WiIIi
Witte Westerland, SyIt, Donnerstag,
1. August 2002 WiIIi
Witte, geboren 1928, wuchs in Westerland auf der Insel SyIt auf. Den
Dienst
beim Jungvolk und der Hitlerjugend absolvierte er wie alle anderen,
musste aber
auch so manche Bestrafung hinnehmen: ,,Ich
fehlte schon mal beim Sonntagsdienst. Auch schon mal dreimal
hintereinander.
Das hiess zu der Zeit eigentlich: Wochenend-Jugendarrest
Flensburg. Zuerst musste ich, wenn ich dreimal hintereinandergefehlt
hatte, zur
Kripo. Da wurde ich dann zusammengestauoht. Der Kripobeamte hatte es
aber
irgendwie immer unter den Tisch fallen lassen und deshalb brauchte ich
nie zum
Jugendarrest.” 1943
begann er eine Sohlosserlehre bei der Sylter lnselbahn, musste sie aber
im
Dezember 1944 wegen der Einberufung in das RAL
(Reichsausbildungslager)
abbrechen. Die Ausbildung in Mãhrisch - Weisskirchen war kurz
aber
unerbittlich: ,,Es
begann ein strammer militãrischer Ausbildungsdienst. Aber darin
hatten wir ja
auch schon einige Erfahrungen. Viel Gelãndeausbildung von der
Panzerfaust bis
zum MG 42 usw. Auch Spähtrupp und Nahkampf war dabei. Wir wurden
perfekt
gemacht. Am 18. 01. 1945 wurden wir nach Luhacowitz ins Lager 7
verlegt. Da war
die Ausbildung noch gründlicher. Gelãndeübungen im
Schnee mit unseren
Winterklamotten war keinVergnügen. Die Front kam schon bedenklich
näher. Es
hörte sich von uns aus wie em nahendes Gewitter an. An den
Strassen wurden von
der OT Panzersperren und Gräben zur Verteidigung gebaut. Es wurden
vor allen
Dingen Nachtwachen von uns gestellt. Notfalls wollte man uns mit Waffen
ausrüsten. Wir waren ja immer noch bei der HJ und keine Soldaten.
(15 und 16
Jahre alt). Die Begeisterung war trotzdem noch sehr gross. Jeder von
uns wäre
blindlings in den Tod gerannt. Die Propagandaschule, Ausbildungslager
usw.
hatten das ihre getan. (Die Erkenntnisse kamen erst später.) Wir
gehorchten
nur Befehlen. Es blieb uns ja auch gar keine andere Wahl. Wir dachten
eben, das
sei alles richtig. Es herrschte sogar der Gedanke, wenn der Russe
kommt, dann
jagen wir ihn zurück bis zur Wolga.” Die
Ausbildung Anfang März endet mit einer bitteren Wahrheit: die 1400
HJ’ler
sollten nicht wie von den einzelnen Rekruten gewünscht zu
Wehrmacht, Marine
oder Luftwaffe, sondern geschlossen der Waffen-SS Übergeben werden: ,,Man lud
uns dann in Waggons in Richtung Kienstlag. Beim Aussteigen in Kienstlag
sahen
wir lauter 88 Uniformen. (...) Bei mir im Zug waren Leute aus allen
Ecken
Deutschlands. Am nächsten Morgen gab es schon Gewehre. Das
Eintãtowieren der
Blutgruppe unterm Arm liess auch nicht lange auf sich warten.
Ausgebildet wurde
noch in HJ Uniformen. Es war ein unwahrscheinlich harter und
erbarmungsloser
Schliff dort. Es wurde das Letzte bei der Ausbildung aus uns
herausgeholt.
(...) Unser Regiment nannte sich: Konepacki, Kampfgruppe Böhmen 88
Division
Hitlerjugend”. Am 07.04.
wurden die Soldaten an die Front verlegt, nach Böhmen an die
Niederdonau über
Znaim Richtung Krems. ,,Bei
einem Dorf südöstlich Lan a.d.Thaya mussten wir uns als
zweite Linie wieder
eingraben. ich hatte mein Loch mit meinem Kameraden noch nicht
halbfertig, da
wurden wir von unserem Zugführer eingeteilt, einen
schwerverwundeten Soldaten
einer anderen Einheit nach hinten zu tragen. Wir waren vier Mann zum
Tragen.
