Die Kriegserinnerungen meines Vater`s
Willi Max Witte
Erinnert und geschrieben auf Sylt im Winter 1995/96

Buchumschlag                         Der Verfasser 1947                                                 




Keine Alternative zum Frieden

Ich  wurde  im  Juni  1928  in der  Paulstrasse  geboren.  Es  war eigentlich  eine  sehr  ruhige  Strasse. Meine erste Bekanntschaft  mit  den Nationalsozialisten  machte  ich  als  Kind  von  ca.  5   Jahren,  als  ich abrupt  von  meiner  Mutter  von  der  Strasse geholt  wurde.
Denn  es  kam  ein  LKW mit  laut grölenden  und singenden Männer  die  Strasse Richtung  Neue  Strasse  hochgefahren.  Diese waren  SA  Leute (Schlägertruppe), wie ich durch Erwachsenengespräche erfahren  konnte. Diese Leute sollen  auch  in  der  Neuen  Strasse von  jüdischen  Bewohnern  Betten  usw. rausgeschmisse haben.  Habe  da aber  nur  eine  schwache  Erinnerung  davon.  Aber  dieses  Rollkommando  habe  ich  wie  heute  noch in der  Erinnerung.  War  wohl  der  Schreck  oder  die  Angst  als  Kind.  Weitere  Entwicklungen bekam  ich  als  Kind auch  nicht  mit. Vater  und  Mutter  hatten  meistens Arbeit,  und  so ging  es  uns  auch wirtschaftlich  entsprechend  gut.  Politisch war  keiner  von den  beiden besonders  interessiert.  Später  zogen wir in  die  Bismarkstrasse,  von da  aus  in  ein  mit  Eigenleistung  gebautes  Doppelthaus  in  die  Deckerstrasse.  Als  ich  ca.  neun  Jahre  alt  war, kam ich  in  die   DJ Deutsches Jungfolk). 

Zuerst  war  dieses  mehr  freiwillig  und  brachte  sogar  Spass.  Wir  hatten uns im  Süden von  Westerland  in  einem  ehemaligen  Bunker  aus dem  ersten  Weltkrieg  eine  Art  Heim  eingerichtet.   Das  ganze  war  mehr  so  richtig  nach  Pfadfinderart  gehandhabt.   Etwas  später,  ca.  1938 - 39  kam dann  immer   mehr  Zwang  hinein.  Ich  erschien  immer  in  Zivil  zum  Dienst.  Denn  ich  bekam  von Zuhause  einfach  kein  Braunhemd  mit Schlips  und  Knoten  gekauft,   (Geld war  auch  knapp).  Aber  man konnte  zum  Aussenseiter  werden,  wenn man  da  nicht  mitmachte.   Das  wollte ich  zu  der   Zeit  auch  nicht.  Denn   zu   alternativen   Denken  wurden  wir  nicht  erzogen. So  bekam  ich  dann  eines  Tages  von  meiner  Grossmutter  das    gewünschte  Hemd  (Fünf   Reichsmark  zu  der  Zeit).  Mittlerweile  hatte  uns  die  DJ  so   im   Griff   mit  Mittwochs  und  Sonntagsdienst.   Laufend  Sport  usw.  Und  immer  im  militärischen   Stil.  Auch  die  Schleiferei  gefiel  mir  in  dem  Stil  nicht.   Aber andererseits  waren  wir  in  diese  Entwicklung  reingewachsen  und  fanden  uns  damit ab. Ich  fehlte  schon  mal  beim Sonntagsdienst,  auch  schon  mal  dreimal hintereinander. 

Das  hiess  zu  der Zeit eigentlich:  Wochenend  Jugendarrest  Flensburg.   Zuerst  musste  ich, wenn ich  dreimal  hintereinander  gefehlt  hatte, zur Kripo.  Da wurde  ich  dann zusammengestaucht.  Der  Kripobeamte  (Konrad)  hatte es aber  irgendwie  immer  unter  den  Tisch  fallen  lassen  und deshalb  brauchte  ich  nie  zum  Jugendarrest.
Da  gab  es  wohl  nichts  zu lachen.   Ich  machte  dann  auch einigermassen   weiter   mit.   Die Eltern  hatten  zu  der Zeit  auch überhaupt  keinen  Einfluss  auf  diese  Dinge.  So  kam  dann,   wie wohl  für  viele  voraussehbar,   der  1.September   1939  mit  dem Kriegsanfang.  Wir waren,   kann  ich mich  erinnern,  zu  der Zeit   gerade  am  Strand.   Ich   dachte,  hoffentlich   kommen   wir  noch  heil  nach Hause  bevor  geschossen   wird.  Als   Kind hatte  man  eben   noch  keine  Vorstellung  vom  Krieg.   Am   Strand   hat  sich  die  Nachricht  vom  Kriegsanfang  wie ein Lauffeuer  verbreitet.   Es war  auch  schon  viel  Militär   zu dem  Zeitpunkt auf  der   Insel.  Trotzdem   lief  der  Kurbetrieb  normal  ungestört  mit  Kurkonzert usw. weiter.   Ab  und  zu  hatten   wir Besuch von  meinem  Onkel.  (Bruder meines Vater´s)   Der  war  zu der  Zeit   Offizier  im  Hunderttausendmann  Heer.  Von  Hitler  hielt er  aber  nicht viel.   Sein  Eid  als Soldat  war  ihm  heilig.  Das  wusste ich  zu  der  Zeit auch  noch  nicht. Hätte  ich wahrscheinlich vom  Alter her  auch nicht   begriffen.   Wenn  es  darüber Gespräche  der  Erwachsenen  gab,  passten  sie  sowieso  auf,  das  wir Kinder  nichts  mitbekamen.  Es gab auch  einiges  Kurioses  zu  erzählen.  Zum  Beispiel,  gab  es  im  Soldatenheim  einen  Feiertag,  wo  SA - HJ   und  alles,  was  es     sonst  noch  gab,   aufmarschiert   war.  Dann  hiess  es:   "Präsentiert    die   Flaggen!" Da  war  H.W.  wohl  zu  übereifrig  und  stiess  den  Flaggenmast  mit  der Spitze  so  fest  in  den  Holzbalken, unter  dem  er  mit  seiner  Gruppe stand,  das er   diesen  nur  mit Mühe  wieder  herausbekam.   Das sah so  lustig  aus, das  ich  grinsen  musste.   Dabei  wurde  ich  erwischt  und  musste  nach  der  Feier  strafexerzieren   (bin  geschliffen  worden). 

An  etwas  ähnliches  kann  ich  mich  noch  erinnern:
Inzwischen  war   ich von  der  HJ  (Hitlerjugend)   übernommen  worden. Es  war  ein  grösserer Aufmarsch  an  dem  Tag  von  HJ  und   DJ. Wir  marschierten  vom  Bahnhof  Westerland  los  und   wurden  von einem  grösseren  Musikzug  angeführt. Ganz  vorne   an   der   Spitze  lief   der  Tambourmajor   H.Br.   (Sehr   eifrig  in seinem  Amt).  Wir  sollten   laut   Marschbefehl   hinter  dem  Hotel   "Deutscher  Kaiser"  (heute  Kaisers   Kaffee  Geschäft)   rechts   in   Richtung Norden   (Rathaus)  abbiegen.  Was  wir  einschliesslich   Musikzug  auch   taten!    Nur  der  Tambourmajor  hatte wohl  nicht  richtig  zugehört. Dieser  marschierte  statt   nach  rechts,  alleine  geradeaus  die  Friedrichstrasse hoch.  Irgendwann   hat er  es  dann auch  gemerkt.  Lustig  war auch dieses,   nur  gelacht   haben  wir  erst  später  darüber!   Unser Vater wurde  gleich  am  Anfang   des  Krieges  eingezogen.   Es  hat  sehr viel  Tränen  beim  Abschied  gegeben. Wir  sind   drei  Geschwister. Wenn mein  Vater  auf  Urlaub war,   sagte er  immer   zu  mir:  "Wenn  du   dich  freiwillig  zum  Militär meldest,  fliegst  du  Zuhause   raus!"  Solche   Bemerkungen    haben damals  schon gereicht,   um  ins  KZ ( Konzentrationslager)   zu  kommen.   Die Soldaten,  die fern  der   Heimat  waren,    wussten  auch  nicht,  was  so in  der  Heimat    politisch  vor  sich  ging. Ich  hatte  schon  als  15  jähriger  meinen  Wehrpass  als  Kriegsfreiwilliger.  Wir  wurden so  darauf gedrillt,  uns freiwillig  zu melden,   das  uns gar  nichts  anderes übrig  blieb.   Was  es  hiess  Frontsoldat zu  sein,   mit  all seinen  grausamen  Erlebnissen,  sollte  ich  später  auch  noch erfahren.  Zwei,  eigentlich  drei   Begegnungen,  mit  Hermann  Göring  hatte ich  auch.

Ich  mag  etwa  zwölf  Jahre  alt gewesen  sein.  Wir  waren  mit  mehreren Kindern in  der  Nähe  vom  Hotel   "Miramar". Da  hiess  es:   Hermann  Göring  kommt zum  Strand  und  wird  hier  am  Strandübergang   Friedrichstrasse  aussteigen.  Wir   waren natürlich  neugierig  und  wollten  ihn sehen.
Er  kam  dann  auch  mit  einem Wagen  vorgefahren.   Ich  stand  ziemlich  vorne   und  wurde  soweit  von der  Menge  zum  Wagen  geschoben,  das Hermann   Göring   fast  die  Wagentür nicht  mehr  aufbekam.
Alles  schrie:   "Sieg heil !"   Ich selber  war  nie  für  lauten  Jubel.  Das   hatte   zu    der   Zeit nichts  mehr  damit zu  tun,   das ich  vielleicht  ein   Gegner,  oder  Ähnliches,   dieser  Leute  war.
Ich  war,  wie  alle  anderen  in meinem  Alter  auch,    in  diese Entwicklung   reingewachsen   und   fand diese  Welt,  wie   sie war,   absolut in  Ordnung.

                                                                                             

Den Marokkaner nannten wir "Olala"

Meine  zweite  Begegnung  mit  Hermann Göring  war  in  Berechtesgaden. Dort  war  ich  für  ca.  neun  Monate  am  Königssee  mit  der   KLV    (Kinderlandverschickung).   Dieses  war mit  Schuldienst   verbunden,   und    natürlich  gab  es  auch  jede  Menge   HJ - Dienst.   Eines  Tages,   wir   hatten    Freigang,  ich  war  am  Bahnhof  von  Berechtesgaden  und   stand   an   so   einer   Art  Zeitungsstand  in  der  grossen  Bahnhofshalle.  Mit  einem  Mal  sah  ich,   ich  dachte ich  gucke  nicht  richtig. Ich sah Hermann Göring  eilig  und mit  grossen  Schrittes  die  Bahnhofshalle  durchqueren. Es  war  noch  ein  Bayer  in  der Halle.  Dieser  rief    laut:   "SiegHeil",    als  er   Hermann   Göring sah.  Wenn  einer  in   so  einer grossen   Halle   "Sieg   Heil"    ruft,   klingt   das  doch recht komisch.  Göring   war  auf  dem Weg  zum Obersalzberg. Den  Obersalzberg  bekamen  wir  aber während  unseres  KLV  Aufenthaltes  nie näher  zu  sehen.  Wieder  zuhause ging   es  mit  der  Schule,   HJ-Dienst  usw.  wie  gehabt  weiter.  Auf der  Insel  waren  enorm  viele Soldaten  und  auch     Fremdarbeiter  für den Bunkerbau  und  andere Befestigungsarbeiten  verpflichtet worden.  Unmittelbar  neben  dem     Bahnhof (südlich) auf  einer  grossen    Fläche waren Eisenbieger  für  den  Bunkerbau stationiert.  Hier   arbeiteten     hauptsächlich  Gefangene  der  italienischen Badoglio-Armee.   Diese Strafgefangenen  wurden  im  wahrsten  Sinne  des  Wortes wie   Vieh  behandelt!    Ich habe selbst  gesehen,   wie    man   diese Leute  mit  geflochtenen  Draht    verprügelte.    Wir  wurden  aber   meistens von den  Bewachern  weggejagt.


