wurde gleich am Anfang des Krieges eingezogen. Es
hat sehr viel Tränen beim Abschied gegeben. Wir sind drei
Geschwister. Wenn mein Vater auf Urlaub war, sagte er immer zu
mir: "Wenn du dich freiwillig zum Militär meldest, fliegst
du Zuhause raus!" Solche Bemerkungen haben damals schon
gereicht, um ins KZ
(Konzentrationslager) zu kommen. Die Soldaten, die
fern der Heimat waren, wussten auch nicht, was so in der Heimat
politisch vor sich ging. Ich hatte schon als 15 jähriger meinen
Wehrpass als Kriegsfreiwilliger. Wir wurden so darauf
gedrillt,uns freiwillig zu melden, dass uns gar nichts anderes übrig
blieb.Was es hiess Frontsoldat zu sein, mit all seinen grausamen
Erlebnissen, sollteichspäter auch noch erfahren.
Zwei, eigentlich drei Begegnungen, mit Hermann
Göring hatte ich auch.
Ich mag etwa zwölf Jahre alt gewesen sein. Wir waren mit
mehreren Kindern in der Nähe vom Hotel "Miramar". Da
hiess es: Hermann Göring kommt zum Strand und wird hier am
Strandübergang Friedrichstrasse aussteigen. Wir waren natürlich
neugierig und wollten ihn sehen.
Er kam dann auch mit einem Wagen vorgefahren. Ich stand
ziemlich vorne und wurde soweit von der Menge zum Wagen
geschoben, dass Hermann Göring fast die Wagentür nicht mehr
aufbekam.
Alles schrie: "Sieg heil !" Ich selber war nie für
lauten Jubel. Das hatte zu der Zeit nichts mehr damit zu tun,
dass ich vielleicht ein Gegner, oder Ähnliches, dieser Leute war.
Ich war, wie alle anderen in meinem Alter auch, in diese
Entwicklung reingewachsen und fand diese Welt, wie sie war,
absolut in Ordnung.
Den Marokkaner nannten wir "Olala"
Meine zweite Begegnung mit Hermann Göring war in
Berechtesgaden. Dort war ich für ca. neun Monate am Königssee
mit der KLV
(Kinderlandverschickung). Dieses war mit Schuldienst
verbunden, und natürlich gab es auch jede Menge HJ - Dienst.
Eines Tages, wir hatten Freigang, ich war am Bahnhof von
Berechtesgaden und stand an so einer Art Zeitungsstand in der
grossen Bahnhofshalle. Mit einem Mal sah ich, ich dachte ich
gucke nicht richtig, Hermann Göring eilig und grossen Schrittes
die Bahnhofshalle durchqueren.
Es war noch ein Bayer in der Halle. Dieser rief laut: "Sieg
Heil", als er Hermann Göring sah. Wenn einer in so einer
grossen Halle "Sieg Heil" ruft, klingt das doch recht
komisch. Göring war auf dem Weg zum Obersalzberg. Den
Obersalzberg bekamen wir aber während unseres KLV Aufenthaltes
nie näher zu sehen. Wieder zuhause ging es mit derSchule, HJ-Dienst
usw. wie gehabt weiter. Auf der Insel waren enorm viele Soldaten
und auch Fremdarbeiter für den Bunkerbau und andere
Befestigungsarbeiten verpflichtet worden. Unmittelbar neben dem
Bahnhof (südlich) auf einer grossen Fläche waren Eisenbieger für
den Bunkerbau stationiert. Hier arbeiteten hauptsächlich
Gefangene der italienischen Badoglio-Armee. Diese Strafgefangenen
wurden im wahrsten Sinne des Wortes wie Vieh behandelt! Ich habe
selbst gesehen, wie man diese Leute mit geflochtenen Draht verprügelte.
Wir wurden aber meistens von den Bewachern weggejagt.
Zigaretten und Brot für die Gefangenen
Im Osten von Westerland, Ende Stadumstrasse, war
das sogenannte Arbeitslager.Dort waren auch Italiener, die sich
aber so halbwegs freiwillig in Ihrem Land für Arbeiten in
Deutschland verpflichtet hatten. Denen ging es aber wesentlich
besser als den Angehörigen der Badoglio-Armee.
Diese hatten auch mal die Möglichkeit, im Urlaub nach Hause
zu fahren. Wenn sie aus dem Urlaub wieder zurückkamen, brachten
sie so manche Dinge mit, die es in Deutschland schon lange nicht
mehr gab. Das war wohl auch für einige deutsche Frauen sehr
interessant, soweit ich mich erinnern kann.
Ausserdem waren, soweit ich mich erinnern kann, Dänen,
Niederländer, Belgier und Marokkaner in den Arbeitslagern auf
der Insel untergebracht.
Den russischen Kriegsgefangenen auf der Insel, ging es wohl am
schlechtesten. Das Barackenlager dieser Menschen stand etwa da,
wo heute die Telekom mit dem Funkturm ihren Standort hat. Es mag
auch 100m südlicher gewesensein.Was die Russen so alles machen
mussten, weiss ich nicht mehr so ganz genau.Aber an einige
Gefangene kann ich mich noch gut erinnern, denn sie arbeiteten
bei unserem Kohlenhändler A. Nielsen, der später nach dem Krieg
Bürgermeister der Stadt Westerland wurde. Ich hatte gesehen wie
zwei Russen bei Schnee und eisiger Kälte nur Lappen anstatt
Schuhe an den Füssen hatten. Die brachten mal Kohlen zu uns.
Meine Mutter bat sie, diese im Schuppen auszuschütten. Da lag
ein Haufen Brot für die Hühner, das wir immer bei den Soldaten
holten. Es war steinhart und total verschimmelt. Aber diese
beiden fielen wie Tiere darüber her, so ausgehungert waren sie.
Den Russen etwas zu Essen zu geben war ja streng verboten. Ich
weiss aber, das meine Mutter und eine Nachbarin immer
frischesBrot für die Russen unter dem Ascheimer versteckten. Später,
nach Kriegsende und der Befreiung der Kriegsgefangenen, trafen
die Russen mal meine Mutter amKino.
Sie sind gleich auf sie zugegangen und sagten: "Gute Frau".
Wie schon erwähnt, wenn jemand erwischt wurde, der den Russen
etwas gab, dem war mindestens Gefängnis sicher. Andreas Nielsen,
der Kohlenhändler, hat damals sehr viel riskiert, als er den
Russen so viel geholfen hatte.
Wir Jungs kannten damals einen Niederländer, einen Belgier
und einen Marokkaner etwas näher. Es waren Zivilarbeiter, die
sich auch ein bisschen freier bewegen konnten.
Leider weiss ich die Namen nicht mehr. Den Marokkaner nannten
wir"Olala". Denn immer wenn er irgendwie erstaunt oder
erschrocken war sagte er "Olala". Von nun an hatte er
so seinen Namen weg. Diese drei, vielleicht auch mehr, wurden
eines Tages von der Gestapo abgeholt. Einige von uns, ich auch,
mussten daraufhin zur Gestapo in der Bahnhofsstrasse. Leider
weiss ich heute nicht mehr warum. Man sprach von Sabotage,
glaubte ich aber nicht. Die drei wurden dann im Rathaus für
kurze Zeit in eine Zelle gesperrt. Die Zellen wurden von einer
hohen Mauer zum Hof hin, (heute Hof der Feuerwache) abgegrenzt.Über
diese hohe, halbrunde Mauer haben wir den Gefangenen, weiss ich
noch, mit Wäschestützen Zigaretten und Brot gereicht. Dazu
mussten wir übereinander stehen. Später wurden die
Gefangenen an einen anderen Ort verlegt.
Wir haben niemals wieder von ihnen gehört! Wehe, man hätte
uns dabei erwischt.
Von wegen, "nicht strafmündig". Das gab es in
diesem Sinne nicht. Erziehungsanstalten waren mehr als harte
Schulen. Es ging aber alles gut für uns. Allerdings war zu der
Zeit alles gefährlich, wenn man etwas "Verbotenes" tat.
Denn man konnte nicht mal seinen Nachbarn, Arbeitskollegen,
Freunden, Verwandten, wem auch immer, trauen. Dieses Problem
hatten aber mehr die Erwachsenen. Die Heranwachsenden waren ja in
dieses System hinein gewachsen und kannten es eben nicht anders.
Das wir diesen drei Menschen, soweit es uns möglich war,
geholfen hatten, war wohl unserem Instinkt zuzuschreiben. Denn
wir waren auch noch sehr jung und hatten mit denen nur ein
bisschen angefreundet. Dieser Vorgang war auch einmalig. Wir
haben ähnliches auch nie mehr riskiert. Es gingen auch enorm
viel uniformierte Streifendurch die Strassen.
Es waren auch H- J Streifen dabei. In den Dünen habe ich
oftStreifenvom Zoll gesehen. Es war praktisch alles unter
voller Kontrolle. Wir hatten z.B. den kasernierten
Luftschutzdienst. Die meisten waren unter 18 Jahre alt. Da war z.B.
ein Kaufmann aus der Strandstrasse. Ich glaube, der war Zugführer
oder ähnliches. Wenn man den Mann irgend etwas über die
Luftschutzeinheit (SHD) fragte, war seine Antwort stets:"Geheim!
Geheim !" Nun gab es beim Luftschutz wohl kaum
Geheimsachen. Ansonsten ging es aber streng militärisch
beim SHD zu.
Der "Vollblutsoldat" und der "Musssoldat"
Meine Mutter hatte einmal ein besonderes
aufregendes und gefährliches Erlebnis in der oberen
Friedrichstrasse. Ein grosses Flugzeug, eine HE 111 oder ähnliches,
hatte versucht am Strand notzulanden. Dabei flog es dicht über
die Dächer der Friedrichstrasse hinweg und streifte dabei mit
einem Flügel das Hotel "Miramar". Das Flugzeug ist
dann ins Wasser abgestürzt.
Die Mannschaft ist dabei ums Leben gekommen. Was noch erwähnenswert
ist: Die in den ersten Kriegsjahren angeschwemmten englischen
Seeleute und Piloten wurden mit Ehrensalven beigesetzt. Dieses
war für uns Kinder natürlich interessant, da wir unter anderem
die leeren Patronenhülsen sammeln konnten. Der Ehrensalut wurde
von Luftwaffensoldaten gefeuert. Später, als man anfing die Städte
zu bombardieren, hörte diese Art von Beisetzungen auch auf. Noch
ein erwähnenswertes Erlebnis hatte ich in der Nähe der
Hauptwache zum Fliegerhorst. Diese war unmittelbar am heutigen, nördlichen
Friedhofseingang. Wir hatten da in der Nähe auch unser
Elternhaus. Mein Vater hatte gerade seinen Fronturlaub. Er lag zu
der Zeit mit seiner Einheit vor Leningrad. Wir spielten in der Nähe
der Flugplatzwache. Da kam ein HJ - Führer mit ein paar Mädchen
des Weges. Weil ich ihn nicht grüsste, rief er mich zu sich. Er
hat mich dann so richtig runtergeputzt. So etwas musste man
erlebt haben ! Die Vorgehensweise lässt sich nicht überliefern.
Ich ging nachHause und erzählte diesen Vorfall meinem Vater. Zufällig
kam auch noch dieser HJ - Führer mit den Mädchen an unserem
Haus vorbei. Mein Vater bekam so einen Wutanfall und stürzte auf
diesen, nicht Gegrüssten zu, das ich dachte, den prügelt er
wohl durch. Aber zum Glück, für meinen Vater, tat er dies
nicht, sondern schimpfte ihn, im wahrsten Sinne des Wortes,so
richtig aus. Er wäre ein "Rotzbengel" usw. Hätte
dieser HJ- Führer meinen Vater angezeigt, hätte es für ihn bös
aussehen können, obwohl er Frontsoldat war. Aber gerade weil er
ander Front so viel gesehen hatte und nun dieses Zuhause erleben
musste, war er wohl so erbost. Mein Vater hatte allerdings ein
gestörtes Verhältnis zu Uniformträgern und zum Militär überhaupt.
Deshalb wurde er wohl auch nur Gefreiter. Sein Bruder dagegen war
Oberstleutnant, wurde später Oberst.
Die beiden trafen sich durch grossen Zufall vor Leningrad. Sie
hatten sich schon lange Zeit nicht mehr gesehen. Das war ein
Treffen, der "Vollblutsoldat" und der "Musssoldat"!
Der Vater der beiden Brüder (mein Grossvater) wohnte in einem
kleinen Dorf bei Flensburg. Er war ebenfalls ein grosser
Hitlergegner. Dies ist mir zu der Zeit alles nicht besonders
aufgefallen. Denn man musste doch sehr vorsichtig sein. Mein
Grossvater liess aber doch hier und damal eine entsprechende
Bemerkung los. Das begriff ich auch erst später.
Denn für mich, wie schon erwähnt, war die Welt, wie ich sie
erlebte, in Ordnung. Ein ins sehr nahe stehendes älteres Ehepaar
auf dem Festland, (er war Frührentner) bekam vom Winterhilfswerk
einige Kleidungsstücke geliefert. Da war eine Jacke dabei, mit
einem ganz deutlichen Einschussloch drin. Natürlich weigerte er
sich diese Jacke anzunehmen, (wohl auch mit unpassender Bemerkung).
Darauf hatte er dann auch Gestapobesuch! Aber er hatte Glück. Es
passierte nichts weiter.
Inzwischen wurden die Bombenangriffe auf unsere Grossstädte
intensiver.
Wir auf Sylt wurden aber verschont. Ausser mal ein Notabwurf.
Einmal hatten wir, wie ich mich erinnere, zwei Luftminen als
Blindgänger in Westerland. Eine war in der Feldstrasse im Garten
von Walter Lange runtergegangen und guckte über einen Meter aus
der Erde. Ich bin morgens auf demWeg zur Arbeit daran
vorbeigegangen. Warum da nicht abgesperrt war, weiss ich auch
nicht mehr. Die andere Luftmine war in dem heutigen Westhedig,
runtergegangen. Zu der Zeit war ein Bauernhaus (Friesenhaus) auf
dem Grundstück.Dieser Blindgänger war tiefer in den Boden
gedrungen. Zur Bergung dieser Luftminen hatte man KZ Häftlinge
herangezogen. Es hat wohl Schwierigkeiten bei der Bergung
gegeben, da diese immer tiefer absackte. Die Bergung glückte
aber später ohne Verletzte.
Wehrertüchtigung oder Konfirmation
Die damaligen Feinde rückten immer näher auf
das Reich zu. Dann hiess es: "Die HJ muss zum Panzergräben
bauen an die dänische Grenze!" So wurden wir dann
verpflichtet, in der Nähe von Süderlügum Panzergräben zu
bauen. Wir waren z.B. in einer ausgeräumten Gaststätte
untergebracht. Am Tag war hartes Arbeiten mit dem Spaten angesagt.
Wenn Feierabend war, ging es Singend in Reih und Glied nach Hause
(Unterkunft). Es wurde auf Stoh geschlafen. Ein Mädchenlager
(BDM) war auch da. Ich glaube, die machten meistens Küchendienst.
Ich war vorher auch schon mal in so einem Wehrertüchtigungslager
in der Nähe von St.Michaelisdon. Die meisten von uns, die
da ankamen, waren zu der Zeit schon Kriegsfreiwillige, man hatte
ja auch gar keine andere Wahl ! Denn als wir ankamen, hiess es
beim Antreten z.B. "Kriegsfreiwillige, rechts raus!"
Der Haufen, der sich nicht freiwillig meldete, war deshalb
immer sehr klein. Diese wurden mittags früher zum Exerzieren vom
Tisch geholt.
Auch nachts holte man sie oft aus den Betten. Da war es bald für
die meisten vorbei mit "Verweigern". Auch beim Antreten
mussten sie oft nach vorne treten und wurden als, Muttersöhnchen
usw. lächerlich gemacht. Es wurden mal zwei beim Rauchen
erwischt. Denen wurde eine Glatze geschnitten, und jeder musste
auf einem Stuhl sitzen. Ich glaube es waren über 24 Stunden.