Die Trage bestand nur aus einer Wolldecke. Diesem Soldaten war das
ganze
Bauchfell weggerissen worden. Zum Teil konnte man die Eingeweide
schon sehen.
Aber er lebte noch. Er war aber mehr ohnmächtig als wach. Wir
konnten auf
unserem Weg voll vom Russen eingesehen werden, aber es fiel kein Schuss
in
unserer Riohtung. Auf dem Ruckweg wurden wir dann aber sogar von
Granatwerfern
beschossen.” Beim
Rückzug gerieten die Soldaten hinter feindliche Linien, schlugen
sich jedoch
wieder durch das Niemandsland zu den eigenen Stellungen durch und
wurden abermals
getrennt: Es wurde
Abend und langsam dunkel, aber unsere Einheit kam nicht.Es war
unheimlich,
diese Ungewissheit. Das Dorf war auch restlos verlassen. Wir holten uns
aus
einem Haus einen Küchenwecker und schoben am Dorfeingang Wache. Es
war noch
dunkel, da hörten wir Panzergeräusche. Unsere Nerven waren
zum Zerreissen
gespannt. Wir liessen den ersten Panzer vorbei. Beim zweiten waren wir
sicher,
dass es deutsche Panzer waren, beim dritten machten wir uns dann
bemerkbar. Der
hielt dann glückhicherweise an und nahm uns mit. Es waren
Königstiger, riesige
Kolosse. Die Panzerbesatzung erzählte uns, dass der Russe alles
eingekesselt
hatte. (...) Wir fuhren mit den Panzern immer weiter in Richtung
Westen. Auf
diesem Weg mit den Panzern konnten wir erleben, das die russischen
Flugzeuge
beim Angriff auf die Rückzugtrecks ganze Arbeit geleistet hatten.
Es waren auch
viele Flüchtlinge dabei. Es brannte noch in dieser kilometerlangen
Kolonne. Der
Geruch von verbrannten Menschen und Pferden hatte ich noch zwei Jahre
nach
Kriegsende in der Nase. Die Panzer mussten nach und nach gesprengt
werden, weil
der Sprit alle war.” Schliesslich
gerät Willi Witte in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Aus
Angst, der Roten
Armee übergeben zu werden, flieht er mit einem Kameraden, wird
wieder
aufgegriffen und gelangt in das US-Lager Plattingen, wo er unter
anderem zum
Aufbau des Lagers eingeteilt wird: ,,Die
Bewacher des Bettenkommandos waren meist jüdischer Herkunft. Es
war ein ganzer
Teil der Bewacher dabei, die Angehorige im KZ verloren hatten. Meistens
aus
Polen, Deutschland oder Frankreich. Das bekarn man aber erst nach und
nach zu
wissen. Richtige Vorstellungen von einem KZ hatte ich sowieso nicht.
Die ersten
Bilder des Greuels bekam ich bei diesem Bettenkommando zu sehen.
ich wurde da
von zwei Bewachern gerufen die auf so einem zweistöckigen Bett
sassen. Als ich
vor ihnen stand, zeigte mir der eine neue lllustrierte, die voll von
grausamen
Bildern aus einem befreiten KZ war.
Seine Eltern waren auch in Polen umgekommen. Wohl war mir nicht dabei.