Zigaretten und Brot für die Gefangenen


Im  Osten  von  Westerland,   Ende Stadumstrasse,   war  das  sogenannte Arbeitslager.   Dort  waren  auch  Italiener,  die   sich  aber so  halbwegs freiwillig  in  Ihrem   Land  für Arbeiten   in   Deutschland  verpflichtet  hatten.  Denen  ging  es     aber  wesentlich besser  als  den  Angehörigen  der  Badoglio-Armee. Diese  hatten  auch  mal  die  Möglichkeit,   im  Urlaub  nach  Hause   zufahren. Wenn  sie  aus  dem  Urlaub  wieder  zurückkamen,    brachten  sie  so  manche  Dinge  mit,  die  es in  Deutschland   schon  lange  nicht mehr  gab.  Das   war    wohl auch   für   einige  deutsche  Frauen  sehr  interessant,  soweit  ich   mich  erinnern  kann. Ausserdem  waren,   soweit  ich  mich erinnern  kann,   Dänen,   Niederländer,  Belgier  und  Marokkaner  in  den  Arbeitslagern  auf  der  Insel  untergebracht. Den  russischen  Kriegsgefangenen auf  der  Insel,   ging  es  wohl   am  schlechtesten.   Das  Barackenlager  dieser  Menschen stand  etwa  da,   wo    heute   die Telekom  mit  dem   Funkturm   ihren  Standort hat.
Es  mag  auch  100m  südlicher gewesen  sein.   Was  die   Russen  so  alles   machen   mussten,   weiss  ich nicht  mehr  so   ganz  genau.    Aber  an  einige  Gefangene  kann  ich mich  noch  gut  erinnern,   denn  sie arbeiteten  bei  unserem    Kohlenhändler   A. Nielsen,    der  später  nach  dem  Krieg   Bürgermeister   der Stadt  Westerland   wurde.   Ich   hatte   gesehen   wie   zwei   Russen bei   Schnee  und    eisiger   Kälte nur  Lappen  anstatt  Schuhe   an  den  Füssen  hatten.   Die brachten  mal  Kohlen  zu  uns.  Meine  Mutter  bat  sie,   diese  im  Schuppen auszuschütten.   Da  lag  ein  Haufen Brot    für   die   Hühner,   das wir  immer  bei den  Soldaten  holten.  Es  war  steinhart  und   total verschimmelt.  Aber  diese beiden fielen  wie   Tiere  darüber   her,  so   ausgehungert  waren  sie.   Den Russen etwas  zu   Essen   zu  geben war ja    streng   verboten.   Ich  weiss aber,  das  meine  Mutter  und  eine  Nachbarin immer   frisches   Brot   für  die   Russen   unter  dem Ascheimer  versteckten.   Später,  nach  Kriegsende   und    der  Befreiung der Kriegsgefangenen,  trafen   die   Russen  mal  meine  Mutter  am  Kino.    Sie sind gleich  auf  sie  zugegangen  und  sagten:  "Gute Frau".   Wie  schon    erwähnt,  wenn  jemand  erwischt wurde,  der  den  Russen  etwas  gab,  dem   war  mindestens  Gefängnis  sicher.    Andreas  Nielsen,  der Kohlenhändler,   hat  damals  sehr  viel  riskiert, als  er  den  Russen  so  viel geholfen hatte.  Wir  Jungs  kannten  damals  einen Niederländer,  einen  Belgier  und   einen  Marokkaner   etwas  näher.  Es  waren   Zivilarbeiter,  die  sich  auch  ein  bisschen   freier   bewegen  konnten. Leider  weiss  ich  die  Namen   nicht mehr.  Den  Marokkaner  nannten  wir  "Olala".   Denn  immer  wenn er  irgendwie    erstaunt oder erschrocken  war  sagte  er,  "Olala". Von  nun  an  hatte  er  so seinen  Namen weg. Diese  drei,  vielleicht  auch  mehr,  wurden  eines  Tages  von der  Gestapo abgeholt.  Einige  von  uns,  ich  auch,  mussten  daraufhin  zur  Gestapo  in  der Bahnhofsstrasse.  Leider  weiss  ich  heute  nicht mehr  warum.   Man  sprach    von   Sabotage,  glaubte  ich  aber  nicht.  Die  drei wurden  dann  im  Rathaus  für  kurze Zeit  in  eine  Zelle  gesperrt.  Die  Zellen  wurden  von  einer  hohen  Mauer  zum  Hof  hin,   (heute  Hof  der   Feuerwache)  abgegrenzt.  Über diese  hohe,   halbrunde  Mauer  haben wir  den  Gefangenen,   weiss  ich  noch,  mit  Wäschestützen  Zigaretten  und Brot   gereicht.
Dazu  mussten  wir  übereinander  stehen.  Später  wurden  die  Gefangenen  an einen  anderen  Ort  verlegt. Wir  haben  niemals  wieder  von  ihnen gehört!  Wehe,  man  hätte  uns  dabei  erwischt. Von  wegen,  "nicht  strafmündig". Das  gab  es  in  diesem  Sinne nicht.   Erziehungsanstalten  waren  mehr als  harte   Schulen.    Es  ging aber  alles  gut   für  uns.  Allerdings   war  zu  der  Zeit  alles gefährlich,   wenn  man   etwas   "Verbotenes"  tat.  Denn  man  konnte  nicht mal  seinen  Nachbarn,  Arbeitskollegen,  Freunden,  Verwandten,   wem  auch  immer, trauen.   Dieses  Problem   hatten aber mehr  die  Erwachsenen.  Die  Heranwachsenden waren  ja  in  dieses   System  hineingewachsen und  kannten  es  eben   nicht  anders. Das  wir  diesen  drei  Menschen,  soweit  es  uns  möglich  war,   geholfen hatten,     war  wohl  unserem  Instinkt  zuzuschreiben.  Denn  wir  waren   auch   noch  sehr   jung  und  hatten  mit  denen  nur  ein bisschen angefreundet. Dieser  Vorgang  war  auch  einmalig.  Wir  haben  ähnliches  auch  nie   mehr  riskiert.   Es   gingen  auch  enorm  viel  uniformierte   Streifen  durch  die  Strassen. Es  waren  auch    H-J   Streifen   dabei.  In  den  Dünen  habe  ich  oft Streifen vom  Zoll  gesehen.
Es war praktisch alles unter voller Kontrolle. Wir hatten z.B.den kasernierten Luftschutzdienst. Die meisten waren unter 18  Jahre alt. Da war z.B. ein   Kaufmann  aus der  Strandstrasse. Ich glaube, der war Zugführer oder sowas ähnliches. Wenn man den Mann irgend etwas über dieLuftschutzeinheit  (SHD) fragte, war seine Antwort  stets: "Geheim ! Geheim !" Nun gab es beim Luftschutz wohl kaum Geheimsachen. Ansonsten ginges  aber  streng  militärisch  beim SHD zu.

Der freiwillige"Vollblutsoldat" und der"eingezogene Soldat"

Meine Mutter hatte einmal ein besonderes aufregendes und gefährliches Erlebnis in der oberen Friedrichstrasse. Ein grosses Flugzeug,  eine HE 111  oder ähnliches, hatte versucht am Strand notzulanden. Dabei flog es  dicht  über die Dächerder  Friedrichstrasse hinweg und streifte  dabei mit  einem Flügel das Hotel "Miramar".  Das  Flugzeug ist dann ins  Wasser  abgestürzt.  Die Mannschaft ist dabei ums Leben gekommen. Was noch erwähnenswert  ist:  Die in den ersten Kriegsjahren angeschwemmten  englischen Seeleute und  Piloten  wurden mit  Ehren  salven beigesetzt. Dieses war für uns Kinder  natürlich  interessant, da wir unter anderem  die leeren  Patronenhülsen sammeln  konnten.Der Ehrensalut wurdevon Luftwaffensoldaten gefeuert. Später, als  man anfing  die Städte zu bombardieren,  hörte diese Art  von  Beisetzungen auch auf.  Noch ein erwähnenswertes Erlebnis  hatte  ich  in  der Nähe  der Hauptwache  zum Fliegerhorst. Diese war unmittelbar am  heutigen,  nördlichen  Friedhofseingang. Wir hatten da in der Nähe auch unser  Elternhaus.  Mein  Vater hatte gerade seinen Fronturlaub.  Er lag zu der Zeit  mit  seiner  Einheit  vor Leningrad. Wir  spielten in der Nähe  der Flugplatzwache.  Da  kam ein  HJ - Führer  mit ein paar Mädchen des Weges. Weil ich  ihn  nicht  grüsste, rief er mich zu sich.  Er hat mich dann so richtig  runtergeputzt.  So etwas  musste  man erlebt haben!  Die Vorgehensweise lässt  sich nicht überliefern.  Ich ging  nach Hause und erzählte diesen Vorfall meinem  Vater.  Zufällig  kam auch noch dieser HJ Führer  mit den Mädchen  an unserem Haus  vorbei.  Mein Vater bekam so einen Wutanfall  und stürzte  auf diesen,  nicht  Gegrüssten  zu,  dass  ich dachte, den prügelt  er wohl durch. Aber  zum  Glück, für  meinen Vater,   tat er dies nicht, sondern  schimpfte  ihn,  im wahrsten Sinne des  Wortes, so  richtig aus.  Er  wäre ein "Rotzbengel" usw.  Hätte dieser  HJ - Führer meinen Vater angezeigt, hätte es für ihn bös aussehen  können, obwohl er  Frontsoldat  war. Aber gerade weil er an der Front so viel  gesehen  hatte und nun dieses  Zuhause erleben musste, war er wohl so  erbost. Mein Vater hatte  allerdings  ein  gestörtes Verhältnis  zu Uniformträgern und  zum  Militär überhaupt.     

Deshalb wurde er wohl auch nur Gefreiter. Sein Bruder dagegen war Oberstleutnant,  wurde später Oberst. Die beiden trafen sich durch grossen Zufall vor Leningrad. Sie hatten   sich  schon lange Zeit nicht mehr gesehen. Das war ein Treffen, der "Vollblutsoldat"  und der "Musssoldat"! Der Vater der beiden Brüder (mein Grossvater) wohnte in einem kleinen  Dorf bei Flensburg. Er war ebenfalls ein grosser Hitlergegner. Dies ist  mir  zu der Zeit alles nicht besonders aufgefallen. Denn man  musste doch sehr vorsichtig sein. Mein Grossvater liess aber doch hier und da mal eine entsprechende  Bemerkung los. Das begriff ich auch erst später. Denn für mich, wie schon erwähnt, war die Welt, wie ich sie  erlebte,  in Ordnung. Ein ins sehr nahestehendes älteres Ehepaar auf  dem Festland,  (er war Frührentner) bekam vom Winterhilfswerk einige   Kleidungsstücke geliefert. Da war eine Jacke dabei, mit einem ganz  deutlichen Einschussloch drin. Natürlich weigerte er sichdiese Jacke anzunehmen, (wohl  auch   mit unpassender Bemerkung). Darauf hatte er dann  auch Gestapobesuch! Aber  er  hatte Glück. Espassierte nichts weiter. Inzwischen wurden die Bombenangriffe auf unsere Grossstädte intensiver. Wir auf Sylt wurden aber verschont. Ausser mal ein Notabwurf. Einmal   hatten  wir, wie ich mich erinnere, zwei Luftminen als Blindgänger  in Westerland.  Eine war in der Feldstrasse im Garten von Walter Lange   runtergegangen  und   guckte  über einen Meter aus der   Erde.

Ich bin morgens auf dem Weg zur Arbeit  daran  vorbeigegangen. Warum  da nicht abgesperrt war, weiss ich auch nicht mehr.  Die  andere Luftmine war in dem heutigen Westhedig,  runtergegangen.  Zu der Zeit  war ein  Bauernhaus   (Friesenhaus) auf dem   Grundstück. Dieser Blindgänger  war tiefer in  den  Boden gedrungen. Zur Bergung dieser Luftminen  hatte man KZ Häftlinge herangezogen. Es hat wohl   Schwierigkeiten bei  der Bergung  gegeben, da diese immer tiefer absackte. DieBergung glückte aber später ohne  Verletzte.

 

Wehrertüchtigung oder Konfirmation

Die damaligen Feinde rückten immer näher auf das Reich zu.  Dann  hiess es: "Die HJ muss  zum Panzergräben bauen an die   dänische   Grenze!"   So wurden wir dann verpflichtet, in der Nähe von Süderlügum Panzergräben zu bauen. Wir waren z.B. in einer ausgeräumten Gaststätte  untergebracht.  Am Tag war hartes Arbeiten mit dem Spaten angesagt. Wenn  Feierabend war,  ging es Singend in Reih und Glied nach Hause (Unterkunft). Es wurde  auf   Stoh geschlafen.

Ein Mädchenlager (BDM) war auch da. Ich glaube,  die machten meistens   Küchendienst.  Ich warvorher auch schon  mal  in  so einem Wehrertüchtigungslager in der Nähe  von  St.Michaelisdon. Die meisten von uns, die da ankamen, waren zu der   Zeit schon Kriegsfreiwillige, man hatteja auch gar keine andere Wahl !   Denn  als wir ankamen, hiess es  beim   Antreten z.B. "Kriegsfreiwillige, rechts raus!"

Der Haufen, der sich nicht  freiwillig meldete, war deshalb immer sehr  klein.Diese wurden mittags früher zum Exerzieren vom Tisch geholt. Auch nachts holte man sie oft aus den Betten. Da war es bald für  die  meisten   vorbei mit  "Verweigern". Auch beim Antreten  mussten sie oft  nach  vorne treten  und wurden als,  Muttersöhnchen usw. lächerlich gemacht.Es  wurden  mal  zwei beim Rauchen erwischt. Denen wurde eine Glatze  geschnitten,  und jeder  musste  auf  einem Stuhl sitzen. Ich glaube es waren  über 24  Stunden. Wir,  die dann  gerade Wache (Streufe) schoben,  hatten  strenge Order, darauf zu achten,  dass   die beiden nicht einschliefen. Anschliessend  wurden   beide abgeholt. Ob  zum Jugendarrest  oder ähnliches, weiss  ich nicht  mehr. Diese Wehrertüchtigungslager waren meist einmal im  Jahr. Mindestens  einmal musste man an diesen teilgenommen haben. Durch dieses Lager hatte  ich   auch Schwierigkeiten mit meinem Pastor Wester. Denn ich war zu  der Zeit  gerade   im Konfirmandenunterricht. Dieser   dauerte damals   zwei   Jahre. Der Pastor sagte zu mir: "Lager oder Konfirmandenunterricht, sonst wirst du nicht konfirmiert! "Es fehlten mir noch drei Monate vom Konfirmandenunterricht. Da ich ins Lager musste, war es mit der Konfirmation vorbei. Der Pastor  hatte  viel Mut gehabt, muss ich sagen. So bekam ich dann die Jugendweihe. Auflehnung   gegenden   Pastor wäre zwecklos  gewesen. Dafür war dieser viel zu konsequent.   Ich glaube, er hatte auch so   genug Schwierigkeiten im Dritten Reich  . Später  wurde Pastor Wester ein   angesehener   Bischof.

