Flucht aus Danzig 1945
niedergeschrieben von Udo Witte am 25.2.02

 
 
Gisela Splitt geb. 1.9.1931                                           Gisela heuteGisela mit Katze 2009

Danzig Wappen


 

Als Mitte Januar 1945 die sowjetische Großoffensive, der ›Sturm auf das Reich‹, begann, die fast gleichzeitig die Erreichung der Ostseeküste in Ostpreußen, Westpreußen und Pommern zum Ziel hatte, begann die Massenflucht der Zivilbevölkerung in die Häfen Königsberg, Pillau, Danzig, Neufahrwasser und Gotenhafen, die in wenigen Tagen zu ›Flüchtlingshäfen‹ wurden. Die Flüchtlinge, (lese eine Beschreibung hier) ausnahmslos Frauen, Kinder und Greise, die zur ›nichtkampffähigen Bevölkerung‹ gehörten, kamen mit Trecks oder mit der Bahn in die Ostseehäfen in der Erwartung, hier von einem Schiff aufgenommen und über die Ostsee nach Westen gerettet zu werden.

Der Krieg war gewaltsam, mit täglichen Luft und Artillerie Angriffen und mit Kämpfen von Haus zu Haus. In vielen Städten die von den Russen erobert wurden, musste die Zivilbefölkerung stark leiden. Die Vergewaltigung von Frauen jeden Alters, vom Kind bis zur Greisin, stand auf der Tagesordnung. Viele Frauen wurden mehrmals vergewaltigt, manche bis zu 50 mal und mehr. Viele starben an den Folgen dieser schweren Misshandlung. Die, die diese Tortur überlebten hatten, bekamen anschliessend Geschlechtskrankheiten. Schätzungen zur Folge geht man von ca. 3 000 000 vergewaltigten Frauen aus.

Durch Propaganda und Flugblätter wurden die russischen Soldaten aufgefordert alle Deutschen zu töten.

Die Front rückte bedenklich näher an Danzig heran, Gisela konnte schon entfernt, immer näherkommende Böllerschüss hören!

Der Schulunterricht wurde auch sehr oft durch Luftalarm unterbrochen, und die Klassenzimmer wurden zunehmend als Lazarett für die verwundeten Soldaten benutzt. Dadurch bekam Gisela sehr wenig Unterricht und wegen der Flucht musste der Schulgang nach ca. der vierten Klasse unterbrochen werden. Ausserdem schwänzte sie sehr oft bei den Rechenstunden, da diese ihre schwache Seite waren.

Durch die Berichte der unzähligen Flüchtlinge hatte Gisela auch von den Greuelstaten der Russen gehört und hatte deshalb natürlich auch eine grosse Angst vor den Russen. Da war auch die Angst vor Bombenangriffen, wo Gisela aus Angst ihr Zeug verkehrt anzog und der unheimliche Aufenthalt im Luftschutzkeller, wo man nur die notwendigsten Dinge mitbringen konnte. Der Luftschutzkoffer enthielt nur persönliche Papiere und etwas Zeug. Sie traute sich auch nach den Angriffen kaum aus dem Keller wieder heraus, sie hatte ja Geschichten gehört, z.B. von einem Mann dem der Kopf abgeschossen war usw.

Deshalb fasste sie den Entschluss aus Danzig zu flüchten, damals, nur 13 Jahre alt.

Die Rote Armee war inzwischen an vielen Stellen bis zur Ostseeküste vorgerückt, und es war deshalb fast unmöglich über Land zu fliehen. Die letzte Fluchtmöglichkeit war mit Schiffen über die Ostsee.
 

DIE WILHELM GUSTLOFF

Der russische Kommandant 

Das war aber nicht ungefährlich, wegen unzähligen Minen, Luftangriffen und russischen U-booten. Kurz vor Gisela´s Flucht mit der "HEKTOR", wurde ein grosses Schiff versenkt. Das war die WILHELM GUSTLOFF, die um 9 Uhr abends, als die mit ihren ca. 8.000 Flüchtlingen an Bord 13 Seemeilen vor der Küste Pommerns stand, wurde sie von drei Torpedos des Sowjet-U-Bootes S-13 unter dem Kommando von Kapitän A.I.Marinesko getroffen und versank 90 Minuten später. Obwohl sehr bald Hilfsschiffe auftauchten, deren Matrosen im selbstmörderischen, heroischen Einsatz, Überlebende suchten, konnten nur 1.100 gerettet werden, der Rest - mehr als 6.000 Frauen, Kindern und kriegsverletzte Soldaten - ertranken in den eisigen Fluten der Ostsee. Das waren ungefähr viermal soviele Menschen, als bei dem Untergang der TITANIC. 