Der
andere Ami neben ihm verhielt sich sehr zurückhaltend. Dann holte
mit einem Mal
der wütende Ami mit dem Fuss aus und wollte mir mit seinem grossen
Stiefeln ins
Gesicht treten. Dieses hat der andere Ami in Ietzter Sekunde
verhindert. Ob
ich da wohl froh war? Mit meinen 16 Jahren sah ich wohl mehr wie ein
Kind als
ein Mann aus. Ich wurde dann auch gleich wieder zum Arbeiten geschickt.” Im Januar
1946 folgt die Verlegung ins ehemalige Konzentrationslager Dachau, im
Sommer
dann die Verlegung in die Britische Zone: ,,Wir
waren Ca. 1000 Mann, die in Güterwagen mit nur einem
amerikanischen
Begleitoffizier Richtung Münster Lager fuhren. Es war eigentlich
die schönste
Bahnfahrt in rmeinem Leben. Den Empfang vom Engländer in Munster
Lager werde
ich auch so schnell nicht vergessen. Denn der stand da, mit einer Menge
schwer
bewaffneter Soldaten und mehreren Panzerwagen. (...) Da mussten wir
dann
antreten und unser Gepãck vor uns auf den Boden legen. Dann kam
ein englischer
Offizier mit einen Stock unter dem Arm. Er hatte einen deutschen
Wehrrnachtsoffizier in seiner Begleitung dabei, in einer grün
gefährbten
Uniform, auch mit einem Stock unter dem Arm. Die beiden schritten
unsere Front
ab. Der deutsche Offizier nahm uns fast alle unsere schönen
Klamotten ab, samt
meine Feldflaschen. Ob wir wohl wegen unserer Klamotten Wut im Bauch
hatten ?
Auflehnen wäre uns wohl nicht gut bekommen, und wir wollten ja
auch so schnell
wie moglich nach Hause. Em ganzer Teil der Gefangenen hatten schon ihre
Angehörigen
benachrichtigen können, das sie im Munster-Lager sind und
entlassen werden
sollten. Viele Familien waren daher angereist und standen ausserhalb
des Zaunes
und konnten sich mit ihren Mãnnern und Angehörigen auf
diese Weise zum Teil
nach jahrelanger Trennung wiedersehen. Aber dann gab es den grossen
Knall. Der
Engländer liess bekannt machen, das alle gesunden und
arbeitsfãhigen Manner
nach England zum arbeiten abtransportiert werden sollen (meistens im
Bergwerk).
Diese Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Zur Untersuchung wurden im
Freien
Tische aufgestellt, wo pro Tisch ein deutscher Arzt die Untersuchungen
vornahm.
Als die Nachricht noch nicht bekannt war, waren alle gesund. Aber
nach
Bekanntgabe der Englandfahrt, humpelte fast das ganze Lager. Viele
haben sich
mehr oder weniger schwer verstümmelt, um nach Hause kommen zu
können. (...) ich
wurde, weil ich noch keine 18 Jahre alt war, entlassen. Die Freude
darüber kann
man nicht beschreiben!” Willi
Witte
kehrt zurück auf Sylt, kann dort seinen 18. Geburtstag feiern,
seine
abgebrochenen Schlosserlehre wiederaufnehmen und muss sich
mühsam in der
deutschen Nachkriegsrealität zurechtfinden: ,,Schlusswort:
Eigenthich war ich immer zu faul zurn Schreiben. Selbst eine Postkarte
war mir
schon zu viel. Andererseits, war es mir schon seit Jahren ein
Bedürfnis, vor
allen Dingen meine Kriegserlebnisse, als 16 jahriger Soldat
festzuhalten. Durch
die vergangenen Jahre, habe ich natürlich vieles vergessen,
worüber ich noch
gerne berichtet hãtte. So manches Erlebnis wurde wieder geweckt,
als ob es erst
gestern gewesen wäre, und hat mir schlaflose Nàchte
bereitet. Wenn auch, als
Einzeleriebnis geschrieben, so sollte es doch auch an das unermessliche
Leid
vieler Menschen, und an die damahige Zeit erinnern. Frauen mussten und
haben,
Unwahrscheinliches leisten müssen, und geleistet. Kinder
(Jugendliche), 15 und 16 Jahre alt wie wir waren, wurden an die Front
geschickt. Jugendzeit war ein Fremdwort! Mit
diesem, meinem Bericht, soll vor allen Dingen daran erinnert werden.
Dies alles
habe ich spontan niedergeschrieben, wobei ich, es kein zweites Mal
tun würde.
Meine Hoffnung ist, das diese persönlichen Erlebnisse,
späteres lnteresse
finden werden. Erschreckend ist für rnich die Tatsache, wie
manipulierbar der
Mensch doch ist, obwohl es in unserer Geschichte das Dritte Reich gab!
Eigentlich müsste unsere Welt, nach all den gemachten Erfahrungen,
in Ordnung
sein. Das dies aber nicht der Fall ist, gibt rnir schwer zu denken.” |