Jugendweihe

Ich kam 1943 in die Lehre der Sylter Inselbahn.

Die Inselbahn war damals ein richtiger Grossbetrieb. Denn   dieses versorgte   die Dörfer von List bis Hörnum  mit Gütern  aller Art. Personenverkehr war  zu der Zeit auch nur mit der Inselbahn möglich. Der Transport der Materialien  fürdie im Bau befindlichen   Befestigungsanlagen   gingauch nur mit der Bahn.   Bei der Inselbahn waren damals nochsehr unterschiedliche, politische  Auffassungen  unter denBeschäftigten vertreten.   Diese machte   sich allerdings  nur   zwischen  den Zeilen  bemerkbar. Da waren Sozialdemokraten,  Kommunisten   oder   Nationalsozialisten.   Bei Unterhaltungenmerkteman auch   schon mal  mitunter  die leisen  Reibereien   untereinander.

Sylter Inselbahn


 -Breslau- Alles war dunkel und unheimlich

Im August 1944, nach dem Attentat auf Hitler, ging eineVerhaftungswelle durch  Deutschland. Ich arbeitete gerade bei unserem Altgesellen Carl Jessen.  Im  Zivilberuf  Hotelier und Stadtvertreter war er im Kriege zur Sylter Inselbahn  als     Schlosser dienstverpflichtet worden. Carl Jessen war für seine  Arbeitskollegen   und   auch Meister nicht immer ein leichter Brocken. Er nahm  auch kein Blatt  vor den  Mund,  wenn es um  Politik ging. Er war ein alter Sozialdemokrat. Als  Handwerker im Betrieb war er überdurchschnittlich  tüchtig und wurde auch so respektiert. Für einen Lehrling war es schon  fast  wie eine Auszeichnung, bei ihm arbeiten zu dürfen. Eines Tages, im August 1944, kamen zwei Hilfspolizisten an unser Werkstatttor  und traten auf   Carl Jessen zu.Es waren zwei  hiesige Leute, die als Hilfspolizisten   eingezogen worden waren. Der eine, Kaufmann Kr., sagte zu Carl Jessen auf  Plattdeutsch:

Carl Jessen

"Ich soll dich abholen" Carl Jessen wie es so seine Art war, sagte nur kurz: "Jo". Dann sagte derHilfspolizist Kr. auf platt: "Ich darf das ja nicht,aber willst du noch mal nach Hause und eine Jacke überziehen?"Carl Jessen sagte kurz: "Nein". Und ging dann in voller Arbeitskleidung  mit den beiden   über  die Schienen in Richtung Rathaus. Ich musste dazu   noch sagen, das   sich nur einen  Polizisten gesehen hatte. Der zweite konnte  hinter einem  Mauervorsprung gestanden haben. Ich war ganz   schön aufgeregt. Von einem   jüngeren   Gesellen wurde ich angeschnauzt, er sagte: "Verschwinde  hier, das ist nichts   für  dich!"  Ich begriff sowieso nichts mehr. Blieb aber  in der Nähe.  Der junge Geselle,  Ernst Schmidt, war zu der Zeit  Kommunist.  Er machte  auch   keinen Hehl aus seiner  politischen   Einstellung.  Aber er hatte  wohl Glück,  dass er nie angeschwärzt  wurde. Dieser  Geselle erzählte  mir auch später (52 Jahre später)  das die  beiden   Polizisten mit   Carl    Jessen erst zum   Zigarettenladen  ("Max Zigarre") gegangen  sind um Zigarren  für  Carl Jessen zu kaufen. Das muss für  die   beiden  Polizistenein sehr grosses   Risiko gewesen sein.  Ich  hatte immer geglaubt, das Ernst  Schmidt   schon lange   tot sei. Durch Zufall hörte  ich, das er noch lebt. Ich  habe ihn auch gleich aufgesucht, um meine Erinnerungen   aufzufrischen.  Selber schreiben mag  er nicht mehr. Er wird bald 90 Jahre alt. Er sagte mir auch,  das da noch ein zweiter Polizist mit dabei war.  Ich hatte hauptsächlich den einen, der auch die Verhaftung durchführte, in meiner Erinnerung. Es war wohl für beide Hilfspolizisten eine schwere und peinliche Aufgabe,  denn man kannte sich ja schon seit  Jahrzehnten und sprach Plattdeutsch miteinander. Die Schwere seiner Aufgabe war Hilfspolizisten Kr. auch anzumerken. Es wurden zu der Zeit, im August 1944 mehrere bekannte Westerländer verhaftet. 

Auch an die Postboten der damaligen Zeit möchte ich erinnern.  Diese hatten nämlich nicht immer leichte Aufgaben zu erfüllen. Wenn Briefe (Feldpostbriefe) vom Mann oder Sohn zu überbringen  waren, war das gewiss eine freudige Angelegenheit. Die Postboten waren meistens weiblich und zu diesem  Dienst vom  Staat verpflichtet  worden.
Wenn aber die Gefallenenmeldungen gebracht werden musste, dann war  das  gewiss  ein  besonders schwerer Gang.  Ich weiss, dass eine Nachbarin von uns,  die als Postbotin verpflichtet war, meiner Mutter mal erzählte,  das sie es einfach  nicht über das Herz brachte, so eine Gefallenenmeldung bei Frau X abzugeben. Am nächsten Tag musste sie dann doch den schweren  Gang   machen.  Viele  Frauen mussten  im Krieg auch reine Männerarbeit  machen.  Die Männer waren  ja meistens  zum  Militär eingezogen worden.  Anfang  1944 bekam ich  mit  mehreren Syltern  nach der Wehrtauglichkeitsprüfung in Schleswig meinen Wehrpass. Anfang Dezember 1944 kam dann eine Einberufung in das RAL (Reichsausbildungslager). Wir waren drei Westerländer: Harald Koopmann,  Harald Voigt und ich. Wir sollten uns am 8. 12. 1944 um 9 Uhr in Hamburg - Altona melden. Dort  angekommen, war aber keiner da, der uns weiterhelfen  konnte.

Nach stundenlangen  Suchen, fanden wir andere, zukünftige Kameraden, die Bescheid wussten. Am 9.12.1944 waren wir dann auf der Fahrt nach Dresden und von dort aus weiter nach 
Bernsdorf / Oberlausitz.  Gegen Mitternacht  kamen wir dort an. Wir wurden dort auch von keinem abgeholt. Des Wartens überdrüssig,  machten  wir uns dann auf den Weg durch die leeren Strassen. Wir sprachen einen Offizier an, den wir trafen, und fragten nach einem RAL. Von einem RAL war ihm in dieser Gegend nichts bekannt. Aber draussen im Wald, wäre ein HJ -Lager und  da würden wir wohl erwartet werden. Nachts gegen 02.30 Uhr  kamen wir dann in diesem Lager an. Die genannten Daten habe ich  freundlicherweise aus dem Tagebuch von Harald Koopmann entnommen. Dieses hat er von Anfang unserer Einberufung an mit vielen Details geführt. Er hat die Aufzeichnungen sogar nach mehreren Jahren in tschechischer und russischer Gefangenschaft  mit nach  Hause gebracht. Als wir im Lager ankamen, wurde uns auch dort kein Empfang bereitet. Wir  mussten erst durch Klopfen an die Fenster auf uns aufmerksam machen. Dann  ging man endlich bei und hat uns in verschiedene Stuben untergebracht. Aber die Stuben hatten weder Decken noch Betten, und es war hundekalt. In meiner Stube war glücklicherweise ein  Ofen drin. Es kam dann einer in Uniform und Unteroffiziers-Litzen auf  der Schulter mit einer Handvoll Holz zu uns rein. Wir machten wie gelernt,  Meldung.

Der nahm unsere Meldung aber gar nicht soldatisch entgegen, sondern  machte Feuer im Ofen. Da erfuhren wir dann auch, dass wir in einem OT-Lager gelandet waren. OT heisst Organisation Todt. Das war so eine Art  technisches Hilfswerk. Die OT baute auch Befestigungen usw.. Hier  sollte eine Werkstatt für Panzer errichtet werden. Morgens beim Antreten und Begrüssen sagte man uns,  dass man sich freue,  dass wir endlich da wären, denn man hatte schon länger auf die HJ gewartet,  um mit Mauerkelle das Werk aufzubauen. Unsere Gesichter wurden immer länger, denn hier lag ein ganz klarer Irrtum vor. Nach einigen Telefonaten klärte sich dann auch alles auf. Wir wurden dann nach einigen Hin und Her in einen Zug Richtung Breslau geschickt. Gegen Mitternacht kamen wir 15- und 16 jährigen in Breslau an. Von Breslau sollte es dann um 04.00 Uhr morgens weiter nach Mähren- Weisskirchen gehen. In Breslau bekamen wir strenge Order, nicht in die verlassenen Häuser zu gehen, erinnere ich mich. Breslau war wohl schon ziemlich von der Bevölkerung verlassen. Alles war dunkel und unheimlich.  Ich war aber trotzdem mit einigen Kameraden in einer verlassenen Wohnung.  Denn so jung wie wir waren, war man natürlich auch neugierig. Die Wohnung  war so akkurat verlassen worden, als wären dieBewohner nur zum Einkaufen gegangen. Die Betten waren frisch bezogen und gemacht usw.  Den grossen Küchenwecker auf dem Küchenschrank habe ich auch  noch  in Erinnerung.

                                  "Dann jagen wir  den Russen  bis zur Wolga"


Am nächsten Tag, es mag gegen Mittag gewesen sein, kamen  wir in Mährisch - Weisskirchen an. Da holte uns wieder keiner ab.  Wir hatten so langsam alle die Schnauze voll. (Es wäre gewiss  ein guter Einfall gewesen, wenn wir da alle nach Hause gefahren wären.) Nach einer gewissen Wartezeit kam ein Wagen mit einem Zivilisten vorbei.  Er teilte uns mit, das das Lager noch nicht fertig eingerichtet sei und  wir so lange in  Ollmütz (Olomouc?) untergebracht  würden. Dort angekommen, wurden wir in einer Schule untergebracht. Bis wir etwas zu essen  bekamen, dauerte es  noch eine Weile. Betten waren auch da nicht. Wir mussten auf dem Boden campieren. (Das war in der Adventszeit). Weil unser Lager noch nicht fertig organisiert usw. war, kam  die  tolle Nachricht, das wir erstmals Weihnachtsurlaub bekamen und nach Hause fahren konnten.
Weihnachten 1944  habe ich nicht mehr in voller Erinnerung.  Am  28. 12.1944  ging die Reise schon wieder nach Mährisch - Weisskirchen los. Nach unserer Meldung auf der Dienststelle wurden wir im Haus, "Puschner" eingewiesen. Auf unserer Stube waren Harald  Koopmann  (Sylt), W.Barg, H.H.Koberg, Jung, ein Pinneberger und ich. Harald Vogt (Sylt), der vorher mit uns war,  konnte zu Hause bleiben und einer Einberufung zum Arbeitsdienst (RAD) auf Sylt folgen.  Der hatte somit Riesenglück, denn uns erwartete noch so einiges. Unser Zugführer war Uffz.  Stössel.  Unser Stubenältester war Harald Koopmann. Stubenscheuern war unser erster Dienst, Abends wurden die letzten mitgebrachten Kuchen von  zu Hause aufgegessen. Das war dann auch das Jahresende 1944  für  uns. Weisskirchen ist ein hübscher Ort mit mehreren Hochschulen. Bad  Teplitz mit seinen hübschen Hotels gehörte auch dazu. Es kehrte endlich eine gewisse  Regelmässigkeit in unser Dasein ein. Es begann ein strammer militärischer Ausbildungsdienst. Aberdarin hatten wir ja auch schon einige  Erfahrungen.
Viel  Geländeausbildung von der Panzerfaust bis zum MG 42 usw.  Auch Spähtrupp und Nahkampf war dabei. Wir wurden perfekt gemacht. Am18.01.1945 wurden wir nach Luhacowitz ins Lager 7 verlegt. Da war die Ausbildung noch gründlicher. Geländeübungen im Schnee mit unseren Winterklamotten war kein Vergnügen. Die Front kam schon bedenklich näher. Es  hörte sich von uns aus wie  ein nahendes Gewitter an. An den  Strassen wurden von der OT Panzersperren und Gräben zur Verteidigung gebaut. Es wurden vor allen Dingen Nachtwachen von uns gestellt.  Notfalls wollte man uns mit Waffen ausrüsten. Wir waren ja immer noch bei der  HJ und  keine Soldaten. (15 und16Jahrealt).
Die Begeisterung war trotzdem noch sehr gross. Jeder von uns wäre blindlings in den Tod gerannt. Die Propagandaschule,  Ausbildungslager usw. hatten das ihre getan.  (Die Erkenntnisse kamen erst  später.)  Wir  gehorchten nur Befehlen. (Auch weniger Begeistert) Es blieb uns ja auch gar keine andere Wahl. Wir dachten eben, das sei alles richtig. Es herrschte sogar der Gedanke, wenn  der  Russe kommt, dann jagen wir ihn zurück bis zur Wolga. Die jungen Tschechen verhielten sich uns gegenüber absolut distanziert. Wir hätten natürlich gerne mal mit den hübschen Mädchen geflirtet. Aber die waren uns gegenüber eiskalt.  Nicht mal die zehn oder zwölf jährige Tochter unserer Hauswirtin liess sich ansprechen.