Die Untergangsstelle der Wilhelm GustloffGustloff down
Vor den sowjetischen Truppen strömten Hunderttausende in die Häfen, nach Memel, Königsberg, Pillau, Danzig, Gotenhafen, Rügenwalde, Stolpmünde, Kolberg, Stettin, Swinemünde, Greifswald und zuletzt auch nach Stralsund, Saßnitz, Rostock und Wismar. Die Flüchtenden waren Mütter und Kinder, Greise und alte Frauen aus Ostpreußen, Westpreußen, Danzig und Pommern. Sie alle mußten in den Häfen und auch auf den Schiffen Hunger, Not, Kälte und Entbehrungen auf sich nehmen; sie trennten sich auf der Flucht oder vor den Schiffen von ihrer letzten Habe, ihrem letzten Gepäck, um nur noch das nackte Leben zu retten.

Insgesamt forderte die Flucht über die Ostsee rund 25 000 Tote, doch 2,5 Millionen Menschen, darunter etwa 500 000 bis 600 000 Verwundete und Soldaten, konnten mit Schiffen der Handels- und Kriegsmarine über die Ostsee gerettet werden. 

Die Hektor
Gisela fand dann ca. im Februar 45 ein Schiff im Danziger Hafen, wo noch Platz für Flüchtlinge war. Sie lief nach Hause um die Mutter (Martha Spitt geb. Dufke) zu holen. 
                                                 
Sie wollte aber nicht mitkommen, erst als Gisela sagte: "dann haue ich eben alleine ab!", kam die Mutter mit. Nur mit dem notwendigsten bepackt machten sie sich auf den Weg zum Hafen. Kurz zuvor wurde noch saubergemacht und die Betten neubezogen, damit alles klar war für die nächsten Flüchtlinge. Im Hafen lag die Hektor, ein für Flüchtlinge umgebautes Frachtschiff. Gisela erinnert sich noch genau an den Namen und deshalb konnte ich das Schiff im Netz finden.

Gisela erinnert sich nicht mehr genau daran wie lange das Schiff auf der Ostsee unterwegs war. Sie kann sich aber noch daran erinnern das viele Wrackteile von der Gustloff an der Hektor vorbeischwammen. Da alle deutsche Häfen überlaufen waren von Flüchtlingen, wurde beschlossen das ein grosser Teil nach Dänemark gebracht werden sollten. Gisela wurde dann zusammen mit der Mutter auf einer Schule in Kopenhagen untergebracht. Die Strasse hiess wahrscheinlich "SKOLEGADE".

Gisela´s Vater (Max Splitt) war Soldat an der Ostfront und kam erst ca. 1950 aus russischer Gefangenschaft nach Sylt. Die Grosseltern flüchteten über Land Richtung Westen, der Grossvater starb unterwegs an Hunger-typhus. Die Grossmutter gelangte nach Lippstadt in Nordrhein/West-phalen, wo sie sich niederliess.

Nach der Kapitulation sollten alle Flüchtlinge weiter nach Deutschland transportiert werden. Gisela kam nach Aventoft wo sie bis 1947 bei einem Bauern arbeitete. Die Flucht endete dann auf Sylt, wo eine neue Zukunft aufgebaut werden musste.

Gisela wollte gerne etwas lernen auf Sylt, aber wegen der schlechten Schulkenntnisse war dieses ausgeschlossen. Das Geld war natürlich knapp zu der Zeit und Gisela musste sich deshalb auch schnell eine Arbeit besorgen. Sie wohnten zuerst im Haus Bianca in der Norderstrasse, dann im Haus Elisabeth in der Elisabethstrasse, zogen weiter um nach der Stadumstrasse und bekamen später eine Sozialwohnung in der Gewoba im Hoyerweg. Sie heiratete Willi Witte am 12.April 1952. 

 
  Erinnert und erzählt im Februar 2002 von Gisela Witte