Wir, die dann gerade Wache (Streufe) schoben, hatten strenge
Order, darauf zu achten, dass die beiden nicht einschliefen.
Anschliessend wurden beide abgeholt. Ob zum Jugendarrest oder ähnliches,
weiss ich nicht mehr.
Diese Wehrertüchtigungslager waren meist einmal im Jahr.
Mindestens einmal musste man an diesen teilgenommen haben. Durch
dieses Lager hatte ich auch Schwierigkeiten mit meinem Pastor
Wester. Denn ich war zu der Zeit gerade im Konfirmandenunterricht.
Dieser dauerte damals zwei Jahre. Der Pastor sagte zu mir: "Lager
oder Konfirmandenunterricht, sonst wirst du nicht konfirmiert!"
Es fehlten mir noch drei Monate vom Konfirmandenunterricht. Da
ich ins Lager musste, war es mit der Konfirmation vorbei. Der
Pastor hatte viel Mut gehabt, muss ich sagen.
So bekam ich dann die Jugendweihe. Auflehnung
gegen den Pastor wäre zwecklos gewesen. Dafür war dieser viel
zu konsequent. Ich glaube, er hatte auch so genug Schwierigkeiten
im Dritten Reich. Später wurde PastorWester ein angesehener
Bischof.
Ich kam 1943 in die Lehre der Sylter Inselbahn. Die Inselbahn
war damals ein richtiger Grossbetrieb. Denn dieses versorgte die
Dörfer von List bis Hörnum mit Gütern aller Art.
Personenverkehr war zu derZeit auch nur mit der Inselbahn möglich.
Der Transport der Materialien für die im Bau befindlichen
Befestigungsanlagen ging auch nur mit der Bahn.Bei der Inselbahn
waren damals noch sehr unterschiedliche, politische Auffassungen
unter den Beschäftigten vertreten. Diese machte sich allerdings
nur zwischen den Zeilen bemerkbar. Da waren
Sozialdemokraten, Kommunisten oder Nationalsozialisten. Bei
Unterhaltungen merkte man auch schon mal mitunter die leisen
Reibereien untereinander.
-Breslau-
Alles war dunkel und unheimlich
Im August 1944, nach dem Attentat auf
Hitler, ging eine Verhaftungswelle durch Deutschland.
Ich arbeitete gerade bei unserem Altgesellen Carl Jessen. Im
Zivilberuf Hotelier und Stadtvertreter war er im Kriege zur
Sylter Inselbahn als Schlosser dienstverpflichtet worden. Carl
Jessen war für seine Arbeitskollegen und auch Meister nicht
immer ein leichter Brocken. Er nahm auch kein Blatt vor den Mund,
wenn es um Politik ging. Er war ein alter Sozialdemokrat. Als
Handwerker im Betrieb war er überdurchschnittlich tüchtig und
wurde auch so respektiert. Für einen Lehrling war es schon fast
wie eine Auszeichnung, bei ihm arbeiten zu dürfen. EinesTages,
im August 1944, kamen zwei Hilfspolizisten an unser Werkstatttor
und traten auf Carl Jessen
zu. Es waren zwei hiesige Leute, die als Hilfspolizisten
eingezogen worden waren. Der eine, Kaufmann Kr., sagte zu Carl
Jessen auf Plattdeutsch: "Ich soll dich abholen" Carl
Jessen wie es so seine Art war, sagte nur kurz: "Jo".
Dann sagte der Hilfspolizist Kr. auf platt: "Ich darf das ja
nicht, aber willst du noch mal nach Hause und eine Jacke überziehen?"
Carl Jessen sagte kurz: "Nein". Und ging dann in voller
Arbeitskleidung mit den beiden über die Schienen in Richtung
Rathaus. Ich musste dazu noch sagen, das ich nur einen Polizisten
gesehen hatte. Der zweite konnte hinter einem Mauervorsprung
gestanden haben. Ich war ganz schön aufgeregt. Von einem jüngeren
Gesellen wurde ich angeschnauzt, er sagte: "Verschwinde
hier, das ist nichts für dich!" Ich begriff sowieso nichts
mehr. Blieb aber in der Nähe. Der junge Geselle, Ernst Schmidt,
war zu der Zeit Kommunist. Er machte auch keinen Hehl aus seiner
politischen Einstellung. Aber er hatte wohl Glück, das er nie
angeschwärzt wurde. Dieser Geselle erzählte mir auch später (52
Jahre später) das die beiden Polizisten mit Carl Jessen erst zum
Zigarettenladen ("Max Zigarre") gegangen sind um
Zigarren für Carl Jessen zu kaufen. Das muss für die beiden
Polizisten ein sehr grosses Risiko gewesen sein. Ich hatte immer
geglaubt, das Ernst Schmidt schon lange tot sei. Durch Zufall hörte
ich, das er noch lebt. Ich habe ihn auch gleich aufgesucht, um
meine Erinnerungen aufzufrischen. Selber schreiben mager nicht
mehr. Er wird bald 90 Jahre alt. Er sagte mir auch, dss da noch
ein zweiter Polizist mit dabei war. Ich hatte hauptsächlich den
einen, der auch die Verhaftung durchführte, in meiner Erinnerung.
Es war wohl für beide Hilfspolizisten eine schwere und peinliche
Aufgabe, denn man kannte sich ja schon seit Jahrzehnten und
sprach Plattdeutsch miteinander.
Die Schwere seiner Aufgabe war Hilfspolizisten Kr. auch
anzumerken.
Es wurden zu der Zeit, im August 1944 mehrere bekannte Westerländer
verhaftet. Auch an die
Postboten der damaligen Zeit möchte ich erinnern.
Diese hatten nämlich nicht immer leichte Aufgaben zu erfüllen.
Wenn Briefe (Feldpostbriefe) vom Mann oder Sohn zu überbringen
waren, war das gewiss eine freudige Angelegenheit. Die Postboten
waren meistens weiblich und zu diesem Dienst vom Staat
verpflichtet worden.
Wenn aber die Gefallenenmeldungen gebracht werden musste, dann
war das gewiss ein besonders schwerer Gang. Ich weiss, dab eine
Nachbarin von uns, die als Postbotin verpflichtet war, meiner
Mutter mal erzählte, dass sie es einfach nicht über das Herz
brachte, so eine Gefallenenmeldung bei Frau X abzugeben. Am nächsten
Tag musste sie dann doch den schweren Gang machen. Viele Frauen
mussten im Krieg auch reine Männerarbeit machen. Die Männer
waren ja meistens zum Militär eingezogen worden. Anfang 1944
bekam ich mit mehreren Syltern nach derWehrtauglichkeitsprüfung
in Schleswig meinen Wehrpass.
Anfang Dezember 1944 kam dann eine Einberufung in das RAL (Reichsausbildungslager).
Wir waren drei Westerländer: Harald Koopmann, Harald Voigt und
ich. Wir sollten uns am 8. 12. 1944 um 9 Uhr in Hamburg - Altona
melden. Dort angekommen, war aber keiner da, der uns weiterhelfen
konnte. Nach stundenlangen Suchen, fanden wir andere, zukünftige
Kameraden, die Bescheid wussten. Am 9. 12. 1944 waren wir dann
auf derFahrt nach Dresden und von dort aus weiter nach Bernsdorf
/ Oberlausitz. Gegen Mitternacht kamen wir dort an. Wir wurden
dort auch von keinem abgeholt. Des Wartens überdrüssig, machten
wir uns dann auf den Weg durch die leeren Strassen. Wir sprachen
einen Offizier an, den wir trafen, und fragten nach einem RAL.
Von einem RAL war ihm in dieser Gegend nichts bekannt. Aber
draussen im Wald, wäre ein HJ - Lager und da würden wir wohl
erwartet werden. Nachts gegen 02.30 Uhr kamen wir dann in diesem
Lager an. Die genannten Daten habe ich freundlicherweise aus dem
Tagebuch von Harald Koopmann entnommen. Dieses hat er von Anfang
unserer Einberufung an mit vielen Details geführt. Er hat die
Aufzeichnungen sogar nach mehreren Jahren in tschechischer und
russischer Gefangenschaft mit nach Hause gebracht.
Als wir im Lager ankamen, wurde uns auch dort
kein Empfang bereitet. Wir mussten erst durch Klopfen an die
Fenster auf uns aufmerksam machen. Dann ging man endlich bei und
hat uns in verschiedene Stuben untergebracht. Aber die Stuben
hatten weder Decken noch Betten, und es war hundekalt. In meiner
Stube war glücklicherweise ein Ofen drin. Es kam dann einer in
Uniform und Unteroffiziers-Litzen auf der Schulter mit einer
Handvoll Holz zu uns rein. Wir machten wie gelernt, Meldung.
Der nahm unsere Meldung aber gar nicht soldatisch entgegen,
sondern machte Feuer im Ofen. Da erfuhren wir dann auch, dass wir
in einem OT-Lager gelandet waren. OT heisst Organisation Todt.
Das war so eine Art technisches Hilfswerk. Die OT baute auch
Befestigungen usw.. Hier sollte eine Werkstatt für Panzer
errichtet werden. Morgens beim Antreten und Begrüssen sagte man
uns, dass man sich freue, das wie endlich da wären, denn man
hatte schon länger auf die HJ gewartet, um mit Mauerkelle das
Werk aufzubauen. Unsere Gesichter wurden immer länger, denn hier
lag ein ganz klarer Irrtum vor. Nach einigen Telefonaten klärte
sich dann auch alles auf.
Wir wurden dann nach einigen Hin und Her in einen Zug Richtung Breslau geschickt. Gegen Mitternacht kamen wir 15- und 16 jährigen in Breslau an. Von Breslau sollte es dann um 04.00 Uhr morgens weiter nach Mähren - Weisskirchen gehen. In Breslau bekamen wir strenge Order, nicht in die verlassenen Häuser zu gehen, erinnere ich mich. Breslau war wohl schon ziemlich von der Bevölkerung verlassen. Alles war dunkel und unheimlich. Ich war aber trotzdem mit einigen Kameraden in einer verlassenen Wohnung. Denn so jung wie wir waren, war man natürlich auch neugierig. Die Wohnung war so akkurat verlassen worden, als wären die Bewohner nur zum Einkaufen gegangen.Die Betten waren frisch bezogen und gemacht usw. Den grossen Küchenwecker auf dem Küchenschrank habe ich auch noch in Erinnerung.
"Dann jagen wirden Russen bis zur Wolga".
Am nächsten Tag, es mag gegen Mittag gewesen
sein, kamen wir in Mährisch - Weisskirchen an. Da holte uns
wieder keiner ab. Wir hatten so langsam alle die Schnauze voll. (Es
wäre gewiss ein guter Einfall gewesen, wenn wir da alle nach
Hause gefahren wären.) Nach einer gewissen Wartezeit kam ein
Wagen mit einem Zivilisten vorbei. Er teilte uns mit, das das
Lager noch nicht fertig eingerichtet sei und wir so lange in Ollmütz
(Olomouc?) untergebracht würden. Dort angekommen, wurden wir in
einer Schule untergebracht. Bis wir etwas zu essen bekamen,
dauerte es noch eine Weile. Betten waren auch da nicht. Wir
mussten auf dem Boden campieren. (Das war in der Adventszeit!)
Weil unser Lager noch nicht fertig organisiert usw. war, kam die
tolle Nachricht, das wir erstmals Weihnachtsurlaub bekamen und
nach Hause fahren konnten.
Weihnachten 1944 habe ich nicht mehr in voller Erinnerung. Am
28.12. 1944 ging die Reise schon wieder nach Mährisch -
Weisskirchen los.
Nach unserer Meldung auf der Dienststelle wurden wir im Haus,
"Puschner" eingewiesen. Auf unserer Stube waren
Harald Koopmann Sylt), W.Barg, H.H. Koberg, Jung, ein Pinneberger
und ich. Harald Vogt(Sylt), der vorher mit uns war, konnte zu
Hause bleiben und einer Einberufung zum Arbeitsdienst (RAD) auf
Sylt folgen. Der hatte somit Riesenglück, denn uns erwartete
noch so einiges. Unser Zugführer war Uffz Stössel. Unser Stubenältester
war Harald Koopmann. Stubenscheuern war unser erster Dienst,
Abends wurden die letzten mitgebrachten Kuchen von zu Hause
aufgegessen. Das war dann auch das Jahresende 1944 für uns.
Weisskirchen ist ein hübscher Ort mit mehreren
Hochschulen. Bad Teplitz mit seinen hübschen Hotels gehörte
auch dazu. Es kehrte endlich eine gewisse Regelmässigkeit in
unser Dasein ein. Es begann ein strammer militärischer
Ausbildungsdienst. Aber darin hatten wir ja auch schon einige
Erfahrungen. Viel Geländeausbildung von der Panzerfaust bis zum
MG 42 usw. Auch Spähtrupp und Nahkampf war dabei. Wir wurden
perfekt gemacht. Am 18. 01. 1945 wurden wir nach Luhacowitz ins Lager 7
verlegt. Da war die Ausbildung noch gründlicher. Geländeübungen
im Schnee mit unseren Winterklamotten war keinVergnügen. Die
Front kam schon bedenklich näher. Es hörte sich von uns aus wie
ein nahendes Gewitter an. An den Strassen wurden von der OT
Panzersperren und Gräben zur Verteidigung gebaut. Es wurden vor
allen Dingen Nachtwachen von uns gestellt. Notfalls wollte man
uns mit Waffen ausrüsten. Wir waren ja immer noch bei der HJ und
keineSoldaten. (15 und 16 Jahre alt). Die Begeisterung war
trotzdem noch sehr gross. Jeder von uns wäre blindlings in den
Tod gerannt. Die
Propagandaschule, Ausbildungslager usw. hatten das
ihre getan. (Die Erkenntnisse kamen erst später.) Wir gehorchten
nur Befehlen. (Auch Minderbegeisterte) Es blieb uns ja auch gar
keine andere Wahl. Wir dachten eben, das sei alles richtig. Es
herrschte sogar der Gedanke, wenn der Russe kommt, dann jagen wir
ihn zurück bis zur Wolga.
Die jungen Tschechen verhielten sich uns gegenüber absolut
distanziert. Wir hätten natürlich gerne mal mit den hübschen Mädchen
geflirtet. Aber die waren uns gegenüber eiskalt. Nichtmal die
zehn oder zwölf jährige Tochter unserer Hauswirtin liess sich
ansprechen.
"Der Führer hat euch schon heute zu den Waffen gerufen"
Am 08. 03. 1945 war das Lager und die Ausbildung zu Ende, und wir sollten wieder nach Hause. Das Gefühl lässt sich nicht überliefern, da musste man erlebt haben. Bannführer Moritzen nahm die Meldung des Ausbildungslagerabschlusses mit 1400 HJ - lern entgegen. Da sagte er dann: "Der Führer hat euch schon heute zu den Waffen gerufen!" Wir würden geschlossen der Waffen SS übergeben werden. Vorher sprach er noch davon, das Deutschland in höchster Gefahr wäre.
Wir wurden dann aufgeteilt. 200 Mann nach Wien,
50 Mann Panzernahkampfbrigade nach Berlin, der Rest auf den
Truppenübungsplatz Beneschau bei Prag. Nach dieser Nachricht gab
es natürlich lange Gesichter und wohl auch so manche heimliche
Träne. Da war natürlich nichts mehr mit nach Hause fahren und
dann noch zur SS. Denn soweit ich mich erinnern kann, hatten alle
bereits einen Wehrpass für das Heer, die Marine oder die
Luftwaffe. Die SS
hatte uns im wahrsten Sinne des Wortes ohne eigene Zustimmung
einfach kassiert. Man lud uns dann in Waggons in Richtung
Kienstlag. Beim Aussteigen in Kienstlag sahen wir lauter SS
Uniformen. Schon auf dem Bahnhof wurde wir in Kompanien
aufgeteilt.