                                                   "
Der Führer hat euch schon heute zu den Waffen gerufen"

Am 08. 03. 1945 war das  Lager und die Ausbildung zu Ende, und wir sollten wieder nach  Hause. Das Gefühl lässts ich nicht überliefern, das musste man erlebt haben. Bannführer Moritzen  nahm die Meldung des Ausbildungslagerabschlusses mit 1400 HJ - lern entgegen.  Da sagte er dann:"Der Führer hat euch schon heute zu denWaffen gerufen!"  Wir würden geschlossen der Waffen SS übergeben werden. Vorher sprach er noch davon,  dass Deutschland in höchster Gefahr wäre. Wir wurden dann aufgeteilt. 200 Mann nach Wien, 50 Mann Panzernahkampfbrigade  nach  Berlin,  der Rest auf den Truppenübungsplatz  Beneschau bei Prag. Nach dieser Nachricht gab es natürlich lange Gesichter und wohl auch so manche  heimliche Träne. Da war natürlich nichts mehr mit nach Hause fahren und dann noch zur SS. Denn soweit ich mich erinnern kann,  hatten alle bereits einen Wehrpass für das Heer, die Marine oder die Luftwaffe. Die SS hatte uns im wahrsten Sinne des Wortes ohne eigene Zustimmung einfach kassiert. Man lud uns dann in Waggons in Richtung Kienstlag. Beim Aussteigen in Kienstlag sahen wir lauter SS Uniformen. Schon auf dem Bahnhof wurden wir in Kompanien aufgeteilt. Harald Koopmann und ich blieben in einer Kompanie. Dann ging es in die Quartiere. Tschechen gab es kaum noch auf dem Truppenübungsplatz. Es war alles verlassen und grausam öde. Zu allem Überfluss hatten wir auch noch einen Schneesturm. Wir lagen in dem Dorf  Networschitz in einem kleinen Tal. In der ehemaligen  Lederfabrik war eine Grossküche eingerichtet.  Ein Kino gab es da auch noch. Das war ständig  mit Soldaten überfüllt. Wir kamen mit unserem Zug in die ehemalige Schule. Da waren Doppelbetten in den Klassen aufgestellt. Harald Koopmann war in einem anderen  Zug und nicht bei uns. Bei mir im Zug waren Leute aus allen Ecken Deutschlands. Am nächsten Morgen gab es schon Gewehre. Das Eintätowieren der Blutgruppe unterm Arm liess auch nicht lange auf  sich warten. 


Ausgebildet wurde noch in HJ Uniformen.  Es war ein unwahrscheinlich harter und  erbarmungsloser Schliff dort.  Es wurde das Letzte bei der Ausbildung aus uns herausgeholt. Am12.03. 1945    marschierte das ganze Regiment zur Verteidigung auf. Der Kommandant hielt eine Ansprache und liess durchblicken,  das wir an der Front eingesetzt werden sollten. Unser  Regimentnannte  sich: "Konepacki,  Kampfgruppe  Böhmen SS Division Hitlerjugend".  Man nahm uns auch die Wehrpässe  ab.
Da kam dann auf irgendeine Seite der Stempel der SS mit unserem Namen und unserer Einheit rein. Unsere Ausbildung ging erst noch weiter. An die Panzerbekämpfung kann ich mich noch genau erinnern.  Wir sollten mit einer Tellermine auf einen schnell fahrenden Panzer springen und eine Haftmine am Turm befestigen.  Das war gar nicht so leicht  wie sich das anhört,   denn  man wollte auch nicht in die Ketten  kommen. Am 30. 03, 1945 war eine Grossübung. Zwei Tage waren wir unterwegs.  Wir haben feste mit Platzpatronen geschossen. Es spielte sich alles in einer einmalig schönen  Gegend ab. Aber für solche Betrachtungen war nicht viel Zeit.  Danach,  wie der im Quartier wurden wir Feldgrau eingekleidet. Abends wurde der Ort in Alarmbereitschaft  gesetzt, keiner durfte den Ort verlassen.  Jeden Moment konnte der Befehl  zum Abmarsch kommen. Wir bekamen auch scharfe Munition ausgehändigt. Am 05. 04. 1945, 16.00 Uhr kam der Befehl zum Abmarsch. Vorher gab es noch mal Essen . Dann nahmen wir Waffen aller Art und die Notverpflegung in Empfang. Unsere Ausbilder blieben unsere Vorgesetzten. Es waren  zum   Teil hochdekorierte Leute, wie Ritterkreuzträger, dabei. Mit diesen Leuten war es besonders leicht auszukommen. Die hatten ja auch einiges an Schlamassel mitgemacht. Schlimmer waren die Fahnenjunker.  Diese waren zum Teil unsere Gruppenführerauch, fanatisch und ehrgeizig. Unser Spiess, der auch mit zur Front kam, hatte sich während unserer Ausbildung mit seinem fast krankhaften Drill  mehr als unbeliebt gemacht. Wir wurden auf LKW mit Holzgasantrieb verladen und fuhren so schwer beladen in Richtung Front. Die Fahrt ging durch Böhmen, Niederdonau  über Znaim Richtung Krems. Am07.04. 1945 abends bei Krems a.d. Donau wurden wir in die Frontlinie eingereiht. Wir mussten uns eingraben.

Der Blick über die Donau war herlich. Drüben sollte schon der Russe sein. Ich habe aber keinen gesehen. Es fiel auch kein Schuss. Neben uns lag eine Einheit von ehemaligen Flak Soldaten (nurInfanteri).   Das waren grösstenteils ältere Leute. Als sie uns sahen, schüttelten sie den Kopf und sagten: "Jungs, geht bloss nach Hause". Darauf wurde uns strengstens verboten mit  denen zu sprechen. Am Tag wurden wir aus den Löchern zurückgezogen. Nachts ging es wieder rein. Das ging in völliger Ruhe einige Tage gut. Am 16.04. 1945 mussten wir wieder in unsere Autos steigen und fuhren Richtung Osten.  Bei einem Dorf südöstlich Lan a.d.  Thaya mussten wir uns als zweite Linie wieder eingraben.  Ich hatte mein Loch mit meinem  Kameraden noch   nicht halbfertig, da wurden wir von unserem  Zugführer (freiwillig) eingeteilt,  einen schwer verwundeten Soldaten einer anderen  Einheit nach hinten zu tragen.  Wir waren vier Mann zum  Tragen.  Die Trage bestand  nur aus einer Wolldecke. Diesem Soldaten  war das ganze Bauchfell weggerissen worden. Zum Teil konnte man die Eingeweide schon sehen.   Aber er lebte noch. Er  war aber mehr ohnmächtig als wach. Wir konnten auf unserem Weg voll vom Russen eingesehen werden, aber es fiel kein Schuss in unserer Richtung. Auf dem Rückweg wurden wir  dann aber sogar von Granatwerfern beschossen.
Wir vier kamen aber wieder wohlbehalten bei unserer Kompanie an.

Das war allerdings unsere erste, äusserste kräftige Feuertaufe. Wir wurden nochmals auf dem Gelände neu verteilt. Mit zwei Gruppen lagen wir links neben der Strasse, die in ein kleines Dorf führte,  auf halber Höhe eines Abhangs (Weinberg) in Stellung. Einige Kameraden und ich lagen in einem Hohlweg.  Nach oben hin durch eine ca.2 m hohe Erdkante geschützt. Rechts von uns,  ca. 15 - 20 m weiter,  wo die anderen Gruppen lagen, hatte der Weg keine schützende Kante nach oben mehr. Da spielte sich dann die nächste Nacht eine Tragödie ab. Denn  oberhalb,  ca.30 m entfernt von uns,  hatte sich ein russisches SMG  (Schweres Maschinengewehr) eingenistet. Dieses SMG hat in der Nacht fast die ganze Gruppe samt Gruppenführer getötet. Was richtig  los  war in der Nacht, konnten wir wegen der tiefen Dunkelheit aber nicht feststellen. Wir, die in der Vertiefung des Weges standen, waren vor den MG-Salven, die von oben kamen, absolut sicher. Bis zum  Morgengrauen war das russische MG ausgeschaltet. Wir mussten uns um die verwundeten Kameraden,  die rechts von uns gelegen hatten kümmern. (Meist Hackenschüsse). Es   hatten,  wie bereits erwähnt, nur wenige überlebt.  Auf  der anderen  Seite der Strasse,  hinter einem Hügel, vom Dorf nicht einsehbar, lag unsere Restkompanie.  Man teilte uns  mit, dass  wir  auch dahin kommen sollten.

Dazu mussten wir den Abhang runter und die Strasse überqueren,  die voll von den Russen im Dorf einsehbar war. Zu allem Überfluss war da ein dichtes Gestrüpp (Hecke) vom Hohlweg aus,  das nach unten mit Anlauf  übersprungen werden musste (inkl. Gepäck!!)  Alle  kamen auch ohne getroffen zu werden, gut rüber. Ich blieb beim Sprung in der Heckenkrone  hängen und zappelte  da oben wie ein Ertrinkender rum.  Ich sah auch von da oben ein russisches MG-Nest etwa auf  halber Strecke zwischen Dorf und uns.  Glück für mich, die Russen waren alle tot. Nach vielem  Zappeln kam ich dann doch frei. Solche Erlebnisse vergisst man nicht. Unten bei der Kompanie hiess es dann, wir sollten bald das Dorf angreifen. Auch diese Zeit davor bleibt  unvergessen.  Das  sind schlimme Stunden und Minuten vor einem Angriff. Das Warten ist nervtötend.  Das Dorf einzunehmen war gar nicht so schwierig, wie vermutet.


                                                  "Als es hell wurde, sah ich, das das Gewehr rot vom Blut war"



Wir hatten allerdings viel Schwierigkeiten mit unserer Gewehrmunition. Es waren lacküberzogene Eisenpatronenhülsen und die klebten nach einem Schuss immer einen kurzen Augenblick  im Gewehrlauf fest. Das war nicht gerade beruhigend.  Im Dorf durchkämmten wir dann alle Häuser, Scheunen usw.  Auf der Strasse lag ein toter russischer Offizier mit  gespaltenem  Schädel.  Dem nahm ich die Pistole ab.  Da kam ein deutscher Wehrmachtsoffizier auf mich zu und verlangte die Pistole.  Ich hatte auch so genug zu schleppen.  In den Häusern war sehr viel geplündert  worden. Ein  Russe wurde noch von einem anderen Zug bei einem Überfall und der Misshandlung einer Frau erwischt. Den hat man gleich erschossen. Ich hätte beinahe eine deutsche  Frau erschossen. Aus einer von aussen verriegelten Kellertür sah ich, wie jemand durch ein  Loch in der Tür von innen auf mich zielte. Ich habe sofort geschossen. Gott sei Dank daneben, denn   es war eine Frau mit einem Stück Rohr, die sich nur bemerkbar machen wollte. Die erzählte uns,  dass der Russe auch einige Frauen mit genommen hätte.  Ich selbst bin einem  Russen  im  Gefecht nie so nahgewesen,  dass ich das Weisse in den Augen hätte sehen können. Auf so einen dann schiessen zu müssen,  hätte mich wohl doch einige Überwindung gekostet. Aber die  ständig sich überschlagenden Ereignisse, als auch neue Eindrücke, liessen uns nicht viel Zeit zum Nachdenken. Wir haben uns auch bald wieder aus dem Dorf zurück gezogen.  Stellungswechsel   war sowieso oft. Die Russen  waren halt nicht aufzuhalten gewesen und unser Haufen wurde immer kleiner.  Nach dem Absetzen versammelten wir uns meistens zum  Zählen.  Einmal weiss   sich, fehlte einer aus unserem Nachbarschützenloch.  Unser Zugführer meinte, dass wir versäumt hätten, den Befehl zum Absetzen weiterzugeben,  wir waren mit unseren   Löchern auf  Rufweite  auseinander.   Na  ja, ich  bekam den Befehl,  Kamerad X zu holen. Vielleicht war er eingeschlafen in seinem Loch.  Alleine zurück ohne zu wissen, ob der Russe schon da ist !   Und das im  Halbdunkeln.  Als ich angekommen war, entdeckte ich,  das Kamerad X tot war.  Als es hell wurde, sah ich,  das das Gewehr rot vom Blut war. Ein anderes Erlebnis.  Einer  unserer Gruppenführer (Fahnenjunker),  ohne Auszeichnung,  unterhielt sich mit unserem Zugführer. (Die waren miteinander befreundet).  Der Zugführer war hochdekoriert! Der Zugführer  übergab dem Junker einen Brief und sagte:  "Ich glaube nicht, dass ich hier herauskomme.  Wenn ich falle, gib bitte diesen Brief meiner Verlobten".  Aber ich hörte weiter,  dass  der Junker zu  gerne das EK 1 mit nach Hause gebracht hätte.   Da durfte der Junker sich dann Freiwillige für eine Art Spähtruppaussuchen.  Davon waren, als er zurück kam, mehr tot, als er gefangene  Russen  mitbrachte.  Ob er dafür das EK 1 bekam, kan ich nicht sagen. Dasich dieses Gespräch mitbekommen hatte, war beiden sicher höchst peinlich. Leider, leider weiss ich  die Namen  der beiden auch nicht mehr.