Harald Koopmann und ich blieben in einer Kompanie. Dann ging
es in die Quartiere. Tschechen gab es kaum noch auf dem Truppenübungsplatz.
Es war alles verlassen und grausam öde. Zu allem Überfluss
hatten wir auch noch einen Schneesturm. Wir lagen in dem Dorf
Networschitz in einem kleinen Tal. In der ehemaligen Lederfabrik
war eine Grossküche eingerichtet. Ein Kino gab es da auch noch.
Das war ständig mit Soldaten überfüllt. Wir kamen mit unserem
Zug in die ehemalige Schule. Da waren Doppelbetten in den Klassen
aufgestellt. Harald Koopmann war in einem anderen Zug und nicht
bei uns. Bei mir im Zug waren Leute aus allen Ecken Deutschlands.
Am nächsten Morgen gab es schon Gewehre. Das Eintätowieren der
Blutgruppe unterm Arm liess auch nicht lange auf sich warten.
Ausgebildet wurde noch in HJ Uniformen. Es war ein
unwahrscheinlich harter und erbarmungsloser Schliff dort. Es
wurde das Letzte bei der Ausbildung aus uns herausgeholt.
Am 12. 03. 1945 marschierte das ganze Regiment zur Verteidigung
auf. Der Kommandant hielte ine Ansprache und liess durchblicken,
das wir an der Front eingesetzt werden sollten. Unser
Regiment nannte sich: "Konepacki, Kampfgruppe Böhmen SS
Division Hitlerjugend".
Man nahm uns auch die Wehrpässe ab. Da kam dann auf irgend eine
Seite der Stempel der SS mit unserem Namen und unserer Einheit
rein. Unsere Ausbildung ging erst noch weiter. An die Panzerbekämpfung
kann ich mich noch genau erinnern.Wir sollten mit einer
Tellermine auf einen schnell fahrenden Panzer springen und eine
Haftmine am Turm befestigen.Das war gar nicht so leicht wie sich
das anhört, denn man wollte auch nicht in die Ketten kommen.
Am 30. 03, 1945 war eine Grossübung. Zwei Tage waren wir
unterwegs. Wir haben feste mit Platzpatronen geschossen. Es
spielte sich alles in einer einmalig schönen Gegend ab. Aber für
solche Betrachtungen war nicht viel Zeit. Danach, wieder im
Quartier wurden wir Feldgrau eingekleidet. Abends wurde der
Ort in Alarmbereitschaft gesetzt, keiner durfte den Ort
verlassen. Jeden Moment konnte der Befehl zum Abmarsch kommen.
Wir bekamen auch scharfe Munition ausgehändigt.
Am 05. 04. 1945, 16.00 Uhr kam der Befehl zum Abmarsch. Vorher gab es
noch mal Essen. Dann nahmen wir Waffen aller Art und die
Notverpflegung in Empfang. Unsere Ausbilder blieben
unsereVorgesetzten. Es waren zum Teil hochdekorierte Leute, wie
Ritterkreuzträger, dabei. Mit diesen Leuten war es
besonders leicht auszukommen.
Die hatten ja auch einiges an Schlamassel mitgemacht.
Schlimmer waren die Fahnenjunker. Diese waren zum Teil unsere
Gruppenführer auch, fanatisch und ehrgeizig. Unser Spiess, der
auch mit zur Front kam, hatte sich während unserer Ausbildung
mit seinem fast krankhaften Drill mehr als unbeliebt gemacht. Wir
wurden auf LKW mit Holzgasantrieb verladen und fuhren so
schwerbeladen in Richtung Front. Die Fahrt ging durch Böhmen,
Niederdonau über Znaim Richtung Krems. Am 07. 04.1945 abends bei
Krems a.d. Donau wurden wir in die Frontlinie eingereiht.Wir
mussten uns eingraben.
Der Blick über die Donau war herlich. Drüben
sollte schon der Russe sein. Ich habe aber keinen gesehen. Es
fiel auch kein Schuss. Neben uns lag eine Einheit von ehemaligen
Flak Soldaten (nur Infanteri). Das waren grösstenteils ältere
Leute. Als sie uns sahen, schüttelten sie den Kopf und
sagten: "Jungs, geht bloss nach Hause". Darauf wurde
uns strengstens verboten mit denen zu sprechen. Am Tag wurden wir
aus den Löchern zurückgezogen. Nachts ging es wieder rein. Das
ging in völliger Ruhe einige Tage gut. Am 16. 04. 1945 mussten
wir wieder in unsere Autos steigen und fuhren Richtung Osten. Bei
einem Dorf südöstlich Lan a.d.Thaya mussten wir uns als zweite
Linie wieder eingraben. Ich hatte mein
Loch mit meinem Kameraden noch nicht halbfertig, da
wurden wir von unserem Zugführer (freiwillig) eingeteilt, einen
schwerverwundeten Soldaten einer anderen Einheit nach hinten zu
tragen. Wir waren vier Mann zum Tragen. Die Trage bestand nur aus
einer Wolldecke. Diesem Soldaten war das ganzeBauchfell
weggerissen worden. Zum Teil konnte man die Eingeweide schon
sehen. Aber er lebte noch. Er war aber mehr ohnmächtig als wach.
Wir konnten auf unserem Weg voll vom Russen eingesehen werden,
aber es fiel kein Schussin unserer Richtung. Auf dem Rückweg
wurden wir dann aber sogar vonGranatwerfern beschossen.
Wir vier kamen aber wieder wohlbehalten bei unserer Kompanie
an.
Das war allerdings unsere erste, äusserste kräftige
Feuertaufe. Wir wurden nochmals auf dem Gelände neu verteilt.
Mit zwei Gruppenlagen wir links neben der Strasse, die in ein
kleines Dorf führte, auf halber Höhe eines Abhangs (Weinberg)
in Stellung. Einige Kameraden und ich lagen in einem Hohlweg.
Nach oben hin durch eine ca. 2 m hohe Erdkante geschützt. Rechts
von uns, ca. 15 - 20 m weiter, wo die anderen Gruppen lagen,
hatte der Weg keine schützende Kante nach oben mehr. Da spielte
sich dann die nächste Nacht eine Tragödie ab. Denn oberhalb, ca.
30 m entfernt von uns, hatte sich ein russisches SMG (Schweres
Maschinengewehr) eingenistet. Dieses SMG hat in der Nacht fast
die ganze Gruppe samt Gruppenführer getötet. Was richtig los
war in der Nacht, konnten wir wegen der tiefen Dunkelheit aber
nicht feststellen. Wir, die in der Vertiefung des Weges standen,
waren vor den MG-Salven, die von oben kamen, absolut sicher. Bis
zum Morgengrauen war das russische MG ausgeschaltet. Wir mussten
uns um die verwundeten Kameraden, die rechts von uns gelegen
hatten kümmern.(Meist Hackenschüsse). Es hatten, wie bereits
erwähnt, nur wenige überlebt. Auf der anderen Seite der
Strasse, hinter einem Hügel, vom Dorf nicht einsehbar, lag
unsere Restkompanie. Man teilte uns mit,dass wir auch dahin
kommen sollten.
Dazu mussten wir den Abhang
runter und die Strasse überqueren, die voll von den Russen im
Dorf einsehbar war. Zu allem Überfluss war da ein dichtes Gestrüpp
(Hecke) vom Hohlweg aus, das nach unten mit Anlauf übersprungen
werden musste (inkl. Gepäck!!) Alle kamen auch ohne getroffen zu
werden, gut rüber. Ich blieb beim Sprung in der Heckenkrone hängen
und zappelte da oben wie ein Ertrinkender rum. Ich sah auch von
da oben ein russisches MG-Nest etwa auf halber Strecke zwischen
Dorf und uns. Glück für mich, die Russen waren alle tot. Nach
vielem Zappeln kam ich dann doch frei. Solche Erlebnisse vergisst
man nicht. Unten bei der Kompanie hiess es dann, wir sollten bald
das Dorf angreifen. Auch diese Zeit davor bleibt unvergessen. Das
sind schlimme Stunden und Minuten vor einem Angriff. Das Warten
ist nervtötend. Das Dorf einzunehmen war gar nicht so schwierig,
wie vermutet.
"Als es hell wurde,
sah ich, das das Gewehr rot vom Blut war"
Wir hatten allerdings viel Schwierigkeiten mit
unserer Gewehrmunition. Es waren lacküberzogene Eisenpatronenhülsen
und die klebten nach einem Schuss immer einen kurzen Augenblick
im Gewehrlauf fest. Das war nicht gerade beruhigend. Im Dorf
durchkämmten wir dann alle Häuser, Scheunen usw. Auf der
Strasse lag ein toter russischer Offizier mit gespaltenem Schädel.
Dem nahm ich die Pistole ab. Da kam ein deutscher
Wehrmachtsoffizier auf mich zu und verlangte die Pistole. Ich
hatte auch so genug zu schleppen. In den Häusern war sehr viel
geplündert worden.
Ein Russe wurde noch von einem anderen Zug bei einem Überfall
und der Misshandlung einer Frau erwischt. Den hat man
gleich erschossen. Ich hätte beinahe eine deutsche Frau
erschossen. Aus einer von aussen verriegelten Kellertür sah ich,
wie jemand durch ein Loch in der Tür von innen auf mich zielte.
Ich habe sofort geschossen. Gott sei Dank daneben, denn es war
eine Frau mit einem Stück Rohr, die sich nur bemerkbar machen
wollte. Die erzählte uns, dass der Russe auch einige Frauen
mitgenommen hätte. Ich selbst bin einem Russen im Gefecht nie so
nahgewesen, dass ich das Weisse in den Augen hätte sehen können.
Auf so einen dann erschiessen zu müssen, hätte mich wohl
doch einige Überwindung gekostet. Aber die ständig sich überschlagenden
Ereignisse, als auch neue Eindrücke, liessen uns nicht viel Zeit
zum Nachdenken. Wir haben uns auch bald wieder aus dem Dorf zurück
gezogen. Stellungswechsel war sowieso oft. Die Russen waren halt
nicht aufzuhalten gewesen und unser Haufen wurde immer kleiner.
Nach dem Absetzen versammelten wir uns meistens zum Zählen.
Einmal weiss ich, fehlte einer aus unserem Nachbarschützenloch.
Unser Zugführer meinte, dass wir versäumt hätten, den Befehl
zum Absetzen weiter zugeben, wir waren mit unseren Löchern auf
Rufweite auseinander. Na ja, ich bekam den Befehl, KameradX zu
holen.
Vielleicht war er eingeschlafen in seinem Loch. Alleine zurück
ohne zu wissen, ob der Russe schon da ist ! Und das im
Halbdunkeln. Als ich angekommen war, entdeckte ich, das Kamerad X
tot war. Als es hell wurde,sah ich, das das Gewehr rot vom Blut
war. Ein anderes Erlebnis. Einer unserer Gruppenführer (Fahnenjunker),
ohne Auszeichnung, unterhielt sich mit unserem Zugführer. (Die
waren miteinander befreundet). Der Zugführer war hochdekoriert!
Der Zugführer übergab dem Junker einen Briefund sagte:
"Ich glaube nicht, dass ich hier herauskomme. Wenn ich
falle, gib bitte diesen Brief meiner Verlobten". Aber ich hörte
weiter, dass der Junker zu gerne das EK 1 mit nach Hause gebracht
hätte.Da durfte der Junker sich dann Freiwillige für eine Art
Spähtrupp aussuchen.
Davon waren, als er zurück kam, mehr tot, als er gefangene
Russen mitbrachte. Ob er dafür das EK 1 bekam, kan ich
nicht sagen.Das ich dieses Gespräch mitbekommen hatte, war
beiden sicher höchst peinlich. Leider, leider weiss ich die
Namen der beiden auch nicht mehr.
Ein Loch war "Küche, Klo und Schlafzimmer"
Ich habe sehr
viele Daten und Orte vergessen. Diese konnte ich aber von meinem
ehemaligen Kriegkameraden Harald Koopmann aus seinem exakt geführtenTagebuch
entnehmen, das er, wie schon erwähnt, trotz Krieg und
Gefangenschaft mit nach Hause durchbringen konnte. Dafür bin ich
ihm sehr dankbar.
Sicher hatten viele Soldaten ähnliche Erlebnisse. Aber da wir
zu der Zeit erst 15 und 16 Jahre alt waren, wollte ich das schon
immer festgehalten haben. Leider weiss ich den Namen meines
Kameraden, der mit mir in dem Schützenloch lag, auch nicht mehr.
Da lagen wir zu zweit in dem Loch, welches Küche, Klo und
Schlafzimmer war. Ständig unter Beschuss von Scharfschützen und
MG mit Explosionsmunition. Einmal schoss sich ein Granatwerfer
auf unser Loch ein. Drei Schuss auf uns. Rechts, links und 2 m
hinter unserem Loch. Der nächste hätte uns treffen müssen.
Aber es kam keiner mehr. Sterben ging schnell zu der Zeit. Ich
hatte mal mein Kochgeschirr auf die Lochkante gestellt. Es machte
nur kurz "peng" und weg war es. Unmittelbar vor unserem
Schützenloch ist auch unser
Spiess gefallen. Man munkelte aber bei uns, dass er
versehentlich von eigenen Leuten erschossen worden sei. Er hat
sich angeblich mit offenem Mantel und ohne Kennwort nachts auf
die Löcher zubewegt. So ähnlich liefen auch die Russen voran.
Wir müssen wohl ganz schön verdreckt gewesen sein, denn an
Waschen und Wäschewechsel war nicht zu denken.
Ich träumte in meinem Schützenloch oft davon, einmal wieder
in einem richtigen Bett zu schlafen. Ich wollte, weiss ich noch
ganz genau, immer einmal gerne wieder das Geräusch einer
bestimmten Tür von zu Hause hören. Dann hiess es mal wieder
nachts, "wenn eine grüne Leuchtkugel erscheint: Rückmarsch!"
Es wurden viele Leuchtkugeln abgeschossen in dieser Nacht, aber
eine grüne haben wir nicht gesehen. Es wurde schon wieder hell
und noch immer gab es keinen Befehl zum Abrücken.
Die Russen schossen
aber auch nicht mehr. So verhielten wir uns ruhig bis zum abend.
Dann merkten wir, das alle links und rechts von unserem Zug abgerückt
waren. Wir hatten glücklicherweise einen erfahrenen Zugführer.
20, vielleicht 30 Soldaten mögen wir gewesen sein. Wir konnten
die Russen rechts unten, vielleicht zwei Kilometer weg, mit ihrem
LKW fahren hören. Die dachten wohl, das wir alle weg waren,
sonst wäre es uns wohl dreckig ergangen. So sammelten wir uns um
unseren Zugführer und marschierten auf Schleichwegen (nie auf
Strassen) los. Wie uns wohl zumute war: Aber das Vertrauen in
unseren Zugführer war gross.
Wir mussten ja auch Ortschaften, offenes Gelände usw. umgehen.
Wir sind ohne Kompass, Karte oder anderen Hilfsmitteln marschiert.
Irgendwann stellten wir aus irgendeinen Grund mit einem
riesigen Schrecken fest, dass wir uns hinter den russischen
Linien befanden.
Wir waren also genau in die verkehrte Richtung gelaufen. Es könnte
zwei Tage vorher gewesen sein, das wir da falsch marschiert sind.
Der Magen hing uns in der Kniekehle. Aber die Angst entdeckt zu
werden, trieb uns voran. Ich weiss nicht mehr, wie lange wir
gebraucht haben, aber wir hatten es tatsächlich geschafft mit
Gewaltmärschen und ohne Essen durch die russischen Linien zu
kommen. Wahrscheinlich hatte der Russe sich auf den Strassen
gesammelt, um weiter zu marschieren, und wir sind mit
unheimlichenGlück durch die Lücke durchgekommen. Wenn wir
versucht hätten,durch eine kämpfende Einheit oder Front zu
kommen, wären wir wohl entdeckt worden. So kamen wir dann erst
mal in ein Niemandsland hinein, denn die deutschen Truppen hatten
sich wohl schon weiter abgesetzt. Da kamen wir dann in eine Stadt
rein, die total verlassen und dunkel war.
( Name? ) Wir zogen nun los, um Verpflegung zu ergattern. Tatsächlich
fanden wir ein grosses Verpflegungslager der Wehrmacht. Es wurde
von einem Soldaten (vielleicht auch Offizier) bewacht. Der hatte
sich die Adler Schulterstücke schon alles runtergetrennt. Der
Haken war nur, dieser Mann wollte nichts an uns herausrücken.
Unser Zugführer
sagte: "Jungs, Ihr geht mal bis zur nächsten Ecke".
Dann krachte ein Schuss, und das Verpflegungslager stand uns zur
Verfügung. Unser Zugführer hat uns nie erzählt, das er den
Mann erschossen hatte. Wir haben dann gegessen, was nur
hineinging. Ich hatte Schmalz mit Händen gegessen. Durchfall und
Magenverstimmung waren garantiert.
Dann ging es nach kurzer Zeit und voll bepackt auch schon
wieder weiter.
Wie lange wir brauchten, weiss ich nicht, aber wir fanden bei
all diesem Durcheinander tatsächlich unsere Einheit - oder was
davon übrig war - wieder. Nach dem Tagebuch von Harald Koopmann
waren es ca. 16 Mann. Mit uns zusammen war es wohl knapp eine
Zugstärke. Dieses muss ca. EndeApril gewesen sein. Wir mussten
noch einige dramatische Gefechte durchstehen. Man hatte uns auch
neu aufgeteilt. Aus mehreren ehemaligen Kompanien wurde eine
gemacht. Verwundete blieben mitunter einfach liegen. Einen aus
unserer Gruppe mit total zerfetzten Bein, hatten wir schon eine
ganze Weile getragen. Da sahen wir, als wir uns nach hinten
schauten, etwa zwei Kilometer entfernt über einen Weinberg schon
russische Soldaten kommen. Es fuhr ein Wehrmachtsoffizier
vorbei.
Den hielten wir an und fragten, ob er nicht den Verwundeten
mitnehmen konnte. Er verneinte aus irgend einen vagen Grund. Wir
mussten diesen Jungen, vielleicht nicht einmal 16 Jahre alt, auf
Befehl unseres Zugführers liegen lassen. Der Zugführer,
erinnere ich mich, gab dem Jungen seine eigene Pistole. ( Alles
Wahnsinn ) Aber zu der Zeit hatte man gar keine Zeit viel
nachzudenken. Dann war es auch höchste Eile, das wir da
verschwanden.
Dieses passierte in der Nähe von Zneim ( Zuojmo ). Wir
marschierten in der Kolonne und wurden von LKW und
Pferdefuhrwerken des Trosses laufend überholt. Wir zu Fuss waren
alle restlos fertig. Einige, ich auch, schliefen sogar beim
marschieren fest ein. Ich fragte den Zugführer, ob ich und noch
vier Mann mit dem Panjewagen ein Stück voraus fahren dürften.
Das wurde uns unter der Bedingung erlaubt, im nächsten Dorf auf
unsere Einheit zu warten. Das taten wir dann auch.
Es wurde Abend und langsam dunkel, aber unsere Einheit kam
nicht.Eswar unheimlich diese Ungewissheit. Das Dorf war auch
restlos verlassen.
Wir holten uns aus einem Haus einen Küchenwecker und schoben
am Dorfeingang Wache. Es war noch dunkel, da hörten wir
Panzergeräusche.
Unsere Nerven waren zum Zerreissen gespannt. Wir liessen den
ersten Panzer vorbei. Beim zweiten waren wir sicher, dass es
deutsche Panzer waren, beim dritten machten wir uns dann
bemerkbar. Der hielt dann glücklicherweise an und nahm uns mit.
Es waren Königstiger, riesige Kolosse. Erstmal war es schön
warm durch die Motorwärme, und wir konnten uns auf dem glühenden
Auspuff Bratkartoffeln machen.
Die Panzerbesatzung erzählte uns, dass der Russe alles
eingekesselt hatte.
Bei unserer Fahrt vorher mit dem Panjewagen kam ich auch an
Harald Koopmann vorbei und sagte zu ihm: "Komm doch mit bis
zum nächsten Dorf!" Aber er wollte nicht. So wurde er auch
eingekesselt und kam in Gefangenschaft. Wir fuhren mit den
Panzern immer weiter in Richtung Westen. Auf diesem Weg mit den
Panzern konnten wir erleben, das die russischen Flugzeuge beim
Angriff auf die Rückzugdrecks ( Pferdefuhrwerke, LKW und viele
Menschen) ganze Arbeit geleistet hatten.
Es waren auch viele Flüchtlinge dabei. Es brannte noch in
dieser kilometerlangen Kolonne. Der Geruch von verbrannten
Menschen und Pferden hatte ich noch zwei Jahre nach Kriegsende in
der Nase. Die Panzer mussten nach und nach gesprengt werden, weil
der Sprit alle war.
So fuhren dann alle Mannschaften zuletzt auf einem Panzer. Das
wurde natürlich eng. In einem voll mit Wehrmacht besetzten Dorf
mussten wir dann auch runter. Irgendwie konnten wir uns dann auch
Marschbefehle beschaffen. Ohne diese wurde man an dem nächsten
Baum aufgehängt,wenn einen die Feldgendarmerie erwischte.
Solchen Aufgehängten waren wir auf unserem Weg schon genügend
begegnet. Irgendwie kam ich dann mit mehreren Soldaten auf einem
LKW mit. Es mussten immer mehrere Soldaten zusammensein, denn wer
Tschechen in die Hände fiel oder den freigelassenen ehemaligen
KZ - Häftlingen hatte nichts zu lachen.
Diese liessen dann ihre aufgestaute Wut an den Leuten aus.
Mit einem Mal war der Ami auf dem Hof
Einen Marschbefehl, weiss ich noch, bekamen wir
in einer Stadt, wo auch eine hübsche Burg gelegen war. Dort
feierten eine Menge ( auch ) hoher Offiziere eine wahre
Alkoholorgie. Einer hatte wohl Mitleid mit uns, obwohl wir zur SS
gehörten, und stellte uns den lebenswichtigen Marschbefehl aus.
In einer offenen Scheune war ein langer Tisch aufgestellt.
Auf diesem Tisch tanzten Frauen, urinierten sogar in Sektgläser.
So etwas Wildes habe ich in meinem ganzen Leben nicht
wieder gesehen. Wir waren wohl richtig geschockt. Wir waren ja
auch noch so jung und nicht mal richtig aufgeklärt. Wir sind
auch bald nach diesem Burgbesuch weiter nach Westen gefahren.
Irgendwie kamen wir nach mehreren Abenteuern, die ich im Detail
nicht mehr im Kopf habe, in der Nähe von Kamp zum Amerikaner.
Dort mussten wir an so einem LKW vorbeifahren und unsere Waffen
auf diesen werfen. Ich warf mein Gewehr drauf. Aber in meinem
jugendlichen Leichtsinn behielt ich meine 08 Pistole in meinem
Brotbeutel bei mir. Das war eigentlich tödlicher Leichtsinn.
Meine vier Kameraden hatte ich schon vorher aus den Augen
verloren. Es war ein grosses Lager im Freien. Meine SS - Runen
usw. hatte ich schon vor der Gefangenschaft abgetrennt. Im Lager
kam dann die Parole auf, dass das Lager geschlossen den Russen übergeben
werden sollte.
Da habe ich meine Siebensachen
unter den Arm genommen und bin aus dem noch schwach bewachten
Lager rausgeschlichen. Dabei lernte ich einenNiederländer und
einen Hamburger kennen, die die selbe Absicht hatten. Wir sind
nachher nur nachts marschiert. Abends versuchten wir, etwas zu
Essen bei den Bauern zu ergattern. Das klappteauch meistens ganz
gut. Ich hatte zu allem Überfluss auch noch so eine Art Ruhr.
Wenn die beiden Landser nicht gewesen wären, wäre
ich wohl elendig umgekommen. Auch die Angst, in den Wäldern von
freigelassenen KZ Häftlingen erwischt zu werden, war gross.
Weshalb und warum, begriff ich erst später.
Uns dreien ging das zu Fuss gehen mittlerweile zu langsam. Da
sahen wir vom Berg aus vor einem Bauernhof einige Pferde weiden.
Wir haben uns nicht lange besonnen und uns drei Pferde von der
Weide geklaut. Es waren zwei russische Panjepferde und ein
deutsches Reitpferd.
Gott sei Dank hatten alle drei Pferde Mundstücke und Zügel,
aber keine Sättel. Ich hatte noch nie auf einem Pferd gesessen.
Die beiden anderen Landser hatten da schon einige Erfahrung. Der
Niederländer und ich nahmen uns die beiden Panjepferde. Das
Schlimmste war, wenn der Niederländer mal mit seinem Pferd ein
Trab vorlegte, dann wollte mein Pferd gleich immer hinterher. Die
beiden Panjepferde sind wohl längereZeit ein Gespann gewesen. Es
dauerte so seine Zeit, bis wir beide uns einig wurden. Wir ritten
meistens am Tag oberhalb der Verkehrswege. Denn der Amerikaner
war schon oft unten auf den Strassen zu sehen. Wir wollten weiter
nach Westen. Zusammen sind wir ca. 200 km geritten. Abends
machten wir meistens für die Nacht bei Bauern Rast. Die Gegend
war voll von Flüchtlingen, die meistens beiden Bauern unterkamen.
Mein Hintern war so wund geritten, dab ich noch knapp laufen
konnte. Aber meine beiden Kameraden hatten mich immer rührend
versorgt. Im Stall hiess es immer: "Hosen runter!" Ein
Eimer Wasser hinten drauf und ein paar Hände voll Mehl ( selten
knappes Puder ) hinterher. Mittlerweile hatten wir uns Wolldecken
als Reitsättel zurecht gemacht. Zusammengebundene Lederriemen
dienten als Steigbügel. Das war schon mal eine grosse
Erleichterung. Es rutschte natürlich ein bisschen hin und her.
Meine beiden Freunde waren in der Nacht meistens bei
irgendwelchen Frauen. Ich musste immer schön brav in der Scheune
schlafen, bis die beiden wiederkamen. Am frühen Morgen ging es
wiederin die Berge. Ich hatte immer noch meinen Durchfall und
musste oft Halt machen. Meine beiden Freunde haben immer gewartet.
Alleine hätten sie es wohl auch leichter gehabt. Einmal haben
wir einen ganzen Tag Pause gemacht, denn unsere treuen Pferde
brauchten auch mal eine längere Pause. Meine Freunde hatten mich
bei einer jungen Frau untergebracht. Diese wollte gerne, wenn ich
wollte, dass ich bei ihr bliebe, bis sich alles normalisiert hätte.
Aber abends ging sie zu irgendeinen Amerikaner, die in der Nähe
stationiert waren. Da ging ich doch lieber mit meinen Freunden
weiter. Die beiden hatten das Bleiben bei dieser Frau eingefädelt.
Auf unserem Ritt trafen wir auch viele andere Landser, die sich
wie wir schon Räuberzivil besorgt hatten. Da gab es Typen mit
grossem Einfallsreichtum, um sicher weiter nach Westen zu kommen.
Bei einer Rast auf einem Bauernhof lernten wir so einen kennen.
Der hatte sich irgendwie einen Leiterwagen beschafft. Das Pferd
dazu hat er wohl auch nicht geschenkt bekommen. Aber so konnte er
ganz frech die Strassen benutzen. Die Ami`s, die vorbeifuhren, grüsste
er immer. Die dachten wohl, das ist einer von irgend einem
Bauernhof in der Nähe. Er sagte uns, das er sogar von der
amerikanischen Militärpolizei, die auf Kreuzungen stand,
eingewiesen wurde. Wir mussten uns aber weiter in den Bergen
fortbewegen. Wir stiessen einmal auf eineGruppe Landser mit fast
50 Pferden. Diesen schlossen wir uns kurz an. Ein Offizier führte
diesenHaufen an. Der kannte viele Schleichwege. So ein Haufen von
50 Pferden und Reitern war schon imponierend, aber auch höchst
riskant. Wir haben uns bald wieder in kleinen Gruppen getrennt.
Irgendwann später machten wir in einem kleinen Dorf Rast bei
einem grösseren Bauern. Dieser Bauer hat für uns den Tisch
reichlich decken lassen. Vom Ami weit und breit nichts zu sehen.
Das Risiko erwischt zu werden, wurde aber immer grösser.Wir
entschlossen uns, dem Bauern die Pferde gegen Gebot zu verkaufen.
Wir bekamen einen geräucherten Schinken und mehrere hundert
Zigaretten.I ch glaube,dass ich Tränen in den Augen hatte als
ich Abschied von meinen treuen Pferd nehmen musste.
Mit einem Mal war
der Ami auf dem Hof und wollte uns gefangen nehmen. In der Zeit,
als wir beim Essen waren, hatte der Bauer sich durch die Hintertür
auf die Socken gemacht und beim Ami Bescheid gesagt, das da drei
Soldaten bei ihm auf dem Hof sind. Es waren nur ein paar Ami`s im
Dorf. Meine Pistole hatte ich schon länger nicht mehr. Wehren
wollten wir uns sowieso nicht. Die Ami`s nahmen uns dann bis zu
dem Haus mit, wo sie sich einquartiert hatten. Wir drei mussten
uns dann auf der Strassenseite des Hauses hinsetzen und der Dinge
harren. Die Ami`sgingen dann erst mal rein und haben sage und
schreibe erst mal Mittaggegessen. Wir sassen ganz ohne Bewachung
draussen. Aber auszurücken wagten wir auch nicht. Wenn ich hätte
englisch sprechen können, hätte ich glatt gefragt, ob ich noch
mal zum Hof zurück gehen könnte, um etwas Vergessenes zu holen.
Ich hätte den Bauern zu gerne eine Weile mit der Mistgabel
bearbeitet. Denn das war einfach zuviel für mich. Essen geben,
Pferde abkaufen und uns dann verraten und sich so einen Namen
machen wollen. Der Ami, auch später in Gefangenschaft, hat auf
solche Typen nie richtig reagiert oder diese für voll
genommen. In meiner Dummheit und Angst hatte ich mein
Wehrmachtssoldbuch weggeworfen. Denn da war ja auf irgendeiner
Innenseite der Stempel der SS - Einheit drin, zu der man uns ja
gegen unseren Willen eingezogen hatte. Es war ja bekannt,
das man mit Angehörigen der SS nicht zart umging. Meine Freunde
und ich blieben aber noch zusammen. Dann kamen wir in ein
Sammellager. Dort wurden wir erstmal sortiert, Arme hoch und nach
tätowierten Blutgruppen gesucht. Diese kamen erst mal rechts
raus. So wurde ich von meinen Freunden und dem Schinken getrennt.
Abschneiden oder teilen ohne Messer, die man uns abgenommen
hatte, konnten wir nicht. Wir sahen uns leider nie mehr wieder.
Alle von der SS kamen zuerst mal in ein grobes
Sammellager (ca. 10 000 Mann ) auf eine grosse Wiese.
Nichts zum Essen und keine Decken. Nachts war es hundekalt.
Unsere Toilette war ein langer Graben mit einem Baumstamm darüber
zum Sitzen. Das war eher immer ein Balanceakt. Denn man konnte
sich ja nirgendwo festhalten. Wir waren auch grössten teils sehr
geschwächt.