                                          Ein Loch war "Küche, Klo und Schlafzimmer"


Ich habe sehr viele Daten und Orte vergessen.  Diese konnte ich aber von meinem ehemaligen Kriegkameraden Harald  Koopmann aus seinem exakt geführten Tagebuch entnehmen, das er,  wie schon erwähnt, trotz Krieg und Gefangenschaft mit nach Hause durchbringen konnte.  Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Sicher hatten viele Soldaten ähnliche Erlebnisse.  Aber da  wir  zu  der   Zeit erst 15 und 16 Jahre alt waren, wollte ich das schon immer festgehalten haben. Leider weiss ich den Namen meines Kameraden, der mit mir in dem Schützenloch lag, auch nicht mehr. Da  lagen wir zu zweit  in dem Loch,  welches Küche, Klo und Schlafzimmer war.  Ständig unter Beschuss von Scharfschützen und MG mit Explosionsmunition.  Einmal schoss sich ein Granatwerfer auf unser Loch ein.  Drei Schuss auf uns.  Rechts,  links und 2 m hinter unserem Loch.   Der nächste hätte uns treffen müssen. Aber es kam keiner mehr.  Sterben ging schnell zu  der Zeit.  Ich hatte mal mein Kochgeschirr auf die Lochkante gestellt.  Es machte nur kurz "peng" und weg war es. Unmittelbar vor unserem Schützenloch ist auch unser Spiess  gefallen.  Man  munkelte aber bei uns,  dass er versehentlich von eigenen Leuten erschossen worden sei.  Er hat sich angeblich mit offenem Mantel und ohne Kennwort nachts auf die Löcher zubewegt.  So ähnlich liefen auch die Russen voran. Wir müssen wohl ganz schön verdreckt gewesen sein, denn an Waschen und Wäschewechsel war nicht zu denken. Ich träumte in meinem  Schützenloch  oft davon, einmal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen. Ich wollte, weiss ich noch ganz genau,  immer einmal gerne wieder das Geräusch einer bestimmten Tür von zu Hause hören. Dann hiess es mal wieder Nachts, "wenn eine grüne Leuchtkugel erscheint: "Rückmarsch!"  Es wurden viele Leuchtkugeln abgeschossen in dieser Nacht, aber eine grüne haben wir nicht  gesehen. Es wurde schon wieder hell und noch immer gab es keinen Befehl zum Abrücken. Die Russen schossen aber auch nicht mehr.  So verhielten wir uns ruhig bis zum Abend. Dann  merkten wir,  dass alle links und rechts von unserem Zug abgerückt waren.  Wir hatten glücklicherweise einen erfahrenen Zugführer.  20, vielleicht 30 Soldaten mögen wir gewesen  sein.  Wir  konnten die Russen rechts unten,  vielleicht zwei Kilometer weg, mit ihrem LKW fahren hören. Die dachten wohl,  dass wir alle weg waren, sonst wäre es uns wohl dreckig ergangen. So  sammelten wir uns um unseren Zugführer und marschierten auf Schleichwegen (nie auf Strassen) los. Wie uns wohl zumute war:   Aber das Vertrauen in unseren Zugführer war   gross.
Wir mussten ja auch Ortschaften, offenes Gelände usw. umgehen. Wir sind ohne Kompass, Karte oder anderen Hilfsmitteln marschiert. Irgendwann stellten wir aus irgendeinen Grund mit einem  riesigen Schrecken fest,  dass wir uns hinter den russischen Linien befanden. Wir waren also genau in die verkehrte Richtung gelaufen.  Es könnte zwei Tage vorher gewesen  sein, dass  wir  da falsch marschiert sind. Der Magen hing uns in der Kniekehle.  Aber die Angst entdeckt zu werden,  trieb unsvoran.  Ich weiss nicht mehr,  wie lange wir gebraucht haben, aber wir hatten  es tatsächlich geschafft mit Gewaltmärschen und ohne Essen  durch die russischen Linien zu kommen. Wahrscheinlich hatte der Russe sich auf den Strassen gesammelt, um weiter zu  marschieren, und wir sind mit unheimlichen Glück durch die Lücke durchgekommen.  Wenn wir versucht hätten,  durch eine kämpfende Einheit oder Front zu kommen, wären wir wohl entdeckt  worden.  So kamen wir dann erst mal  in ein Niemandsland hinein, denn die deutschen Truppen hatten sich wohl schon weiter abgesetzt.  Da kamen wir dann in eine Stadt rein,  die total verlassen  und dunkel  war. ( Name ? )  Wir zogen nun los, um Verpflegung zu ergattern. Tatsächlich fanden wir ein grosses Verpflegungslager der Wehrmacht. Es wurde von einem Soldaten  (vielleicht auch Offizier) bewacht.  Der hatte sich die Adler Schulterstücke schon alles runtergetrennt.  Der Haken war nur, dieser Mann wollte nichts an uns herausrücken. Unser   Zugführer   sagte: "Jungs,  Ihr geht mal bis zur nächsten  Ecke". Dann krachte ein Schuss, und das Verpflegungslager stand uns zur Verfügung. Unser Zugführer hat uns nie erzählt,  dass er den Mann  erschossen hatte.  Wir haben dann gegessen, was nur hinein ging. Ich hatte Schmalz mit Händen gegessen. Durchfall und Magenverstimmung waren garantiert.

Dann ging es nach kurzer Zeit und voll bepackt auch schon wieder weiter. Wie lange wir brauchten,  weiss ich nicht,  aber wir fanden bei all diesem Durcheinander tatsächlich unsere Einheit - oder was davon übrig war wieder.   Nach dem Tagebuch von Harald Koopmann waren es ca. 16  Mann.  Mit uns zusammen war es wohl knapp eine Zugstärke. Dieses muss ca. ende April gewesen   sein.  Wir mussten noch einige dramatische Gefechte durchstehen. Man hatte uns auch neu aufgeteilt.  Aus mehreren ehemaligen Kompanien wurde eine gemacht.  Verwundete blieben  mitunter  einfach  liegen. Einen aus unserer Gruppe mit total zerfetzten Bein, hatten wir schon eine ganze Weile getragen. Da sahen wir, als wir uns nach hinten schauten, etwa zwei Kilometer entfernt  über einen Weinberg schon russische Soldaten kommen. Es fuhr ein Wehrmachtsoffizier vorbei. Den hielten wir an und fragten, ob er nicht den Verwundeten mitnehmen konnte.  Er  verneinte  aus irgend einen vagen Grund. Wir mussten diesen Jungen, vielleicht nicht einmal 16 Jahre alt, auf Befehl unseres Zugführeres liegen lassen. Der Zugführer, erinnere ich  mich,   gab dem Jungen seine eigene Pistole.  ( Alles Wahnsinn)  Aber zu der Zeit hatte man gar keine Zeit viel nachzudenken.  Dann war es auch höchste Eile, dass wir da verschwanden. Dieses  passierte in der Nähe von Zneim  ( Zuojmo ).  Wir marschierten in der Kolonne und wurden von LKW und Pferdefuhrwerken des Trosses laufend überholt.  Wir zu  Fuss waren alle restlos fertig.  Einige, ich auch, schliefen sogar beim marschieren fest ein.  Ich  fragte den Zugführer, ob ich und noch vier Mann mit dem Panjewagen ein Stück voraus fahren dürften.  Das wurde  uns  unter  der Bedingung erlaubt, im nächsten Dorf auf unsere Einheitzu warten. Das taten wir dann auch. Es wurde Abend und langsam dunkel, aber unsere Einheit kam nicht.  Es war unheimlich diese  Ungewissheit. Das Dorf war auch restlos verlassen. Wir holten uns aus einem Haus einen Küchenwecker und schoben am Dorfeingang Wache.  Es war noch dunkel,  da hörten wir  Panzergeräusche. Unsere Nerven waren zum Zerreissen gespannt. Wir liessen den ersten Panzer vorbei. Beim zweiten waren wir sicher,  dass es deutsche Panzer waren, beim dritten machten  wir uns dann bemerkbar.  Der hielt dann glücklicherweise an und nahm uns mit. Es waren Königstiger, riesige Kolosse.  Erstmal war es schön warm durch die Motorwärme, und wir  konnten  und  auf dem glühenden Auspuff Bratkartoffeln machen. Die Panzerbesatzung erzählte uns,  dass der Russe alles eingekesselt hatte. Bei  unserer Fahrt vorher mit dem Panjewagen kam ich auch an  Harald  Koopmann vorbei und sagte zu ihm: "Komm doch mit bis zum nächsten Dorf!"  Aber er wollte nicht.  So wurde er auch eingekesselt und kam in Gefangenschaft. Wir fuhren  mit den  Panzern immer weiter in RichtungWesten. Auf diesem Weg mit den Panzern konnte wir erleben,  dass  die russischen Flugzeuge beim Angriff auf die Rückzugtrecks (Pferdefuhrwerke,  LKW und viele Menschen )ganze Arbeit geleistet hatten. Es waren auch viele Flüchtlinge dabei. Es brannte noch in dieser kilometerlangen Kolonne.  Der Geruch von verbrannten Menschen  und  Pferden hatte ich noch zwei Jahre nach Kriegsende in der Nase. Die Panzer mussten nach und nach gesprengt werden, weil der Sprit alle war. So fuhren dann alle Mannschaften zuletzt auf einem Panzer.  Das wurde natürlich eng.  In einem voll mit Wehrmacht besetzten Dorf mussten wir dann auch runter. Irgendwie konnten wir uns dann auch Marschbefehle beschaffen. Ohne diese  wurde  man  an dem nächsten Baum aufgehängt, wenn einen die Feldgendarmerie erwischte. Solchen Aufgehängten waren wir auf unserem Weg schon genügend begegnet. Irgendwie kam ich dann mit   mehreren Soldaten auf einem LKW mit.  Es mussten immer mehrere Soldaten zusammen sein,  denn wer Tschechen in die Hände fiel oder den freigelassenen ehemaligen KZ- Häftlingen hatte  nichts zu lachen. Diese liessen dann ihre aufgestaute Wut an den Leuten aus.