Das Einzige, was wir hatten, waren Läuse. Da sass ich dann am
Tag, wie andere auch, wenn die Sonne schien, und knackte Läuse.
Mittlerweile wurden Gruppen eingeteilt mit Kurieren. Denn es
sollte Verpflegung geben. Es gab, kaum zu glauben, für 100 Mann
eine Dose Rindfleisch und für 50 Mann ein Brot. Da halfen mir
meine Zigaretten viel, denn ich konnte hier und da mal ein
kleines Stück Brot eintauschen. DieEinwohner des nahegelegenen
Ortes ( leider den Namen vergessen ) warfen auch schon mal Brot
zu uns herüber. Das war für uns mehr als ein Geschenk des
Himmels. Dieses Brot wurde auch nach strengen Regeln verteilt.
Es wurden auch fast die Krümel gezählt. Wie viele gestorben
sind, weiss ich nicht.
Etagenbetten im Dauerlauf Tragen
Mancher musste auch aus unserem Latrinengraben
geholt werden. Es muss ja für den Ami wohl schwer gewesen sein,
plötzlich so viele Gefangene zu versorgen. Aber da alle von der
SS waren, hat er sich wohl mit der Versorgung nicht überschlagen.
Dieses Lager hat mehrere Wochen gedauert.
Einmal kam ein Amerikaner und suchte über 1000 Freiwillige,
die einen Stechschritt marschieren konnten. Der Ami wollte mal
gerne so etwas filmen. Für die Beteiligten sollte es
Sonderverpflegung und Zigaretten geben. Er bekam seine
Freiwilligen und konnte filmen. Ein deutscher höherer Offizier
wollte mir mal befehlen, vor einer amerikanischen Baracke zu
harken. Ich war aber einfach zu flau und verweigerte dieses. Da
bekam ich eine kraftige Ohrfeige von diesem Offizier. Da standen
dann viele Mitgefangene auf und nahmen eine drohende Haltung
diesem Mann gegenüberein. Gott sei Dank lief alles ruhig ab,
denn der Ami hätte glatt mit seinem MG dazwischen gefunkt.Nach
gut zehn Wochen kamen wir in mehrere, verschiedene andereLager.
Ich kam auf einen ehemaligen Flugplatz. Da wurde von uns dann in
einem ehemaligen Hangar auf halber Höhe der Halle ein Fussboden
eingezogen. Da wurden wir dann untergebracht. Läuse waren durch
Entlausung auch weg. Die Verpflegung wurde auch etwas besser.
Leider habe ich auch den Namen des Flugplatzes vergessen. Wir
haben auch da noch auf dem Fussboden schlafen müssen.
Wir, die auf dem Zwischendeck schliefen, hatten es nachts ein
bisschen wärmer. Wir wurden dan nach kurzer Zeit nochmals auf
andere Lager verteilt. Ich kam nach Plattingen. Zuerst in Zelte
von unseren eigenen Planen die wir noch hatten. Eine
Dreiecksplane gehörte mal zu unserer alten Ausrüstung. Wenn
sich vier zusammen taten ergab es ein Zelt für vier Personen -
war aber sehr eng. Aber wir hatten wenigstens ein Dach über den
Kopf. Bei Regen war es schon schlechter, denn die Planen hielten
ja nicht dicht. Die Verpflegung war auch sehr knapp bemessen.
Butter war so gross wie ein Zuckerwürfel (pro Tag ) Jeden Tag
wurde zur Arbeit marschiert, vorne weg die Offiziere. Die hatten
es am besten, denn da konnte man die Kippen der weggeworfenen
Zigaretten der Ami`s einsammeln. Bald kam auch eine
Beschwerde der anderen Soldaten an den Kommandanten des Lagers,
man möchte auch mal andere vorne marschieren lassen. Dies
wurde aber nicht geändert. Neben mir stand beim Antreten oft ein
Österreicher. Der hatte eine Sicherheitsnadel, mit der spiesste
er die gefundenen Kippen auf und konnte diese so fast bis auf
zwei Milimeter zu Ende rauchen. Dieser Österreicher sammelte
auch in den Mülleimern der amerikanischen Küche leere
Lebensmitteldosen und kochte diese mit Wasser aus zu einer fürchterlichen
Brühe. Aber der Magen hatte wenigstens etwas zu tun. Wir bauten
hier ein riesiges Barakkenlager mit zwei- und dreistöckigen
Betten auf. Später zogen wir da selbst rein. Es waren immer
grosse Blocks für rund 1000 Mann.
Zehn solcher Blocks wurden gebaut. Jeder Block hoch mit
Stacheldraht eingezäumt. Diese Blocks hatten eine Grösse von
100 x 100 Meter. Ich arbeitete meistens beim Fussbodenverlegen.
Wir legten Holzfussboden.Das war auch nicht so anstrengend. Auch
stand der Posten nicht immer daneben. Ich habe auch mal mit dem
Österreicher beim Betten zusammenbauen gearbeitet. Das war ein
harter Job. Denn wenn so ein Bett fertig war, musste es im
Dauerlauf mit 4 Mann zu einer Sammelstelle getragen werden. Wenn
der Posten nicht guckte, sagte ich immer: "Lauf doch
mal ein bisschen langsamer!" Aber mein Österreicher hatte
immer die Hosen voll und trieb uns mit an. Der Ami schoss schon
mal, wenn es zu langsam ging, eine Salve über uns weg. Die
Bewacher des Bettenkommandos waren meist jüdischer Herkunft. Es
war ein ganzer Teil der Bewacher dabei, die Angehörige im KZ
verloren hatten. Meistens aus Polen, Deutschland oder Frankreich.
Das bekam man aber erst nach und nach zu wissen. Richtige
Vorstellungen von einem KZ hatte ich sowieso nicht. Die ersten
Bilder des Greuels bekam ich bei diesem Bettenkommando zu sehen.
Ich wurde da von zwei Bewachern gerufen die auf so einem zweistöckigenBett
sassen. Als ich vor ihnen stand, zeigte mir der eine neue
Illustrierte, die voll von grausamen Bildern aus einem befreiten
KZ war. Seine Eltern waren auch in Polen umgekommen. Wohl war mir
nicht dabei. Der andere Ami neben ihm verhielt sich sehr zurückhaltend.
Dann holte mit einem Mal der wütende Ami mit dem Fuss aus und
wollte mir mit seinem grossen Stiefeln ins Gesicht treten. Dieses
hat der andere Ami in letzter Sekunde verhindert. Ob ich dawohl
froh war? Mit meinen 16 Jahren sah ich wohl mehr wie ein Kind als
ein Mann aus. Ich wurde dann auch gleich wieder zum Arbeiten
geschickt. Wie leichtsinnig man mitunter war, zeigt ein anderes
Beispiel. Da hatten wir einmal einen Bewacher, der schoss gern
auf Dosen und ähnliches.Von dem wurde ich mal gefragt, ob er mir
eine Zigarette aus dem Mund schiessen durfte. Ich willligte in
meinem jugendlichen Leichtsinn ein. Er schoss und es ging alles
gut. Ich glaube, ich bekam ausser Zigaretten auch
Schokolade von ihm. So etwas macht man nur einmal. Später suchte
der Ami für seine Kolonne die Leute, die er haben wollte, selber
aus. Ich wurde immer von einem geholt, der den Kraftfahrzeugpark
des Bataillones unter sich hatte. Ich wurde von ihm Sneip genannt.
Morgens wenn er kam und seine Leute holte, sagte er ständig zu
mir: Snipe (Sneip), come on. Ich konnte ja nicht viel englisch.
Bei unsererUnterhaltung pfuschte immer ein anderer Gefangener
dazwischen und wollte übersetzen. Später erzählte mir der Ami,
das er keine Kinder habe und in Amerika eine grosse Autowerkstatt
mit Tankstelle besässe. Ob ich nicht mit ihm nach Amerika kommen
wollte. Ich wollte aber endlich mal wieder nach Hause und so
wurde aus diesem einmaligen Angebot dann nichts. War vielleicht
ein Fehler, wer weiss?? Mittlerweile wurde unser
Barackenlager auch bezugsfertig. Das Lager hatte eine breite
Strasse in der Mitte. Links und rechts der Strasse waren jeweils
fünf Lager zu jeweils 1000 Mann. Das ganze war rund 500
bis 800 Meter lang. Jedes Lager hatte zur Strasse einen eigenen
Eingang. Die Strasse war nur zu einer Seite offen und durch ein
grosses Haupttor gesichert. Tor und Aussenzaun waren natürlich
streng bewacht. Im ersten Lager rechts vom Haupteingang war die
deutsche Lagerleitung drin. Ich bekam durch grossesGlück einen
Job als so eine Art Bote bei der Lagerleitung. Ich brachte Order
und Mitteilungen der Lagerleitung in die verschiedenen anderen
Lager. Diese wurden auch erst nach und nach mit Gefangenen aus
allen Ecken der amerikanischenZone gefüllt. Es war auch ein
Lager mit Russen da. Das gesamte Lager, rund 10 000 Mann, waren
alles ehemalige SS Angehörige. Es mögen auch noch andere
Nationalitäten da gewesen sein. Ich habe hauptsächlich noch die
Russen in meiner Erinnerung. Der Lagerleiter im Rang von einem
Oberstleutnant hiess Cäsar (oderZäsar). Sein Stellvertreter
Oberstleutnant Neumann, ein Fahnenjunker, und ich teilten uns
einen grösseren Schlafraum. Jeder hatte sein Zwei-Etagenbett.
Abgeteilt hatten wir unsere Ecken mit Wolldecken.Wir hatten es
uns so richtig gemütlich zurecht gemacht.
Wir hatte es im Lager besser als viele Menschen ausserhalb
Ich war natürlich für die Sauberkeit zuständig.
UnsereBetten haben wir selber gemacht. Der
Lagerleiter Cäsar war ein ehemaliger Rittergutsbesitzer. Im
Lager erfreute er sich grosser Beliebtheit. Sein Vertreter,
Neumann, war dagegen ein aalglatter Typ. Von mir wollte er immer
einiges in Erfahrung bringen über Cäsar und sein Tun und Lassen
wissen. Da musste ich immer sehr vorsichtig sein. Er äusserte
sich immer gegenüber dem Fahnenjunker (Namen leider vergessen),
das er eigentlich Kommunist sei. Der Lagerleiter und Vertreter
waren schon über 50 Jahrealt. Der Fahnenjunker war ungefähr 24
Jahre alt. Er war Journalist und wollte, wenn er wieder Zuhause
war, wieder seinen Beruf ausüben. DasZimmer nebenan von uns war
auch von einem äusserst interessanten Mann belegt. Der war
Leutnant oder Oberstleutnant. Seine Funktion in der Lagerleitung
war es hauptsächlich, zu dolmetschen. Hier tut es mir besonders
leid, das ich den Namen vergessen habe. Das war so ein richtiger
Abenteuertyp und Frauenheld noch dazu, wie sich später
herausstellte. Ihm waren an beiden Füssen alle Zehen abgefroren.
Wie er mir erzählte, war er früher mal Rollschuhkunstläufer
gewesen. Er hatte sich mit einem amerikanischen Offizier
angefreundet. Die beiden hatten sich etwas Unglaubliches erlaubt.
Das Lager existierte ja schon einige Zeit. Verpflegung,
Unterkunft, alles war mittlerweile mehr als sehr gut geworden.
Zigarettengab es auch. Zigaretten wurden unsere Hauptwährung.
Durch die Marketender-Zigaretten sank natürlich der Tauschwert
dieser Währung.
Nun zu den beiden Offizieren und ihren unglaublichen
Abenteuern. Anders kann man das wohl nicht nennen. Da kam eines
Abends der amerikanische Offizier, wie sonst auch, mit dem Jeep
angefahren und besuchte den SS Offizier. Nur diesmal sassen bei
der Wegfahrt zwei Offiziere in amerikanischen Uniformen im Jeep.
Da hatte der Ami tatsächlich für seinen deutschen Freund eine
amerikanische Offiziersuniform mitgebracht. So sind sie dann auch
nach München gefahren und haben Mädchen aufgerissen. Ich konnte
kaum glauben was ich da gesehen hatte. Das haben die beiden
mehrere Male gemacht. Dieser gefährliche Leichtsinn ist glücklicherweise
nie entdeckt worden. Auch von deutscher Seite nicht. Für den Ami
hätte das wohl den Ausschluss aus der Armee bedeutet oder mehr,
wenn man die beiden erwischt hätte. Der Ami war sowieso nicht
zimperlich bei der Bestrafung.
Durch meine Arbeit als Bote und Überbringer hatte ich sehr
viele Freunde und Bekannte im Lager, aber auch misstrauische
Neider. Ich konnte ja mit meinem Ausweis in jedes Lager gehen und
Besuche machen. Das war sonst für die anderen streng verboten.
Aber immer aus der Lagerleitung zu verschwinden, war auch für
mich nicht zu jeder Zeit möglich. In einem Lager, wo ich öfters
mal war, gab es etwas besonderes Trauriges zu sehen. Da
waren drei junge Soldaten, nicht viel älter als ich, die schwer
kriegsverletzt waren. So etwas habe ich auch später nie
wiedergesehen. Bei zwei von den dreien waren beide Arme und Beine
weg. Nur noch der Rumpf und der Kopf waren da. Diese beiden waren
trotz ihres Schicksals voll unglaublicher Dinge und Witz. Die
beiden waren auch von ihren Kameraden aufopfernd und rührend
umsorgt. Die Kameraden hatten auch alle möglichen Hilfsmittel
zur Lebenserleichterung für die beiden gebaut. Der Ami nahm
sogar regen Anteil an diesen vom Schicksal so hart gebeutelten
jungenMenschen. Wenn diese beiden nicht so enorm gut versorgt
gewesen wären, hätte der Ami diese Menschen in ein Krankenhaus
gebracht. Wie lange ein Mensch so leben kann, weiss ich nicht.
Der Dritte hatte es etwas leichter, weil er noch seine beiden
Arme hatte. Für den hatten seine Kameraden so ein Brett mit Rädern
gebaut. Damit konnte er sich wenigstens in der Baracke bewegen.
Bei den Russen war ich auch immer gerne. Bei denen war es wie in
einer richtigen Dorfgemeinschaft. Die hatten sogar einen Pastor
da. Der Pastor lebte in dem Lager sogar mit seinerFrau zusammen.