Versprengter Ausweis


Mit einem Mal war der Ami auf dem Hof



Alle von der SS kamen zuerst mal in ein grosses Sammellager ( ca. 10 000 Mann ) auf eine grosse Wiese.  Nichts zum Essen und keine Decken. Nachts war es hundekalt. Unsere Toilette war ein langer Graben  mit einem Baumstamm darüber zum Sitzen. Einen Marschbefehl, weiss ich noch, bekamen wir in einer Stadt,  wo auch eine hübsche Burg gelegen war. Dort feierten  eine  Menge  ( auch ) hoher Offiziere eine wahre Alkoholorgie. Einer hatte wohl Mitleid mit uns, obwohl wir zur SS gehörten, und stellte uns den lebenswichtigen Marschbefehl aus. In einer offenen Scheune  war ein langer Tisch aufgestellt. Auf diesem Tisch tanzten Frauen, urinierten sogar in Sektgläser.   So etwas Wildes habe ich in meinem ganzen Leben nicht wieder gesehen. Wir   waren  wohl  richtig geschockt. Wir waren ja auch noch so jung und nicht mal richtig aufgeklärt. Wir sind auch bald nach diesem Burgbesuch weiter nach Westen gefahren. Irgendwie kamen wir nach  mehreren Abenteuern,  die ich im Detail nicht mehr im Kopf habe,  in der Nähe von Kamp zum Amerikaner. Dort mussten wir an so einem LKW vorbeifahren und unsere  Waffen auf  diesen   werfen. Ich warf mein Gewehr drauf.  Aber in meinem jugendlichen Leichtsinn behielt ich meine 08  Pistole in meinem Brotbeutel bei  mir. Dass war eigentlich tödlicher Leichtsinn.  Meine vier  Kameraden hatte ich schon vorher aus den Augen verloren. Es war ein grosses Lager im Freien. Meine SS -Runen usw. hatte ich schon vor der Gefangenschaft abgetrennt. Im Lager kam dann die Parole auf, dass das Lager geschlossen den Russen übergeben werden sollte. Da habe ich meine Siebensachen unter den Arm genommen und bin aus dem noch schwach bewachten Lager rausgeschlichen. Dabei lernte ich einen Niederländer und einen Hamburger kennen,  die die selbe Absicht hatten. Wir sind nachher nur Nachts marschiert. Abends versuchten wir,  etwas  zu  Essen bei den  Bauern zu ergattern.  Das klappte auch meistens ganz gut. Ich hatte zu allem Überfluss auch noch so eine Art  Ruhr. Wenn die beiden Landser nicht gewesen wären, wäre ich  wohl  elendig umgekommen.  Auch die Angst,  in den Wäldern von freigelassenen  KZ  Häftlingen erwischt zu werden,  war gross. Weshalb und warum, begriffich erst später.  Uns dreien  ging  das  zu  Fuss gehen mittlerweile zu langsam. Da sahen wir vom Berg aus vor einem Bauernhof einige Pferde weiden. Wir haben uns nicht lange besonnen und uns drei  Pferde von der Weide geklaut. Es waren  zwei russische Panjepferde und ein deutsches Reitpferd. Gott sei Dank hatten alle drei Pferde Mundstücke und Zügel, aber keine Sättel.  Ich hatte noch nie auf einem Pferd gesessen.  Die beiden anderen Landser hatten da schon einige Erfahrung. Der Niederländer und ich nahmen uns die beiden Panjepferde. Das Schlimmste war,  wenn der Niederländer mal mit seinem  Pferd ein Trab vorlegte,  dann wollte mein Pferd gleich immer hinterher.  Die beiden Panjepferdesind wohl längere Zeit ein Gespann gewesen. Es dauerte so seine Zeit,  bis wir beide uns  einig   wurden.  Wir ritten meistens am Tag oberhalb der Verkehrswege. Denn der Amerikaner war schon oft unten auf den Strassen zu sehen. Wir wollten weiter nach Westen. Zusammen sind wir ca.  200  km geritten. Abends machten wir meistens für die Nacht bei  Bauern Rast. Die Gegend war voll von Flüchtlingen, die meistens beiden Bauern unterkamen. Mein Hintern war so  wund geritten, dass ich noch knapp laufen konnte. Aber meine beiden Kameraden hatten mich immer rührend versorgt. Im Stall hiess es immer: "Hosen  runter!"  Ein Eimer Wasser  hinten drauf und ein paar Händevoll  Mehl (selten knappes Puder) hinterher. Mittlerweile hatten wir uns Wolldecken als Reitsättel zurecht gemacht. Zusammengebundene Lederriemen dienten als Steigbügel. Das war schon mal eine grosse Erleichterung.  Es rutschte natürlich ein bisschen hin und  her. Meine beiden Freunde waren in der Nacht meistens bei irgend welchen  Frauen. Ich musste immer schön brav in der Scheune schlafen, bis die beiden wiederkamen. Am frühen Morgen ging es wieder in die Berge. Ich hatte immer noch meinen Durchfall und musste   oft Halt machen. Meine beiden Freunde haben immer gewartet. Alleine hätten sie es wohl auch leichter gehabt. Einmal haben wir einen ganzen Tag Pause gemacht,  denn unsere treuen Pferde brauchten auch mal eine längere Pause. Meine Freunde hatten mich bei einer jungen Frau untergebracht.  Diese wollte gerne, wenn ich wollte, dass ich bei ihr bliebe, bis sich alles   normalisiert hätte. Aber abends ging sie zu irgend einen Amerikaner, die in der Nähe stationiert waren.  Da ging ich doch lieber mit meinen Freunden weiter. Die beiden hatten das   Bleiben  bei  dieser Frau eingefädelt. Auf unserem Ritt trafen wir auch viele andere Landser,  die sich wie wir schon Räuberzivil besorgt  hatten. Da gab es Typen mit grossem Einfallsreichtum, um  sicher weiter nach Westen zu kommen. Bei einer Rast auf einem Bauernhof  lernten wir so einen  kennen. Der hatte sich irgend wie einen Leiterwagen beschafft. Das Pferd dazu hat   er  wohl auch nicht geschenkt bekommen. Aber so konnte er ganz frech die Strassen benutzen. Die Ami`s, die vorbeifuhren,  grüsste er immer. Die dachten wohl,  dass ist einer von irgend einem  Bauernhof  in der Nähe.  Er sagte uns, das er sogar von der amerikanischen Militärpolizei, dieauf Kreuzungen stand, eingewiesen wurde. Wir mussten uns aber weiter  in den Bergen  fortbewegen. Wir stiessen einmal auf eine  Gruppe Landser mit  fast 50 Pferden. Diesen schlossen wir uns kurz an. Ein Offizier führte diesen Haufen an. Der kannte viele Schleichwege.  So ein Haufen von 50  Pferden und Reitern war schon imponierend, aber auch höchst riskant. Wir haben uns bald wieder in kleinen Gruppen getrennt. Irgendwann später machten  wir in einem  kleinen Dorf Rast bei einem  grösseren Bauern. Dieser Bauer hat für uns den Tisch reichlich decken lassen.  Vom Ami weit und breit nichts zu sehen. Das Risiko erwischt zu werden,  wurde aber immer  grösser.  Wir entschlossen uns, dem Bauern die Pferde gegen Gebot zu verkaufen.  Wir  bekamen einen geräucherten Schinken und mehrere hundert Zigaretten. Ich  glaube,  dass ich  Tränen  in den Augen hatte als  ich  Abschied von meinen treuen Pferd nehmen musste.
Mit einem Mal war der Ami auf dem Hof
und wollte uns gefangen nehmen. In der Zeit, als wir beim Essen waren, hatte der Bauer sich durch die Hintertür auf die Socken gemacht und  beim Ami  Bescheid gesagt,  das da drei Soldaten bei ihm auf dem Hof sind. Es waren nur ein paar Ami`s im Dorf. Meine Pistole hatte ich schon länger nicht mehr.  Wehren wollten wir uns sowieso nicht. Die  Ami`s nahmen uns dann bis zu dem  Haus mit,  wo sie sich einquartiert hatten. Wir drei mussten uns dann auf der Strassenseite des Hauses hinsetzen und der Dinge harren.   Die Ami`s gingen dann erst mal rein und haben sage und schreibe erst mal Mittag gegessen. Wir  sassen ganz ohne Bewachung draussen.  Aberauszurücken wagten wir auch nicht.   Wenn  ich hätte Englisch sprechen können, hätte ich glatt gefragt, ob ich noch mal zum  Hof zurückgehen könnte, um etwas Vergessenes zu holen. Ich hätte den Bauern zu gerne eine Weile mit der  Mistgabel bearbeitet. Denn das war einfach zuviel für mich.  Essen geben, Pferde abkaufen und uns dann verraten und sich so einen Namen machen wollen.  Der Ami, auch später  in Gefangenschaft,  hat auf solche Typen nie richtig reagiert oder diese für voll genommen.  In meiner Dummheit und Angst hatte ich mein Wehrmachtssoldbuch weggeworfen. Denn da war ja auf irgend einer Innenseite der Stempel der SS - Einheit drin,  zu der man uns ja gegen unseren Willen eingezogen hatte.  Es war ja bekannt,  dass man mit Angehörigender SS nicht  zart  umging.   Meine Freunde und ich blieben aber noch zusammen. Dann kamen wir in ein Sammellager. Dort wurden wir erstmal sortiert,  Arme hoch und nach tätowierten Blutgruppen gesucht.  Diese kamen  erst mal rechts raus. So wurde ich von meinen Freunden und dem Schinken getrennt. Abschneiden oder teilen ohne Messer,  die man uns abgenommen hatte,  konnten wir nicht. Wir  sahen uns leider nie mehr  wieder.

Alle von der SS  kamen zuerst mal in ein grosses Sammellager (ca. 10 000 Mann ) auf eine grosse Wiese. Nichts zum Essen und keine Decken. Nachts war es hundekalt. UnsereToilette war ein langer Graben mit einem Baumstamm darüber zum Sitzen. Das war eher immer ein Balanceakt. Denn man konnte sich ja nirgend wo festhalten.  Wir waren auch grösstenteils sehr  geschwächt. Das Einzige,  was wir hatten, waren Läuse.  Da sass ich dann am Tag, wie andere auch, wenn die Sonne schien, und knackte Läuse. Mittlerweile wurden Gruppen eingeteilt mit Kurieren. Denn  es sollte Verpflegung geben.   Es gab,  kaum zu glauben, für 100 Mann eine Dose Rindfleisch und für  50 Mann ein Brot. Da halfen mir meine Zigaretten viel, denn ich konnte hier   und   damal  ein kleines Stück Brot eintauschen.  Die Einwohner des nahegelegenen Ortes ( leider  den  Namen vergessen) warfen auch schon mal Brot zu uns herüber.  Das war für uns mehr als ein  Geschenk des Himmels.  Dieses Brot wurde auch nach strengen Regeln verteilt. Es wurden auch fast die Krümel gezählt. Wie viele gestorben sind, weiss ich nicht.

                                                                             Etagenbetten im Dauerlauf Tragen


Mancher musste auch aus unserem Latrinengraben geholt werden.  Es muss ja für den Ami wohl schwer gewesen sein, plötzlich so viele Gefangene zu versorgen. Aber da alle von der SS  waren, hat er sich wohl mit der Versorgung nicht überschlagen. Dieses Lager hat mehrere Wochen gedauert. Einmal kam ein Amerikaner und suchte über 1000 Freiwillige,  die einen  Stechschritt marschieren  konnten.  Der Ami wollte mal gerne so etwas filmen.  Für die Beteiligten sollte es Sonderverpflegung und Zigaretten geben. Er bekam seine Freiwilligen und  konnte filmen. Ein deutscher höherer Offizier wollte mir mal befehlen,  vor einer amerikanischen Baracke zu harken.  Ich war aber einfach zu flau und verweigerte dieses. Da bekam  ich  eine  kraftige Ohrfeige von diesem Offizier.  Da standen dann viele Mitgefangene auf und nahmen eine drohende Haltung diesem Mann gegenüber ein.  Gott sei  Dank lief alles ruhig ab, denn der  Ami  hätte glatt mit seinem MG dazwischen gefunkt. Nach gut zehn Wochen kamen wir in mehrere, verschiedene andere Lager. Ich kam auf einen ehemaligen Flugplatz.  Da wurde   von  uns  dann ein einem ehemaligen Hangar auf halber Höhe der Halle ein Fussboden eingezogen.  Da wurden wir dann untergebracht. Läuse waren  durch Entlausung auch weg. Die Verpflegung  wurde auch etwas besser. Leider habe ich auch den Namen des Flugplatzes vergessen.  Wir haben auch da noch auf dem Fussboden schlafen müssen. Wir, die auf dem    Zwischendeck schliefen,   hatten es nachts ein bisschen wärmer. Wir wurden dann nach kurzer Zeit nochmals auf andere Lager verteilt. Ich kam nach Plattning in Nieder Bayern. Zuerst in Zeltevon unseren eigenen   Planen die wir noch hatten. Eine Dreiecksplane gehörte mal zu unserer alten Ausrüstung. Wenn sich vier zusammentaten ergab es ein Zelt fürvier Personen, war aber sehr eng.    Aber wir  hatten  wenigstens ein Dach über den Kopf. Bei Regen war es schon schlechter,  denn die Planen hielten ja nicht dicht. Die Verpflegung war  auch sehr knapp bemessen. Butter war so gross wie ein  Zuckerwürfel  (proTag). Jeden Tag wurde zur Arbeit marschiert, vorne weg die Offiziere. Die hatten es am besten,  denn da konnte man die Kippen der weggeworfenen Zigaretten  der  Ami`s    einsammeln. Bald kam auch eine Beschwerde der anderen Soldaten an den Kommandanten des Lagers,  man möchte auch mal andere vorne marschieren lassen.  Dies wurde aber nicht geändert. Neben mir stand beim Antreten oft ein Österreicher.  Der hatte eine Sicherheitsnadel,  mit der spiesste er die gefundenen Kippen auf und konnte diese so fast bis auf  zwei  Milimeter  zu Ende rauchen. Dieser Österreicher sammelte auch in den Mülleimern der amerikanischen Küche leere Lebensmittel Dosen und kochte diese mit Wasser aus zu einer fürchterlichen Brühe.   Aber der Magen hatte wenigstens etwas zu tun. Wir bauten hier ein riesiges Barakkenlager mit zwei und dreistöckigen Betten auf. Später zogen wir da selbst rein. Es waren immer grosse    Blocks für rund 1000 Mann.  Zehn solcher Blocks wurden gebaut. Jeder Block hoch mit Stacheldraht eingezäumt. Diese Blocks hatten eine Grösse von  100  x  100  Meter. Ich arbeitete  meistens beim Fussbodenverlegen.  Wir legten Holzfussboden.  Das  war auch nicht so anstrengend.  Auch stand der Posten nicht immer daneben.  Ich habe auch mal mit dem  Österreicher beim  Betten zusammenbauen gearbeitet.  Das war ein harter Job.  Denn wenn so ein Bett fertig war, musste es im  Dauerlauf mit  4  Mann zu einer Sammelstelle getragen werden. Wenn der Posten   nicht guckte, sagte ich immer:   "Lauf doch mal ein bisschen langsamer!"  Aber mein Österreicher hatte immer die Hosen voll und trieb uns mit an.  Der Ami schoss schon mal,  wenn es  zu langsam ging,  eine Salve über uns weg.