Zum Schluss sang die Frau des Pastors: Heimat deine Sterne
Dieses Ehepaar hatte mit einigen anderen auch mal ein Theaterstück einstudiert. Es konnte mit der Erlaubnis der Ami`s aufgeführt werden. Wir von der Lagerleitung waren bei der Urauführung dabei. Es mögen 500 Zuschauer dabei gewesen sein. Es war natürlich nur eine bestimmte Anzahl auf einmal erlaubt. Es gab viel Beifall. Aber dann, zum Schluss des Stückes, sang die Frau des Pastors (einzige Frau im Lager) : -Heimat deine Sterne - Da flossen Tränen. Aber als die schöne Russin mit dem Lied zu Ende war, folgte ein Beifall, Geschrei und Getobe, das der Russin wohl der Angstschweiss ausbrach. Das hörte sich auch beängstigend an. Das hatte sogar den Ami auf die Beine gebracht. Der kam mit einem Wagen voller Soldaten an, um den vermeintlichen Aufstand niederzuschlagen. Aber er brauchte mit seinen durchgeladenen MP`s nicht einzugreifen, als er hörte, was die Ursache war. Das war so ein Erlebnis, was man nicht vergisst ! Das Lager selbst, war noch streng bewacht. Bei den Arbeitskommandos, war die Bewachung nicht mehr ganz so streng. Es haute aber auch keiner ab. Denn erstmal wollten alle ordnungsgemäss mit Papieren entlassen werden, sonst bekamen sie draussen keine Lebensmittelkarten usw.und die vielen anderen Soldaten, die aus den ehemaligen Ostgebieten kamen, wehrten sich halbwegs gegen eine Entlassung, da sie ja kein Zuhause mehr hatten. Das war natürlich ein besonders hartes Schicksal für dieseMenschen. Ich glaube, wenn der Ami mal für ein paar Tage seine Bewachung aufgegeben hätte, wäre keiner getürmt. Denn wir hatten es mittlerweile im Lager besser, als die meisten Menschen ausserhalb des Lagers. Ganz zuschweigen von den Flüchtlingen, die im Lager lebten. Es gibt, wie überall, immer wieder Menschen, die ihre relativ gute Lage übel ausnutzten. So auch dieses fast unglaubliche Erlebnis. Es war mitten in der Nacht, als uns der Ami schwer bewaffnet aus den Betten jagte. Da war folgendes passiert: Die Arbeitskolonnen gingen morgens immer in 10 er Reihen zum Zählen durch das Haupttor zur Arbeit oder zum LKW,wenn weiter entfernt gearbeitet wurde. Dabei hatten es einige bei ihren Jobs fertiggebracht, mehrere Frauen kennen zu lernen. Diesen Frauen, fünf bis zehn, haben sie dann Lageruniformen angezogen und die gleiche Anzahl Landser draussen gelassen. Die Frauen wurden in diesen Zehnerreihen mit untergebracht und so durch das Haupttor mit eingeschleust. Der Ami hatte nichts bemerkt. Am nächsten Morgen sollte dann alles wieder getauscht werden. Ob da Frauen bei waren, die zu ihren Männern wollten, kann ich nicht mehr sagen. Jedenfalls hat dieses wohl irgend jemand den Ami wissen lassen. Der Ami ist dann in die betreffenden Unterkünfte gestürmt und hat die Frauen, so wie sie waren, aus den Betten geholt. Am Ende der Strasse hat er dann einen Stacheldrahtverhau gespannt. Dahinter mussten alle Frauen, nackt oder mit Hemd bekleidet, verschwinden. Dazu war es auch noch lausig kalt. Was mit den Männern geschah weiss ich nicht mehr. Das allerschlimmste für die Frauen war, das am nächsten Morgen alle Männer des gesamten Lagers da vorbei marschieren mussten. Ich erinnere mich, das die meisten von den draussen gebliebenen Landsern ins Lager zurückgekommen sind. ( Strafen unbekannt ) Der Ami war natürlich stocksauer. Alle Vergünstigungen für das gesamte Lager sollten gestrichen werden. Unsere deutsche Lagerleitung hat grosse Anstrengungen unternommen, um alles einigermassen human verlaufen zu lassen. Das Ganze war eine Dummheit hoch drei. Der Ami wurde natürlich strenger bei den Arbeiten ausserhalb des Lagers. Zu allen Lagern muss ich sagen, das der Ami uns immer verhört hat, um KZ-Bewacher und andere hohe Funktionäre ausfindig zu machen. Aber die meisten hatten sich wohl mit falschen Papieren eingedeckt, und waren in der Masse untergetaucht. Ab und zu erwischten sie aber doch einen. Wir im Lager hatten schon sehr viel ausgediente Uniformen der Ami`s an. Es musste gross hinten, PW ( POW) auf dem Rücken stehen. Da waren die Gefangenen sehr erfinderisch: Die Buchstaben wurden meistens mit Zahnpasta geschrieben. Wenn der Ami seine Kontrolle beendet hatte, konnte man die Zahnpasta wunderbar wieder auswaschen. Weihnachten 1945 war ich noch in Plattlingen. Da gab es natürlich für die meisten Gefangenen das grosse Heimweh. Es gab viele, die ihreAngehörigen und ihr Zuhause bereits ein bis zwei Jahre schon nicht mehr gesehen hatten. Das Weinachtsfest selbst war wunderbar gestaltet. In der Lagerleitung war dieses natürlich besonders schön, weil wir nicht so viele Landser waren und uns alle persönlich kannten. Aber ein Weihnachtslied zu singen, fiel wohl alle wegen eines Klosses im Hals schwer. Um diese Zeit herum war es wohl auch,a ls wir zum erstenmal nach Hause schreiben durften. Meine Eltern hatten ja seit Weihnachten 1944 nichts mehr von mir gehört. Wir bekamen spezielles Briefpapier vom Ami geliefert. Da konnte man sogar mit Feder und Wasser drauf schreiben. Wo das Papir feucht wurde, wurde es tintenblau. Zensiert wurde unsere Post auch. Aber unsere Angehörigen bekamen endlich Post von uns. An Silvester habe ich keine Erinnerung mehr.Es war natürlich strengstes Alkoholverbot. Aber ich glaube, unser Nachbar in der Baracke nebenan, der mit dem Ami befreundet war, hatte eine Flasche Schnaps gehabt. Dieser Mann war wirklich ein Lebenskünstler. Er konnte einfach aus jeder Situation das Beste machen. Etwa Mitte Januar 1946 hiess es, wir kämen in ein anderes Lager. Die Parole ging um, das Flüchtlinge in dieses Lager kommen sollten. Ob was an dem Gerücht dran war, habe ich nie erfahren. Aber ob das Lager ganz aufgelöst wurde, weiss ich nicht mehr. Ein Teil anderer Kameraden und ich, fuhren mit grossen dreiachsigen LKW`s und verrückten Fahrern zum ehemaligen KZ Dachau. Ganz wohl war uns sicher nicht dabei. Aber es wurde nicht so schlimm, wie wohl einige erwartet hatten. Ich kam in eine Baracke, die unmittelbar neben dem Aussenzaun und gegenüber von dem grossen Wirtschaftsgebäude lag. Wir waren ungefähr sechs bis acht Jugendliche, die sich in einer Ecke in den dreistöckigen Betten ihre Bleibe so gut es ging aufbauten. Die anderen waren alles schon ältere Soldaten in unserer Baracke. In dem ganzenLager waren natürlich nur SS-Angehörige. Es fehlte auch kein Dienstgrad. Wir hatten einen ganz besonderen Typ eines Untersturmführers (Leutnant ) in unserer Baracke mitwohnen. Erstens war er Blutordenträger. Er hatte in den dreissiger Jahren den Marsch mit Hitler zur Feldherrenhalle mitgemacht. Dieser war blutig niedergeschlagen worden, und es hatte allerhand Tote unter den Anhängern Hitlers gegeben. Die Überlebenden haben dann diesen berühmten Blutorden bekommen. Es mögen zwischen 10 und 20 Leute gewesen sein. Eine genaue Zahl der Überlebenden könnte man wohl durch Nachforschungen herausbekommen. Für meinen Erlebnisbericht wohl auch nicht so wichtig. Diesen Blutordensträger hatte man zu seinem Orden auch noch zum Untersturmführer ehrenhalber befördert. Wer ihn kannte, konnte darüber nur mit dem Kopf schütteln, denn es reichtebei dem eigentlich nicht mal zum Gefreiten. Fanatisch war er immer noch und ebenso jähzornig. Wir Jungen hatten mal vor dem Wecken seine Holzschuhe festgenagelt. Wecken, Aufstehen und Zählappel vor der Baracke musste immer schnell gehen. Wir waren schon angetreten, da hörten wir aus unserer Baracke ein Höllenspektakel. Unser Untersturmführer war in die festgenagelten Schuhe gesprungen und hatte eine deftige Bauchlandung gemacht. Aus Wut darüber hatte er angefangen, die ganze Bude zu demolieren. Die Ami`s luden ihre MP`s durch und stürmten die Bude. Die hätten ihn glatt erschossen, wenn er den Arm gegen sie erhoben hätte. Aber es ging glimpflich ab. Er musste alles wieder aufräumen. Mit uns hat er nie wieder gesprochen. Sonst war die Behandlung im Lager nicht schlecht. DieVerpflegung war nicht überreichlich, aber gut. Mit der Unterkunft waren wir sehr zufrieden. Ab und zu gab es auch mal Theateraufführungen im Speisesaal der Wirtschaftsbaracke. Es gab auch Arbeitsmöglichkeiten ausserhalb des Lagers. Bei so einem Kommando auf einem riesigen Benzinverladebahnhof in München war ich eine ganze Zeitlang mit dabei. Das Schönste dabei war, mal Zivilbevölkerung zu sehen. Von den LKW`s winkten wir immer den Mädchen zu. Abends in der Baracke wurde dann gestritten, welchesMädchen zu wem gewunken hatte. Es gab in diesem Lager sicher eineMenge Gefangener, die andere Sorgen hatten. Am anderen Ende des Lagers sollen ein ganzer Teil ehemaliger KZ Aufseher untergebracht gewesen sein. UnsererBaracke gegenüber war durch eine hohe Mauer besonders abgesichertes flachgemauertes Gebäude. In diesem Gebäude mit Zellenfenstern waren die berüchtigte Ilse Koch und andere untergebracht. Irgendwann erzählte man, das der Duce - Befreier Skorzeny ins Lager eingeliefert worden sei und auch in diesem besonders gesichertenTrakt untergebracht worden sei. Wir hatten bald spitz, dass man wunderbar vom Dach des Wirtschaftsgebäudes aus, auf die Zellenfenster gucken konnte. Die meisten taten es nur, um mal wieder Frauen zu sehen. Einigeder inhaftierten Frauen waren auch nicht kleinlich im Vorzeigen ihrer Reize.
Das wirkte irgenwie komisch: Hermann Göring von weissen Helmen eingerahmt .
Die wohl interessanteste Begegnung hatte ich (wir)
bei einem Theaterbesuch im Wirtschaftsgebäude. Wir hatten
uns schon gewundert, warum mehrere Bankreihen nicht besetzt waren.
Da wurde tatsächlich HermannGöring, bewacht von 20 bis 30 Militärpolizisten,
eingeführt. Die Bewacher setzten sich im Viereck ( nicht auf
Tuchfühlung ) um Hermann Göring herum. Das wirkte irgendwie
komisch; Göring von weissen Helmen eingerahmt. Wieso Göring
nach Dachau kam, war nie zu erfahren. Ob dieses in der
Prozesspause in Nürnberg immer gemacht wurde, oder warum auch
immer, war einfach nicht zu erfahren. Ich sah jedenfalls Hermann
Göring das dritte Mal in meinem Leben. So eine hohe Figurin
Gefangenschaft zu sehen, war schon eine Sensation. Einmal wurde
ein grosser Teil des Lagers aufgerufen, sich draussen zu
versammeln. Da wurde uns von einem gut deutsch sprechenden
amerikanischen Offizier ein deutscher SS General vorgeführt. Den
hatte man draussen, in einer Gärtnerei arbeitend, aufgestöbert.
Dieser wurde nach allen Regeln der Kunst vom Ami vor versammelter
Mannschaft lächerlich gemacht. Für diese hohen Dienstgrade gab
es einen besonderen Trakt im Lager. Hätte man diesen General bei
uns untergebracht, hätten wir bestimmt auch mal seine Schuhe vor
dem morgentlichen Zählappel festgenagelt. Wir kamen auch ohne
diese Leute gut zurecht. Wenn die Ami`s von unserem überdrehten
Blutordensträger gewusst hätten, wäre dieser wohl auch
gesondert untergebracht worden. Vielleicht wussten sie es, haben
ihn aber, wie wir anderen auch, nicht für voll genommen.
Das war eigentlich die schönste Bahnfahrt meines Lebens
Heute bereue ich es, das ich meine Erlebnisse
nicht schon früher aufgeschrieben habe. Denn heute sind doch
viele Erlebnisse ( Namen, Daten, Verhörmetoden usw. ) auch durch
gewollte Verdrängung, einfach aus dem Gedächtnis verschwunden.
Aber auch in der Kriegsgefangenschaft sprachen wir so gut wie gar
nicht über unsere Kriegserlebnisse. Für uns jüngere war die
Gegenwart und die ungewisse Zukunft viel interessanter.Wir
brachten uns auch gegenseitig Tanzschritte bei. Denn, wie wir hörten,
soll draussen feste getanzt werden. Das war wohl auch mit einer
unserer grössten Wünsche: ein Mädchen im Arm zu halten. Eine
Zeitlang hatte ich auch in einer grösseren Schmiede gearbeitet.
Das war für mich, als angelernter Maschinenschlosser ganz gut.
Denn ich hatte ja noch nicht ausgelernt. Die machten da viel
Kunstschmiedearbeiten für dieAmi`s. Leider war ich nur kurze
Zeit dort. Aber andererseits war ich auch wieder froh darüber,
denn der Schmied war ein grosser Klotz und ging nicht gerade
sanft mit mir um. Trotzdem hätte ich ganz gerne in der Schmiede
noch dazugelernt. Denn im Nehmen war ich auch nicht gerade
zimperlich. Aber irgendwie wurde ich woanders eingeteilt.
Hauptsache war, das man immer irgend eine Beschäftigung hatte
und keine Langeweile aufkam. Obwohl wir im ehemaligen KZ Dachau
untergebracht waren, hat man nie während unserer dortigen
Gefangenschaft versucht, uns das Grauen, das dort mal statt
gefunden hat, zu übermitteln. Mit höheren Dienstgraden und überführten
ehemaligen Aufsehern, ist das sicher anders gewesen. Wir haben
dies aber nie erfahren. Überführte haben sich gehütet, im
Lager darüber zu sprechen, denn sie wollten auch im Lager aus
naheliegenden Gründen sicher unerkannt bleiben. Einiges über
das KZ kam natürlich auch bei unseren Verhören durch den
amerikanischen Verhöroffizier zur Sprache. Mit uns Jüngeren war
er nicht ganz so streng bei den Verhören. Gefürchtet waren
diese Verhöre schon. Wenn alles klar war, konnte man damit
rechnen, nach Abschluss der Verhöre, seine Entlassungspapiere zu
bekommen. Ein Jahr nach Kriegsende und am Tag der Kapitulation
war ich noch in Dachau in Gefangenschaft. An den Tag kann ich
mich noch ziemlich genau erinnern, denn irgendwie mussten alle im
Lager bleiben. Draussen auf der anderen Seite des grossen
Doppelzaunes waren ein ganzer Teil Menschen zu sehen. Darunter
sollten viele ehemalige Häflinge des Lager Dachau gewesen sein,
die nun die Stätte der Pein als freie Menschen besuchten. Was
denen wohl in den Köpfen vorgegangen war, kann wohl nur einer
nachvollziehen, deres selbst erlebt hat. Naja, wenn man überliefern
und nachvollziehen könnte, hätten wir wohl für immer eine
heile Welt. Später hiess es, es wird ein Transport mit Leuten
aus der britischen
Zone zusammengestellt.
-Endlich Richtung Heimat-
Wir konnten alles mitnehmen, was wir so besassen. Ich besass z.B.
mehrere Jacken, Hosen, eine Pelzjacke, Schuhe und mehrere neue
Feldflaschen mit Speiseöl. Alles war noch von Plattling. Die
Feldflaschen mit dem Speiseöl hatte ich von unserem
Lagerspiess aus Plattling und sollte sie seiner Familie überbringen.
Ob das Öl noch gut war, weiss ich nicht mehr. Wir waren ca. 1000
Mann, die in Güterwagen mit nur einem amerikanischen
Begleitoffizier Richtung Münster Lager fuhren. Es war eigentlich
die schönste Bahnfahrt in meinem Leben. Den Empfang vom Engländerin
Munster Lager werde ich auch so schnell nicht vergessen. Denn der
stand da, mit einer Menge schwer bewaffneter Soldaten und
mehreren Panzerwagen. Das war wie ein schlechterTraum. Ob der Ami
wohl geschmunzelt hat ? Wir gewiss nicht ? Wir wurden zuerst in
grosse Nissenhütten geführt. Da mussten wir dann antreten und
unser Gepäck vor uns auf den Boden legen. Dann kam ein
englischer Offizier mit einen Stock unter dem Arm (üblich beim
englischen Militär). Er hatte einen deutschen Wehrmachtsoffizier
in seiner Begleitung dabei, in einer grün gefährbten Uniform,
auch mit einem Stock unter dem Arm. Die beiden schritten unsere
Front ab. Der deutsche Offizier nahm uns fast alle unsere schönen
Klamotten ab, samt meine Feldflaschen. Das grüne Personal,
ehemalige deutscheWehrmachtsoldaten, nannte man abgekürzt GSO (
German ServiceOrganisation). Der Engländer hatte diese GSO Leute
als Fahrer, Wachpersonal (unbewaffnet) und Dolmetscher bei sich
beschäftigt. Ob wir wohl wegen unserer Klamotten Wut im Bauch
hatten ? Auflehnen wäre uns wohl nicht gut bekommen, und wir
wollten ja auch so schnell wie möglich nach Hause. Ein ganzer
Teil der Gefangenen hatten schon ihre Angehörigen
benachrichtigen können, das sie im Munster-Lager sind und
entlassen werden sollten. Viele Familien waren daher angereist
und standen ausserhalb des Zaunes und konnten sich mit ihren Männern
und Angehörigen auf diese Weise zum Teil nach jahrelanger
Trennung wiedersehen. Aber dann gab es den grossen Knall. Der
Engländer liess bekannt machen, das alle gesunden und arbeitsfähigen
Männer nach England zum arbeiten abtransportiert werden sollen (
meistens im Bergwerk ). Diese Nachricht schlug wie eine Bombe ein.
Zur Untersuchung wurden im Freien Tische aufgestellt, wo pro
Tisch ein deutscher Arzt dieUntersuchungen vornahm. Als die
Nachricht noch nicht bekannt war, waren alle gesund. Aber nach
Bekanntgabe der Englandfahrt, humpelte fast das ganze Lager.
Viele haben sich mehr oder weniger schwer verstümmelt, um nach
Hause kommen zu können. Bei dieser Untersuchung traf ich
zu unser beider Überraschung meinen Vetter Heinrich Nielsen (
auch von Sylt ) wieder. Er hat mich auf Anhieb nicht gleich
wiedererkannt. Denn es standen ja auch alle unter grosser
Anspannung. Mein Vetter wurde wegen seiner Fussverletzung
entlassen. Ich wurde, weil ich noch keine 18 Jahre alt war,
entlassen. Die Freude darüber kann man nicht beschreiben. Was
wirkliche Freude ist, kann man nur durch solche Erlebnisse
erfahren.
Unter Geschrei der Vorarbeiter bin ich wieder runtergeklettert.
Wir wurden mit reichlich Verpflegung eingedeckt.
Dann ging die Reiselos. Erstmal ins Durchgangslager Segeberg.
Segeberg war auch Durchgangslager für Flüchtlinge. Dieses
Elend, was wir da zu sehen bekamen, war unbeschreiblich. Nicht
nur, das diese Menschen ihr Hab und Gut in der verlorenen Heimat
lassen mussten, es waren auch viele die von den Russen schwer
mishandelt worden waren. Die unglücklichen Kinderaugen vergisst
man auch nicht so leicht. Wir haben gleich unsere ganze Butter
usw. an diese armen Menschen verschenkt. Wir dachte natürlich
auch, das wir bald nach Hause kämen und dann ja alles hätten. (
Irrtum ) Wir machten uns, nach dem wir unsere Papiere fertig
hatten, auf den Weg Richtung Niebüll. Heute 1996 von Sylt nach
Paris zu kommen, ist gewiss einfacher als 1946 von Segeberg nach
Niebüll. Mein Vetter blieb noch bis zum nächstenTag in Niebüll,
weil er dort von einem ehemaligen Kameraden eine Nachricht überbringen
wollte. Ich bin weiter gefahren.
Auf halben Weg vom Bahnhof nach Hause, traf ich als
erstes bekanntes Gesicht, unsere Nachbarin L.G. Nach dreizehn
Monaten Gefangenschaft und vier Monaten Militärzeit war es natürlichein
überwältigendes Gefühl, unsere Strasse mit der bekannten
Umgebung wieder zu sehen. Ich konnte es immer noch nicht fassen,
das ichnun endlich die Tür von Zuhause hören konnte, an die ich
an der Front oft gedacht habe. Das mögen kleine Dinge sein, aber
sie können eine grosse Bedeutung haben. Zuhause gab es natürlich
das grosse Wiedersehen. Meinen 18 Geburtstag konnte ich zu Hause
feiern, obwohl ja alles knapp war. Nun ging erst mal die ganze
Anmelderei los. Ich war ca. 14 Tage zu Hause, da bin ich wieder
zur Sylter Inselbahn und habe meine abgebrochene Lehre als
Maschinenschlosser weitergemacht. Das war auch ein Erlebnis, die
alten, bekannten Gesichter der Gesellen wieder zu sehen. Es war
auch wiederum eine komische Situation für mich, denn nun durfte
ich in den Pausen nicht rauchen. Die Gesellen wurden alle mit Sie
angesprochen. Zu Hause musste ich Abends pünktlich um 22 Uhr
sein. Aber Lehrjahre sind nun mal keine Herrenjahre sagt man.
DieLehre bei der Inselbahn hat mir trotzdem Spass gemacht. Leider
war die verlorene Zeit durch Militär und Gefangenschaft nicht
mehr aufzuholen. Die Prüfungbestand ich trotzdem. Eines Morgens,
ich war schon ungefähr ein Jahr wieder zu Hause und hatte länger
geschlafen. Meine Mutter machte sauber. Fenster und Türen
standen zum Lüften auf, da knallte meine Zimmertür vom Durchzug
mit grosser Wucht zu. Ich hatte wohl auch gerade vom Krieggeträumt.
Ich hatte so einen Schreck ( Schock ) bekommen, das einArzt
kommen musste. Den Geruch verbrannter Menschen und Pferde hatte
ich immer noch Zeitweise in der Nase. Aber meine Jugend hat mir
viel bei derVerdrängung des Erlebten geholfen. Ich möchte auch
kaum mit jemanden über meineErlebnisse sprechen. Meine Wut auf
Uniformen war so gross, das mir sogar die Bahnbeamten mit ihrer
Uniform ein Dorn im Auge waren. Politisch war die Zeit auch
interessant. Bei Wahlveranstaltungen aller Coleur war es immer
proppenvoll. Meine Freunde und ich, besuchten fast alle
Veranstaltungen aller Parteien. Aber mit der Demokratie
umzugehen, mussten wir erst noch lernen. Unsere
Freizeitbestand meistens darin, tanzen zu gehen. Alle Lokale
hatten eineTanzkapelle. Die Kleidung der Männer bestand meist
aus ehemaligen Uniformen. Marinehosen waren schon etwas
besonderes. Sogar ehemalige Jacken der Panzerfahrer tauchten auf.
Viele Mädchen trugen Blusen und Röcke aus karierten Militärbettbezug.
Die Not war eben sehr gross. Aber wir machten das Beste daraus.
Schnaps haben wir auch schon mal selbst gebrannt. Dieses war natürlich
strengstens verboten. Zigaretten waren besonders knapp, daher natürlich
beste Währung. Der Schwarzmarkt blühte. In der Zeit lernte ich
meine heutige Frau Gisela kennen. Sie war damals 16 Jahre alt. In
den Lokalen war der Eintritt erst ab 18 Jahren erlaubt. Wenn die
Kontrolle kam, hatte ich meistens eine Schulkollegin, die über
18 Jahre war und schon kontrolliert war. Sie ging dann nach
draussen und reichte meiner damaligen Freundin ihren Ausweis
durch das Toilettenfenster rein. Das ging immer sehr gut.
Schlimmer war es, wenn der Engländer eine Razzia machte. Der
nahm dann kurzerhand immer alle Mädchen mit auf LKW, mit denen
sie zur Nordseeklinik gefahren wurden. Dort wurden sie auf
Geschlechtskrankheiten untersucht. Darüber waren wir natürlich
immer stinksauer. Der Abend war dann natürlich im Eimer. Einmal
haben wir, als eine Razzia im alten Kursaal war, dem Engländer
die Luft aus den Reifen gelassen. Die haben uns noch mehrere
Kilometer am Strand verfolgt, aber nicht bekommen. Sonst vertrug
man sich einigermassen mit den Engländern. Die gingen ja auch
mit ihren Mädchen zumTanzen ins Lokal, in denen auch Deutsche
waren. Die meisten Engländer hielten sich aber hauptsächlich in
ihren eigenen Messen (Pub) auf. Da war natürlich für Deutsche
kein Zutritt. Deutsche Mädchen in Begleitung eines Engländers
konnten aber mit rein in den Pub. Das schönste an dieserZeit
war, das die Menschen sehr zusammengehalten hatten. Wir waren
immer eine grössere Gruppe zusammen, die zum Tanzen nach
Wenningstedt, Keitum oder wohin auch immer gingen. Die Mädchen
waren meist in grosser Überzahl auf dem Tanzboden. Das war
hauptsächlich durch die grosse Menge Flüchtlinge auf der Insel
zu erklären. In Diekjen Deel, wie ich mich erinnere, bewohnten fünf
Familien einen Raum. Diesen hatten sich die Bewohner mit
Wolldecken unterteilt. Das Elend war unbeschreiblich, Kasernen,
Baracken, Hotels, Pensionen und Privathäuser waren vollgestopft
mit Flüchtlingen. Dazu gab es auf der Insel so gut wie keine
Arbeit. Das Arbeitsamt war gegenüber der Alten Post im alten
Hotel Deutscher Kaiser. Da musste man sich jede Woche einmal
melden und bekam einen Stempel in seine Stempelkarte. Oft standen
mehrere hundert Arbeitslose Schlange vor dem Arbeitsamt. Im
Winter bei eisiger Kälte, war das keine schöne Angelegenheit.
Ich zog damals zu meinem Freund Max Jensen in die Bastianstrasse
in ein kleines, winziges und ungeheiztes Zimmer. Denn wer zu
Hause wohnte, bekam überhaupt kein Stempelgeld. Das war
meineJugendzeit. In dieser Zeit von Not und Elend hat man sich
nicht mit der Überlieferung und über das Tun und Lassen der
Dritten Reiches beschäftigt. Dafür hatten die Menschen ganz
andere Sorgen und nach den gemachten Erlebnissen und Erfahrungen
glaubte man sicher, das eine Wiederholung auch nur in ähnlicher
Form vollkommen ausgeschlossen sei. Heute weiss man, das eine
bessere Überlieferungan die folgenden Generationen sehr
hilfreich gewesen wäre. Dann würde auch so mancher Politiker
heute besser zu diesem Thema argumentieren können. Eine Rückblende
in sachlicher Form als Lehre sollte für uns immer unerlässlich
sein.
Mittlerweile wurde die Notstandsarbeit eingeführt. Wer eine
gewisse Zeit gestempelt hatte, musste diese Notstandsarbeit
verrichten. Das war fast nur Arbeit mit Spaten und Schaufel (Kanalisation
usw.). Ich bekam mal, weil ich Schlosser war, eine Zuweisung zu
einer Abrissfirma in List, die die Flugzeughallen demontierte .
Da waren schon mehrere tödliche Unfälle passiert. Ich war auch
gerade zehn Minuten in etwa zwölf Meter Höhe und sollte
einen Träger abbrennen. Als ich rundherum
dieSicherheitsmassnahmen sah, bin ich unter Geschrei der
Vorarbeiter wieder runtergeklettert und habe meine Papiere
verlangt ( Heute würde man solche Firmen vor Gericht bringen ).
Der Mann vom Arbeitsamt hatte für mich Verständnis, und so
bekam ich mein Stempelgeld weiter. Das wurde sonst nicht so
gehandhabt. Viele junge Leute waren damals vom Engländer
im Ruhrgebiet verpflichtet worden. Dort gab es vor allen Dingen
im Bergbau viel Arbeit. Im Bergbau zu arbeiten war mehr als ein
harter Job. Viele, die einen anderen Beruf erlernt hatten, fanden
auch Arbeit in diesem Beruf. Auf der Insel war es immer noch eine
grosse Glückssache, wenn man mal für ein paar Wochen Arbeit
bekam. Das Geld reichte knapp für die Zimmermiete und Kostgeld für
zu Hause. Es war gar nicht daran zu denken, neue Garderobe
zu kaufen. Die Zukunft für uns junge Menschen sah nicht
gerade rosig aus. Unser Hauptvergnügen war es meistens,
abends zum Tanzen zu gehen. Vor allen Dingen im Winter, da waren
die Lokale geheizt. Tanzschulen waren zu der Zeit gross im Kommen.
Meistens wurde ein Heissgetränk getrunken. Eintritt musste wegen
der Gage der Kapellen gezahlt werden. Die Preise waren dem
Geldmangel aber angepasst.