Die Bewacher des Bettenkommandos waren meist jüdischer Herkunft.  Es war ein ganzer Teil der Bewacher dabei, die Angehörige im  KZ verloren hatten.  Meistens aus Polen,   Deutschland oder Frankreich.  Das bekam man aber erst nach und nach zu wissen.  Richtige Vorstellungen von einem KZ hatte ich sowieso nicht.  Die ersten Bilder des Greuels bekam  ich bei  diesem Bettenkommando zu sehen.  Ich wurde da von  zwei Bewachern gerufen die auf so einem zweistöckigen Bett sassen.   Als ich vor ihnen stand,  zeigten  sie mir der eine neue Illustrierte,  die voll von grausamen Bildern aus einem befreiten KZ war.
Seine Eltern  waren auch in Polen umgekommen. Wohl war mir nicht  dabei. Der  andere Ami  neben ihm verhielt sich sehr zurückhaltend. Dann holte mit einem Mal der wütende Ami mit dem Fuss aus und wollte mir  mit seinem grossen Stiefeln  ins Gesicht  treten. Dieses hat der andere Ami in letzter Sekunde verhindert.   Ob ich da wohl froh war?  Mit meinen 16 Jahren sah  ich wohl  mehr wie ein Kind als ein Mann aus.  Ich wurde dann auch gleich wieder zum Arbeiten geschickt.  Wie leichtsinnig man mit unter war,  zeigt ein anderes Beispiel:  Da hatten wir einmal einen   Bewacher, der schoss gern auf Dosen und ähnliches. Von dem wurde ich mal gefragt,  ob er mir eine Zigarette aus dem Mund schiessen durfte.  Ich willligte in meinem jugendlichen  Leichtsinn ein.  Er schoss und es ging alles  gut. Ich glaube, ich  bekam ausser Zigaretten auch Schokolade von  ihm.  So etwas macht man nur einmal.  Später suchte der Ami für seine Kolonne die Leute, dieer haben wollte, selber aus.  Ich wurde immer von einem geholt,  der den Kraftfahrzeugpark des Bataillones unter sich hatte.  Ich wurde von ihm "Sneip" genannt.  Morgens wenn  er  kam und seine Leute holte, sagte er ständig zu  mir: "Snipe(Sneip), come on".  Ich konnte ja nicht viel englisch.  Bei unserer Unterhaltung pfuschte immer ein anderer Gefangener  dazwischen und wollte übersetzen. Später erzählte mir der Ami,  das er keine Kinder habe und in Amerika eine grosse Autowerkstatt mit Tankstelle besässe. Ob ich nicht mit ihm  nach   Amerika  kommen wollte.  Ich wollte aber endlich mal  wieder nach Hause und so wurde aus diesem einmaligen Angebot dann nichts. War vielleicht ein Fehler,  wer  weiss??  Mittlerweile wurde unser  Barackenlager  auch bezugsfertig.   Das Lager hatte eine breite Strasse in der Mitte.  Links und rechts der Strasse  waren  jeweils fünf  Lager zu jeweils 1000  Mann. Das ganze war rund  500   bis 800  Meter lang.  Jedes Lager hatte zur  Strasse einen eigenen Eingang.  Die Strasse war nur  zu einer Seite offen und durch ein  grosses  Haupttor gesichert.  Tor und Aussenzaun waren  natürlich streng bewacht.  Im ersten Lager rechts vom Haupteingang  war die deutsche Lagerleitung drin.  Ich  bekam durch grosses Glück einen  Job als so eine Art Bote bei der  Lagerleitung. Ich brachte Order und Mitteilungen der Lagerleitung in die verschiedenen  anderen Lager.  Diese wurden auch erst nach und nach mit  Gefangenen aus allen Ecken der  amerikanischen Zone gefüllt. Es war auch ein Lager mit Russen da.  Das gesamte Lager, rund 10000 Mann, waren alles ehemalige SS Angehörige. Es mögen auch nochandere  Nationalitäten da  gewesen sein. Ich habe hauptsächlich noch die Russen in meiner Erinnerung. Der Lagerleiter im Rang von einem Oberstleutnant  hiess Cäsar (oder Zäsar).  Sein Stellvertreter Oberstleutnant Neumann, ein Fahnenjunker, und ich teilten uns einen grösseren Schlafraum. Jeder hatte sein Zwei-Etagenbett.  Abgeteilt hatten wir unsere Ecken mit Wolldecken. Wir hatten es uns  so  richtig  gemütlich zurecht gemacht.

                                              Wir hatte es im Lager besser als viele Menschen ausserhalb


Ich war natürlich für die Sauberkeit zuständig.  Unsere Betten haben wir selber gemacht.   Der Lagerleiter Cäsar war ein ehemaliger Rittergutsbesitzer.  Im Lager erfreute er sich grosser   Beliebtheit.  Sein Vertreter,  Neumann, war dagegen ein aalglatter Typ.  Von mir wollte er immer einiges in Erfahrung bringen über Cäsar und sein Tun und Lassen wissen.  Da musste  ich  immer sehr vorsichtig sein.   Er äusserte sich immer gegenüber dem Fahnenjunker (Namen  leider  vergessen),  dass er eigentlich Kommunist sei.  Der Lagerleiter und Vertreter waren schon  über 50 Jahre alt.   Der Fahnenjunker war ungefähr 24 Jahre alt.  Er war Journalist und wollte, wenn er wieder Zuhause war, wieder seinen Beruf ausüben.  Das Zimmer nebenan  von uns  war  auch von einem äusserst  interessanten  Mann belegt.  Der war Leutnant oder Oberstleutnant.  Seine Funktion in der Lagerleitung war es hauptsächlich zu  dolmetschen.  Hier tut es  mir besonders leid, das ich den Namen vergessen habe.  Das war soein richtiger Abenteuertyp und Frauenheld noch dazu, wie sich später herausstellte.  Ihm waren an beiden Füssenalle  Zehen abgefroren. Wie er mir erzählte, war er früher mal Rollschuhkunstläufer gewesen.  Er hatte sich mit einem amerikanischen Offizier angefreundet.  Die beiden hatten sich etwas  Unglaublicheserlaubt.  Das Lager existierte ja schon einige  Zeit . Verpflegung,  Unterkunft,  alles war mittlerweile als sehr gut geworden.  Zigaretten gab es auch. Zigaretten   wurden unsere Hauptwährung.  Durch die Marketender  Zigaretten sank natürlich der Tauschwert dieser Währung.

Nun zu den beiden Offizieren und ihren unglaublichen Abenteuern. Anders kann man das wohl nicht  nennen.  Da kam eines Abends der amerikanische Offizier, wie sonst auch, mit dem Jeep  angefahren und besuchte den SS Offizier.  Nur diesmal sassen bei der Wegfahrt zwei Offiziere in amerikanischen Uniformen im Jeep.  Da hatte der Ami tatsächlich für seinen  deutschen  Freund eine amerikanische Offiziersuniform  mitgebracht.  So sind sie dann auch nach München gefahren und haben Mädchen aufgerissen. Ich konnte kaum  glauben was ich da  gesehen hatte. Das haben die beiden mehrere Male gemacht.  Dieser gefährliche Leichtsinn ist glücklicherweise nie entdeckt worden. Auch von deutscher Seite nicht. Für den Ami  hätte   das wohl den Ausschluss aus der Armee bedeutet oder mehr,  wenn man die beiden erwischt hätte.  Der Ami war sowieso nicht zimperlich bei der Bestrafung. Durch meine Arbeit als Bote  und Überbringer hatte ich sehr viele Freunde und Bekannte im Lager, aber auch misstrauische Neider. Ich konnte ja mit meinem Ausweis in jedes Lager gehen und  Besuche machen. Das  war sonst für die anderen streng verboten. Aber immer aus der Lagerleitung zu verschwinden,  war auch für mich nicht zu jeder Zeit möglich. In einem Lager, wo ich öfters mal war,  gab es etwas   besonderes Trauriges zu sehen.  Da waren drei junge Soldaten, nicht viel älter als ich, die schwer kriegsverletzt waren. So etwas habe ich auch später nie wieder gesehen. Bei zwei von  den  dreien waren beide Arme und Beine weg.  Nur noch der Rumpf und der Kopf waren da.  Diese beiden waren trotz  ihres Schicksals voll  unglaublicher Dinge und Witz.  Die beiden waren auch von ihren Kameraden aufopfernd und rührend umsorgt.  Die Kameraden hatten auch alle möglichen Hilfsmittel zur Lebenserleichterung für die beiden gebaut.   Der Ami  nahm sogar regen  Anteil an diesen vom  Schicksal so hart betroffenen jungen Menschen. Wenn diese beiden nicht so enorm gut versorgt  gewesen wären,  hätte der Ami diese Menschen in ein  Krankenhaus gebracht.  Wie lange ein Mensch so leben kann,  weiss ich nicht.   Der Dritte hatte es etwas leichter, weil er noch seine beiden Arme hatte.  Für den hatten seine Kameraden  so   ein Brett mit  Rädern gebaut.  Damit konnte er sich wenigstens in der Baracke bewegen.  Bei den Russen war ich auch immer gerne.  Bei denen war es wie in einer richtigen Dorfgemeinschaft. Die hatten sogar einen Pastor da. Der Pastor lebte in dem Lager sogar mit seiner Frau zusammen.

                                          Zum Schluss sang die Frau des Pastors: "Heimat deine Sterne"


Dieses Ehepaar hatte mit einigen anderen auch mal ein Theaterstück einstudiert. Es konnte mit der Erlaubnis der Ami`s aufgeführt werden. Wir von der Lagerleitung waren bei der Urauführung  dabei.  Es mögen 500 Zuschauer dabei gewesen sein. Es war natürlich nur eine bestimmte Anzahl auf einmal erlaubt .  Es gab viel Beifall.  Aber dann,  zum Schluss des Stückes, sang   die Frau  des Pastors (einzige  Frau  im Lager) :  "Heimat deine Sterne" Da flossen Tränen.  Aber als die schöne Russin mit dem Lied zu Ende war,  folgte ein  Beifall,  Geschrei und Getobe,  dass der   Russin  wohl der Angstschweiss ausbrach.  Das hörtesich auch beängstigend  an.  Das hatte sogar den Ami auf die Beine gebracht.  Der kam mit einem Wagen voller Soldaten an,   um  den vermeintlichen Aufstand niederzuschlagen.  Aber er brauchte mit seinen durchgeladenen MP`s nicht einzugreifen, als er hörte,  was die Ursache war.  Das war so ein Erlebnis, was man nicht   vergisst !   Das Lager selbst, war noch streng bewacht.  Bei den Arbeitskommandos, war die Bewachung nicht mehr ganz so streng. Es haute aber auch keiner ab.  Denn erstmal  wollten  alle ordnungsgemäss mit Papieren entlassen  werden, sonst bekamen sie draussen keine Lebensmittelkarten usw. und die vielen anderen Soldaten,  die aus den  ehemaligen Ostgebieten kamen,   wehrten sich halbwegs gegen eine Entlassung,  da sie ja kein Zuhause mehr hatten.  Das war natürlich ein besonders hartes Schicksal für diese Menschen.  Ich glaube,  wenn der Ami mal  für  ein paar Tage seine Bewachung aufgegeben hätte,  wäre keiner getürmt. Denn wir hatten es mittlerweile im Lager besser,  als die meisten Menschen ausserhalb des Lagers.  Ganz zu schweigen von den Flüchtlingen, die im Lager lebten.  Es gibt, wie überall,  immer wieder Menschen, die ihre relativ gute Lage übel ausnutzten. So auch dieses fast unglaubliche Erlebnis.  Es  war  mitten in  der Nacht,  als uns der Ami schwer bewaffnet aus den Betten jagte.  Da war folgendes passiert:  Die Arbeitskolonnen gingen morgens immer in 10 er Reihen zum Zählen durch das Haupttor zur Arbeit oder zum LKW,  wenn weiter entfernt gearbeitet wurde. Dabei hatten es einige bei ihren Jobs fertiggebracht,  mehrere Frauen kennen zu lernen. Diesen Frauen, fünf  bis  zehn,  haben  sie dann Lageruniformen angezogen und die gleiche Anzahl Landser draussen gelassen. Die Frauen wurden in diesen Zehnerreihen mituntergebracht und so durch das Haupttor mit  eingeschleust. Der Ami hatte nichts bemerkt. Am nächsten Morgen sollte dann alles wieder getauscht werden.  Ob da Frauen bei waren, die zu ihren Männern wollten, kann ich   nicht  mehr   sagen.  Jedenfalls hat dieses wohl  irgend  jemand den Ami wissen  lassen. Der Ami ist dann in die betreffenden Unterkünfte gestürmt und hat die Frauen, so wie sie waren,  aus den Betten   geholt.  Am Ende der Strasse hat er dann einen Stacheldrahtverhau gespannt. Dahinter mussten alle Frauen, nackt oder mit Hemd bekleidet, verschwinden.  Dazu wares auch  noch lausig  kalt.  Was mit den Männern geschah weiss ich nicht mehr.  Das allerschlimmste für die Frauen war,  das am nächsten Morgen alle Männer des gesamten Lagers da vorbei marschieren mussten. Ich erinnere mich,  das die meisten von den draussen gebliebenen Landsern ins Lager zurückgekommen sind.  ( Strafen unbekannt) Der Ami war natürlich stocksauer. Alle Vergünstigungen für  das  gesamte Lager sollten gestrichen werden.  Unsere deutsche Lagerleitung hat grosse Anstrengungen unternommen,  um alles einigermassen human verlaufen zu lassen. Das Ganze war eine "Dummheit hoch drei". Der Ami wurde natürlich strenger bei den Arbeiten ausserhalb des Lagers.  Zu allen Lagern muss ich sagen, das der Ami uns immer verhört hat, um KZ - Bewacher   und andere hohe Funktionäre ausfindig zu machen. Aber die meisten hatten sich wohl mit falschen Papieren eingedeckt, und waren in der Masse untergetaucht.  Ab und zu erwischten sie aber doch einen.  Wir im  Lager hatten schon sehr viel ausgediente Uniformen der Ami`s an. Es musste gross hinten,  PW ( POW ) auf dem Rücken stehen.  Da waren die Gefangenen sehr  erfinderisch: Die Buchstaben wurden meistens mit Zahnpasta geschrieben.  Wenn der Ami seine Kontrolle beendet hatte,  konnte man die Zahnpasta wunderbar wieder auswaschen.  Weihnachten 1945  war  ich noch in Plattling. Da gab es natürlich für die meisten Gefangenen das grosse Heimweh.  Es gab viele, die ihre Angehörigen  und ihr Zuhause bereits ein bis zwei Jahre   schon   nicht  mehr  gesehen hatten.  Das Weinachtsfest  selbst war wunderbar gestaltet.  In der Lagerleitung war dieses natürlich besonders schön,  weil wir nicht so viele Landser  waren und uns alle persönlich  kannten. Aber ein Weihnachtslied zu singen, fiel wohl alle wegen eines Klosses im Hals schwer.   Um  diese Zeit herum war es wohl auch,  als wir zum erstenmal nach Hause schreiben   durften. Meine Eltern hatten ja seit Weihnachten 1944 nichts mehr von mir gehört.  Wir bekamen spezielles Briefpapier vom Ami geliefert.  Da konnte man sogar mit Feder und Wasser drauf  schreiben.  Wo das Papir feucht wurde, wurde es tintenblau. Zensiert wurde unsere Post auch.  Aber unsere Angehörigen bekamen endlich Post von uns.  An Silvester habe ich keine  Erinnerung mehr. Es war natürlich strengstes Alkoholverbot.  Aber ich glaube,  unser Nachbar in der Baracke nebenan,  der mit  dem Ami befreundet war,  hatte eine Flasche  Schnaps gehabt.  Dieser  Mann  war wirklich ein Lebenskünstler.  Er konnte einfach aus jeder Situation das Beste machen.  Etwa Mitte Januar 1946 hies es,  wir kämen in ein anderes Lager. Die Parole ging um,   das Flüchtlinge in dieses Lager kommen sollten.  Ob was an dem Gerücht dran  war,  habe ich nie erfahren. Aber ob das Lager ganz aufgelöst wurde,  weiss ich nicht mehr.  Ein Teil anderer   Kameraden und ich, fuhren mit grossen dreiachsigen  LKW`s und verrückten Fahrern zum ehemaligen KZ Dachau. Ganz wohl war uns sicher nicht dabei.  Aber es wurde nicht so   schlimm,  wie  wohl einige erwartet hatten.  Ich kam in eine Baracke, die unmittelbar neben dem Aussenzaun und gegenüber von dem grossen Wirtschaftsgebäude lag.  Wir waren ungefähr sechs bis acht  Jugendliche, die sich in einer Ecke in den dreistöckigen Betten ihre Bleibe so gut es ging aufbauten. Die anderen waren alles schon ältere Soldaten in unserer Baracke. In dem ganzen Lager  waren natürlich nur SS-Angehörige. Es fehlte auch kein Dienstgrad. Wir hatten einen ganz besonderen Typ eines Untersturmführers (Leutnant)  in unserer Baracke mitwohnen. Erstens war er Blutordenträger.  Er hatte in den dreissiger Jahren den Marsch mit Hitler zur  Feldherrenhalle   mitgemacht.  Dieser war blutig  niedergeschlagen worden, und es hatte allerhand  Tote  unter den  Anhängern Hitlers gegeben.  Die Überlebenden haben dann diesen berühmten Blutorden bekommen. Es mögen zwischen 10- 20 Leute gewesen sein.  Eine genaue Zahl der Überlebenden   könnte man wohl durch Nachforschungen herausbekommen.  Für meinen Erlebnisbericht  wohl auch  nicht so wichtig. Diesen Blutordensträger hatte man zu seinem Orden auch noch  zum  Untersturmführer ehrenhalber befördert. Wer ihn kannte, konnte darüber nur mit dem Kopfschütteln,  denn es reichte bei dem eigentlich nicht mal  zum Gefreiten. Fanatisch war er immer noch  und ebenso jähzornig.  Wir Jungen hatten mal vor dem Wecken seine Holzschuhe festgenagelt. Wecken, Aufstehen und Zählappel vor der Baracke musste immer schnell gehen. Wir  waren  schon angetreten, da hörten wir aus unserer Baracke einen Höllenspektakel. Unser Untersturmführer war in die festgenagelten Schuhe gesprungen und hatte eine deftige Bauchlandung gemacht.  Aus Wut darüber hatte er angefangen,  die ganze Bude zu demolieren.  Die Ami`s luden ihre MP`s durch und stürmten die Bude.  Die hätten ihn glatt erschossen,  wenn er den Arm gegen sie   erhoben hätte.  Aber es ging glimpflich ab.  Er musste alles wieder aufräumen. Mit uns hat er nie wieder gesprochen. Sonst war die Behandlung im Lager nicht schlecht.   Die Verpflegung   war  nicht überreichlich,  aber gut.  Mit der Unterkunft waren  wir sehr zufrieden.  Ab und zu gab es auch mal Theateraufführungen im Speisesaal  der  Wirtschaftsbaracke. Es gab auch Arbeitsmöglichkeiten ausserhalb des Lagers.  Bei so einem Kommando auf einem riesigen Benzinverladebahnhof in München war ich eine ganze Zeitlang mit dabei.  Das Schönste   dabei  war,    mal  Zivilbevölkerung zusehen.  Von den LKW`s  winkten wir immer den Mädchen zu. Abends in der Baracke wurde dann gestritten, welches Mädchen zu wem gewunken hatte.   Es gab in  diesem Lager sicher eine Menge Gefangener, die andere Sorgen hatten. Am anderen Ende des Lagers sollen ein ganzer Teil ehemaliger KZ Aufseher untergebracht gewesen sein.  Unserer  Baracke gegenüber war durch eine hohe Mauer besonders abgesichertes flach gemauertes Gebäude. In diesem Gebäude mit Zellenfenstern waren die berüchtigte Ilse Koch und   andere untergebracht.  Irgendwann erzählte man,  dass der Duce Befreier Skorzeny ins Lager eingeliefert worden sei und auch in diesem besonders gesicherten  Trakt untergebracht worden  sei.
Wir hatten bald spitz,  das man wunderbar vom Dach des Wirtschaftsgebäudes aus,  auf die Zellenfenster gucken konnte. Die meisten taten es nur, um mal wieder Frauen zu sehen. Einige der  inhaftierten Frauen waren auch nicht kleinlich im Vorzeigen ihrer Reize.