Von Hamburg nach Düsseldorf mit dem Fahrrad
Da ich inzwischen verlobt war und es auf Sylt keine Möglichkeit gab, auf den grünen Zweig zu kommen, habe ich meinen Holzkoffer auf mein altes Fahrrad geschnallt und bin im Oktober 1950 Richtung Rheinland aufgebrochen. 50 Mark hatte ich mir als Reisekasse zusammengespart. Damit konnte man bei einer sehr sparsamen Lebensweise gute drei Wochen auskommen. In Niebüll bin ich auf das Rad gestiegen und Richtung Husum reradelt. Es war Rauhreifwetter. In Husum lernte ich zwei Kraftfahrer kennen, die mit ihrem kleinen LKW nach Eckernförde sollten und einenTag später nach Hamburg weiter wollten. Bis nach Hamburg wollten sie mich auch mitnehmen. Das war natürlich ein grosser Sprung in meine Richtung. Erstmal musste ich mir eine Unterkunft für die kommende Nacht suchen. Ich weiss nicht mehr auf wie vielen Stellen ich war. Es gab einfach keine Möglichkeit unterzukommen. Beim Roten Kreuz war ich mehrere Male. Zuletzt bin ich zur Polizei gegangen, um mein Glück zu versuchen. Ich musste lange reden, bis sie sich erweichen liessen. Freie Zellen hatten sie nicht. Aber wenn ich wollte, konnte ich im Spritzenhaus übernachte. ( Spritzenhäuser waren früher so eine Art Gefängnis ). Da war auch noch ein älterer Mann aus der Ostzone, der auch eine Übernachtungsmöglichkeit suchte. So hatte ich wenigstens Gesellschaft. Wir wurden natürlich eingeschlossen. Im Gebäude drinnen war alles kahl und nur Betonfussboden. Dazu war es lausig kalt. Decken hatten wir auch nicht. Da haben wir uns dann, als wir es vor Kälte nicht mehr ausgehalten hatten, Späne aus den Balken geschnitten und ein offenes Feuer gemacht. An Schlafen war nicht mehr zu denken. Das Feuer war auch kläglich. Nächsten Morgen wurden wir wieder von der Polizei befreit. Wir haben wohl bös ausgesehen, dazu kohlrabenschwarz im Gesicht von dem Feuer ! Wir mussten bei der grossen Not und dem Platzmangel, die in ganz Schleswig-Holstein durch den imme rnoch anhaltenden Flüchtlingestrom herrschte, dankbar sein. Wir waren beide allerdings fix und fertig. An das Auto Richtung Hamburg war in meinem Zustand nicht zu denken. So haben wir uns beide wieder an das Rote Kreuz gewandt und um Hilfe gebeten. Mein Kumpel, der von Beruf Melker war, konnte an einen Bauernhof vermittelt werden. Das war zu derZeit schon ein riesiges Glück. Mit mir hatte die Angestellte vom Roten Kreuz soviel Mitleid, das sie mich zu sich mit nach Hause nahm. Da konnte ich mich erst mal waschen, bekam zu essen und ein Bett. Es war eine grosse, nette Familie. Von der Frau war das eine aussergewöhnlich grosse, menschliche Geste. Denn zu jenen Zeit, hatte jeder sein eigenes schweres Schicksal zu tragen. Dazu waren die Menschen vom Roten Kreuz jeden Tag total überfordert. Dank dieser Familie bekam ich am nächsten Tag einen Platz auf einem LKW Richtung Hamburg. Von Hamburg bin ich fast die ganze Strecke bis Düsseldorf mit dem Rad gefahren. Details dieserTour sind mir entfallen. Bis Düsseldorf habe ich volle 14 Tage gebraucht. In Düsseldorf habe ich mein Fahrrad erstmal in der Gepäckaufbewahrung aufgegeben. Übernachtet habe ich mehrmals in einem Obdachlosenheim ( in einem ehemaligen Luftschutzbunker). Am Tag bin ich dann los auf Zimmersuche. Das war aber ein hoffnungsloses Unterfangen. Arbeit gab es genug, aber nur wenn man eine feste Bleibe nachweisen konnte. Das war ein Teufelskreis. In Düsseldorf wollte ich mich eigentlich mit einem anderen Westerländer treffen, der mit dem Zug kommen wollte. Irgendwann nach Tagen haben wir uns tatsächlich in einem Obdachlosenheim wieder getroffen. Wir hatten bald von Düsseldorf die Nase voll. Wir sind dannin Richtung Duisburg-Hamborn-Meiderich weitergegangen. Da war aber das Gleiche wie in Düsseldorf. Keine Arbeit ohne Bleibe und umgekehrt. Nach langem Suchen fanden wir endlich Arbeitin einer Baufirma - Sager und Woerner- in Meiderich. Diese Firma hatte Wohnungbaracken auf dem Gelände aufgestellt, auf dem auch gebaut werden sollte. Das ganze Gelände war ein Schlammloch. In unseren Wohnräumen lag nachher, vom Reintreten, über 5 cm Schlamm. Wir wohnten zum Teil mit acht Personen in einem Raum. Von derFirma wurden vor allen Dingen Maurer gesucht. Aber da waren nicht viele unter uns, die diesen Beruf oder ähnliches gelernt hatten. Da wurden dann einfachLeute von uns ausgewählt und ein paarTage angelernt und dann als Maurer eingesetzt. Ich wurde als Maurer eingestzt, weil mein Vater Maurer war. Die Poliere waren da natürlich voll gefordert. Denn die Bauten mussten bald bezugsfertig sein. Ich schätze, das wir rund 200 Arbeiter gewesen waren. Das Arbeitsklima war aber auch wunderbar. Verdient wurde auch gut. Jeder konnte so viel Überstunden machen, wie er wollte und konnte. Unsere Tage bestanden nur aus Arbeiten und Schlafen. Ich war bei dieser Firma vom 7.11.1950 bis zum 6.12.1950. Bei dieser Firma hatte ich mich mit einem Arbeitskollegen ausDuisburg-Hamborn angefreundet. Bei ihm konnte ich erstmal wohnen und mir so eine Arbeitsstelle als Schlosser suchen. Bevor ich das tat, habe ich mich aber erstmals nach Kriegsbeginn neu eingekleidet, ein neues Fahrrad gekauft und eine Rückfahrkarte nach Westerland gelöst. Da war mein Geld auch bald alle. Aber ich hatte mir, wenn ich zurück nach Hamborn komme, eine Unterkunft und eineArbeit gesichert. Das war eigentlich alles in allem für fünf Wochen in der Fremde eine gute Bilanz. Ich fuhr erst einmal nach Hause zum Weihnachtsfest. Aus das Wiedersehen mit meiner Verlobten Gisela freute ich mich natürlich besonders. Sie hatte zu der Zeit ein kleines Zimmer bei meinen Eltern. Zuhause zahlte ich dann mit meinem Fahrrad als Kostgeld. Anfang Januar fuhr ich dann wieder runter nach Duisburg-Hamborn. Bei der Firma Josef Brand habe ich dann bis 1953 als Schlosser gearbeitet. Wir stellten alles her, was so im Bergbau gebraucht wurde. Einmal bin ich für unsere Firma in so ein Bergwerk eingefahren ( nie wieder !). Was Bergleute da unten leisten mussten, war schon ungeheuerlich! Die hatten auch immer Durst, wenn sie ans Tageslicht kamen. Drei Kneipen vor einem Zechentor waren keine Seltenheit! Überhaupt war rundherum Grossindustrie. Wenn die Hochöfen angestochen wurden oder von den Kokereien sah es Abends immer so aus, als wenn der ganzeHimmel brannte. Wenn man eine Stunde mit einem hellen Hemd auf der Strasse ging, war der Kragen schwarz. Die Häuser waren auch schon mehr schwarz als rot. Die Gegend war nichts für mich. Ich wollte nicht für immer hier bleiben.
Solange es Menschen gibt, wird es auch Kriege geben
Ich verdiente aber gutes Geld, rund 50 Mark in
der Woche. Inzwischen konnte ich mir auch ein Zimmer besorgen,
das ich mit einem Bergmann teilte. Wir wuschen uns in einem
Waschbecken in der Küche. Die Wirtin, eine ältere Witwe,
verschwand dann immer so lange. Das Zimmer kostete inkl. Wäschewaschen
und Kost, 28 Mark die Woche. Eines Tages stand meineVerlobte plötzlich
ohne vorherige Anmeldung vor der Tür. Das gab natürlich
Probleme mit der Unterbringung. Wir hatten aber riesiges Glück,
denn sie bekam eine Stellung im Haushalt bei einem Kokerei-Direktor.
Dort bekam sie ein Zimmer mit Zentralheizung. Dieses Glück zur
damaligen Zeit war schon aussergewöhnlich. Zentralheizung war
sowieso eine Rarität. Ich durfte sie auch zu jeder Zeit, ausser
Nachts, besuchen. Direktor Meurer war eine echte Persönlichkeit.
Ich schreibe auch darüber, um zu versuchen, ein bisschen aus
jener Zeit zu übermitteln.
1952 haben wir geheiratet. Eine kirchliche Trauung war nicht möglich,
da ich ja nicht konfirmiert war. Es fehlten mir ja, wie bereits
erwähnt, drei Monate von zwei Jahren an Konfirmationsunterricht.
Meine Frau und ich haben dann noch ein Jahr in Duisburg-Hamborn
gearbeitet. 1953 zogen wir wieder nach Westerland. Wir bekamen auch bald eine
Wohnung über den Flüchtlingeausweis meiner Schwiegermutter. Die
Schwiegermutter wohnte oben und wir unten. Die Wohnung hatte eine
Wohnfläche von ca. 42 qm. Eine Wohnung in einem Neubau war 1953
schon ein grosses Glück. Bald meldete sich bei uns der
ersteNachwuchs an. Der sollte nun getauft werden. War aber nicht
möglich, da wir nicht kirchlich geheiratet hatten und nicht
konfirmiert waren. Nach Rücksprache mit Pastor Wilken, gab es
die Möglichkeit, die Trauung und die Konfirmation nachzuholen.
Aber dann müssten wir nochmals drei Monate
Konfirmandenunterricht mitmachen. Das taten wir dann auch, denn
ohne kirchlichen Segen wollten wir nicht gerne leben. Dasselbe
Schicksal hatte meine Schwester und ihr Mann auch. So gingen wir
zu viert, einmal in derWoche abends zum Unterricht. An irgend
einem Sonntag im Juni 1954 wurden wir kirchlich getraut und
konfirmiert. Nun stand der Taufe von unserem Sohn Udo
nichts mehr im Wege. Dabei war für mich der Glaube absolut unerlässlich.
Trotzdem hatte ich so meine Schwierigkeiten mit dem "Bodenpersonal".
Heute würde man wohl toleranter verfahren. Aber auch dieser
Vorgang erschien mir erwähnenswert. Arbeit war auf der Insel
immer noch knapp. Meine Schwiegermutter zog bald aus, in eine
eigene Wohnung. Ich bekam Arbeit bei dem Engländer auf dem
Flugplatz. Unsere Miete, 50 DM im Monat ,haben wir oft in drei
Raten zahlen müssen. Ein Dreirad für den Jungen wurde ebenfalls
in drei Monatsraten zu zehn Mark bezahlt. Die Tochter unseres
Nachbarn sollte zu Weihnachten auch ein Dreirad bekommen. Der Händler
verlangte von mir, weil er ihn nicht kannte, das ich für unseren
Nachbarn bürge. Das waren schon harte Zeiten für die Menschen!
Unsere Winterfeuerung z.B.war immer knapp bemessen und schwer zu
bezahlen. Möglichst nicht so früh am Morgen mit Feuermachen
anfangen, war unsere Spardevise, eine von vielen anderen ! Aber
es ging allen anderen Menschen auch nicht besser. Im Gegenteil,
die Menschen ( hauptsächlich Flüchtlinge), die sich mit ihrer
ganzen Familie ein Zimmer teilen mussten. Viele dieserUnterkünfte
hatten nicht mal einen Schornsteinanschluss. Da hat man einfach
das Ofenrohr durch das Fenster rausgeleitet.. Es gab eben keine
andere Alternative. Denn frieren ist noch schlimmer als hungern.
Im Herbst halfen wir den Bauern bei der Kartoffelernte. Bezahlt
wurde mit Kartoffeln. So kamen wir einigermassen über die Runden.
Ich wollte schon vorher die Musik mal erwähnt haben. Im Krieg
war das Tanzen ja verboten gewesen. Nach dem Kriegsende war da
natürlich ein grosser Nachholbedarf. Es wurde hauptsächlich
Tango, langsamer Walzer, Slowfox, Walzer und Swing getanzt.
Zum Teil machte sich mehr oder weniger in den fünfziger Jahren
der Einfluss der amerikanischenMusik bei uns bemerkbar. Diese
beschwingte Art machte sich in der Tanzmusik bis hin
zurWeihnachtsmusik bemerkbar. Diese Entwicklung wurde zu der Zeit
lange nicht von allen mit Freude aufgenommen, denn die Generation
und auch die Älteren waren da noch sehr konservativ eingestellt.
Es brauchte damals eine ganze Zeit, bis man sich damit
anfreundete. Man sagte zu der Zeit: "Es wird wohl alles
verjazzt"! Dann kam der Rock`nRoll. Damit gab es
natürlich auch mal Schwierigkeiten auf dem Tanzboden, weil dafür
viel Platz nötig war. Ich konnte mich auch nicht so recht an
diesen wilden Tanz gewöhnen. Dabei war die Rock`n Roll Musik
eigentlich das, was die Jugend zu der Zeit gebrauchen konnte!
Persönlich meine ich, das es bis zum heutigen Tage nichts
Vergleichbares gibt. Als man sich mit der Musik angefreundet
hatte und Elvis Presley seines dazu gegeben hatte, war das schon
eine kleine ( odergrössere ) Revolution zu der Zeit.
Mittlerweile wurde es auf Sylt etwas besser mit der
Arbeitsplatzsituation. Das Ende der fünfziger Jahre nahte.Viele
Flüchtlinge haben sich ins Rheinland umsiedeln lassen. Viele
Insulaner fingen auf der Insel an, ihreHäuser zu bauen. Ein
Quadratmeter Bauland war noch für 50 Pfennig zu haben. Ich komme
nochmals auf das Jahr 1956 zurück. Da arbeitete ich bei der
Heizungsfirma Rudolf Otto Meyer in den Lister Kasernen als
Monteur. Zu der Zeit wurde ja die Bundeswehr auf die Beine
gestellt. Für mich brach fast eine Welt zusammen, als das
bekannt wurde. Denn ich und viele meiner Mitmenschen zu dieser
Zeit, glaubten sicher, das Deutschland mehr aus der Geschichte
und Vergangenheit gelernt hätte. Zu der Zeit (1956) musste man
wohl antworten: "Denkste!!" Wir sprachen natürlich die
zukünftigen Soldaten auf ihre Motive an. Es waren meistens
Soldaten, die im letzten Krieg schon gedient hatten und jetzt
wieder freiwillig zur Bundeswehr gingen. Die Antwort auf unsere
Fragen war fast immer gleich. Sie sagten: "Wir haben ja
nichts anderes gelernt oder sollten wir als Schuhputzer arbeiten
??" Eine für mich nicht nachvollziehbare Entwicklung.
Heute, 1996, sieht man da doch einiges anders. Wenn man die
Gegenwart, aber auch die Geschichte unserer Welt betrachtet, dann
kommt man wohl oder übel zu folgender Erkenntnis: "Solange
es Menschen gibt, wird es auch Kriege geben!" Darum soll man
immer auf der Hut sein und die Entwicklung verfolgen und dann
soll es uns nie gleichgültig sein, welcher Geist in unserer
Bundeswehr und in den Menschen dieses Landes steckt.
Ich hoffe, dass die Bundeswehr immer ihre Vornehmliche Aufgabe wahrnimmt und für den Frieden arbeitet.
Denn zum Frieden gibt es keine Alternative.
Schlusswort:
Eigentlich war ich immer zu faul zum Schreiben.
Selbst eine Postkarte war mir schon zu viel. Andererseits, war es
mir schon seit Jahren ein Bedürfnis, vor allen Dingen meine
Kriegserlebnisse, als 16 jähriger Soldat festzuhalten. Durch die
vergangenen Jahre, habe ich natürlich vieles vergessen, worüber
ich noch gerne berichtet hätte. So manches Erlebnis wurde wieder
geweckt, als ob es erst gestern gewesen wäre, und hat mir
schlaflose Nächte bereitet. Wenn auch, als Einzelerlebnis
geschrieben, so sollte es doch auch an das unermessliche Leid
vieler Menschen, und an die damalige Zeit erinnern. Frauen
mussten und haben, Unwahrscheinliches leisten müssen, und
geleistet.
Kinder ( Jugendliche ), 15 und 16 Jahre alt wie wir waren,
wurden an die Front geschickt.
J u g e n d z e i t w a r e i n F r e m d w
o r t !
Mit diesem, meinem Bericht, soll vor allen Dingen daran
erinnert werden. Dies alles habe ich spontan niedergeschrieben,
wobei ich, es kein zweites Mal tun würde. Meine Hoffnung ist,
das diese persönlichen Erlebnisse, späteres Interesse finden
werden. Erschreckend ist für mich die Tatsache, wie
manipulierbar der Mensch doch ist, obwohl es in unserer
Geschichte das Dritte Reich gab! Eigentlich müsste unsere Welt,
nach all den gemachten Erfahrungen, in Ordnung sein. Das dies
aber nicht der Fall ist, gibt mir schwer zu denken.
Die Zahl der Opfer des Zweiten Weltkriegs wird auf über 50 Millionen geschätzt,mehr als die Hälfte davon Zivilisten. In den deutschen Zeitungen der späten Kriegsjahre beanspruchten die Listen mit der Überschrift"Gefallen für Führer, Volk und Vaterland" immer mehr Raum. Keine öffentlichen Listen gab es für die Opfer von Besatzungsterror, Kriegsgefangenschaft, Zwangsarbeit und rassischer Verfolgung, ebenso wenig für die Opfer des Partisanenkriegs oder des alliierten Luftkriegs. Hunderttausende deutscher Soldaten blieben viele Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Millionen von Menschen waren vermißt. Ihr Schicksal konnte nie oder erst nach Jahren oder Jahrzehnten geklärt werden. Dieser totale Krieg unterschied nicht mehr zwischen Soldaten und Zivilisten, zwischen Männern und Frauen, zwischen Erwachsenen und Kindern und verursachte in bisher ungekanntem Ausmaß Angst, Unfreiheit, Schmerz, Krankheit, Trennung, Hunger, Verwundung, Entfremdung, Verlassenheit, Tod. Für die meisten Deutschen vermischten sich die Kriegserfahrungen mit dem Erlebnis einer tiefgreifenden Niederlage. Sie war nicht allein eine militärische, sondern auch eine politische, wirtschaftliche, vor allem aber eine moralische Katastrophe.