                                                        Das wirkte irgenwie komisch: Hermann Göring von weissen Helmen eingerahmt


Die wohl interessanteste Begegnung hatte ich (wir) bei einem Theaterbesuch im Wirtschaftsgebäude. Wir hatten uns schon gewundert, warum mehrere Bankreihen nicht besetzt waren. Da  wurde tatsächlich Hermann Göring,  bewacht von 20 bis 30 Militärpolizisten, eingeführt. Die Bewacher setzten sich im Viereck ( nicht auf  Tuchfühlung) um Hermann  Göring herum.   Das  wirkte irgendwie komisch;  Göring von weissen Helmen eingerahmt. Wieso Göring nach Dachau kam,  war nie zu erfahren.  Ob dieses in der Prozess Pause in Nürnberg immer gemacht wurde,  oder warum auch immer, war einfach nicht zu erfahren. Ich sah jedenfalls Hermann  Göring das dritte Mal in meinem Leben. So eine hohe Figur in Gefangenschaft zu sehen, war  schon eine  Sensation.  Einmal wurde ein grosser Teil des Lagers aufgerufen,  sich draussen zu versammeln.  Da wurde uns von einem gut deutsch sprechenden amerikanischen Offizier ein deutscher  SS   General vorgeführt. Den hatte man draussen,  in einer Gärtnerei arbeitend, aufgestöbert.  Dieser wurde nach allen Regeln der Kunst vom Ami vor versammelter Mannschaft  lächerlich gemacht. Für diese hohen Dienstgrade gab es einen besonderen Trakt im Lager. Hätte man diesen General bei uns untergebracht, hätten wir bestimmt auch mal seine Schuhe vor dem morgentlichen  Zählappel festgenagelt.  Wir  kamen auch ohne diese Leute gut zurecht.  Wenn die Ami`s von unserem überdrehten Blutordensträger gewusst hätten,  wäre dieser  wohl auch gesondert untergebracht  worden. Vielleicht wussten sie es,  haben ihn aber,  wie wir anderen auch,  nicht für voll genommen.

                                                                     Das war eigentlich die schönste Bahnfahrt meines Lebens


Heute bereue ich es,  das ich meine Erlebnisse nicht schon früher aufgeschrieben habe.  Denn heute sind doch viele Erlebnisse ( Namen,  Daten,  Verhörmetoden  usw. )  auch durch gewollte  Verdrängung,  einfach  aus dem Gedächtnis verschwunden.  Aber auch in der Kriegsgefangenschaft sprachen wir so gut wie gar nicht über unsere Kriegserlebnisse. Für uns jüngere  war die  Gegenwart  und  die  ungewisse Zukunft  viel  interessanter.  Wir  brachten uns auch gegenseitig  Tanzschritte  bei.  Denn wie wir hörten, soll  draussen  feste getanzt werden.  Das war wohl auch  mit  einer  unserer  grössten Wünsche:  ein  Mädchen  im  Arm  zu halten.  Eine  Zeitlang  hatte  ich auch  in einer  grösseren  Schmiede  gearbeitet.   Das  war für  mich,  als angelernter   Maschinenschlosser ganz   gut.   Denn  ich  hatte  ja noch nicht ausgelernt.  Die  machten  da  viel  Kunstschmiedearbeiten für die Ami`s.  Leider  war ich  nur kurze  Zeit dort. Aber  andererseits   war  ich auch  wieder froh darüber,   denn  der Schmied  war ein grosser  Klotz  und  ging nicht gerade sanft  mit  mir  um. Trotzdem hätte ich  ganz  gerne in  der Schmiede noch dazugelernt.   Denn  im Nehmen war  ich auch nicht  gerade zimperlich. Aber irgendwie wurde  ich  woanders  eingeteilt.  Hauptsache  war, das man  immer  irgend  eine  Beschäftigung  hatte  und  keine  Langeweile   aufkam.  Obwohl  wir  im  ehemaligen  KZ  Dachau  untergebracht waren,   hat  man  nie  während   unserer  dortigen Gefangenschaft  versucht,   uns  das  Grauen,  das  dort  mal  stattgefunden   hat,   zu  übermitteln.  Mit   höheren   Dienstgraden und  überführten  ehemaligen  Aufsehern,  ist  das  sicher  anders  gewesen. Wir  haben  dies  aber  nie  erfahren.
Überführte  haben  sich  gehütet,   im  Lager  darüberzu  sprechen,  denn  sie wollten  auch  im  Lager  aus naheliegenden Gründen  sicher  unerkannt bleiben.  Einiges  über das  KZ  kam natürlich  auch   bei  unseren  Verhören durch  den amerikanischen  Verhöroffizier  zur Sprache.  Mit  uns  Jüngeren war  er nicht  ganz  so  streng  bei den  Verhören. Gefürchtet  waren  diese  Verhöre schon.    Wenn  alles   klar  war,  konnte  man  damit  rechnen,   nach  Abschluss  der Verhöre,  seine   Entlassungspapiere  zu  bekommen.  Ein  Jahr  nach  Kriegsende  und  am Tag  der   Kapitulation  war  ich noch  in  Dachau   in  Gefangenschaft.   An den  Tag  kann  ich  mich  noch ziemlich  genau  erinnern,  denn   irgendwie mussten  alle  im  Lager   bleiben. Draussen auf  der  anderen  Seite   des  grossen  Doppelzaunes waren  ein   ganzer  Teil  Menschen zu sehen.  Darunter   sollten  viele  ehemalige Häflinge des  Lager  Dachau  gewesen  sein, die  nun  die  Stätte der Pein  als freie  Menschen  besuchten.  Was  denen  wohl in  den  Köpfen  vorgegangen  war,  kann  wohl  nur  einer nachvollziehen,   der   es  selbst erlebt  hat.    Naja,  wenn  man   überliefern und  nachvollziehen  könnte,    hätten wir  wohl für  immer  eine  heile  Welt.  Später  hiess  es,   es  wird  ein Transport mit  Leuten  aus  der  britischen    Zone zusammengestellt.

                                                                              -Endlich Richtung Heimat-


Wir  konnten  alles  mitnehmen,   was wir  so  besassen.   Ich  besass  z.B. mehrere   Jacken,   Hosen,  eine  Pelzjacke, Schuhe  und mehrere  neue  Feldflaschen mit   Speiseöl.  Alles war  noch  von Plattling.  Die  Feldflaschen mit   dem  Speiseöl  hatte  ich  von unserem Lagerspiess  aus  Plattling  und  sollte  sie  seiner  Familie  überbringen. Ob das  Öl  noch gut  war,  weiss  ich nicht mehr.  Wir  waren  ca. 1000  Mann, die in  Güterwagen  mit nur   einem amerikanischen Begleitoffizier  Richtung  Munster Lager fuhren.  Es war eigentlich  die  schönste  Bahnfahrt in  meinem   Leben.   Den Empfang vom  Engländer  in  Munster  Lager  werde ich  auch  so  schnell  nicht  vergessen. Denn der  stand  da,  mit einer  Menge schwer  bewaffneter   Soldaten  und   mehreren Panzerwagen.   Das  war  wie  ein   schlechter Traum.  Ob   der Ami wohl  geschmunzelt  hat ?   Wir  gewiss nicht?    Wir   wurden zuerst  in  grosse  Nissenhütten  geführt. Da  mussten wir  dann   antreten  und   unser Gepäck vor  uns  auf  den  Boden  legen. Dann  kam  ein  englischer  Offizier   mit einen Stock  unter  dem  Arm ( üblich  beim englischen   Militär).   Er hatte  einen deutschen Wehrmachtsoffizier  in  seiner Begleitung dabei,  in   einer  grün  gefährbten Uniform, auch   mit  einem  Stock  unter dem  Arm.    Die  beiden  schritten unsere Front   ab.   Der  deutsche   Offizier nahm uns  fast  alle  unsere  schönen Klamotten ab,  samt  meine   Feldflaschen. Das grüne  Personal,   ehemalige  deutsche  Wehrmachtsoldaten, nannte  man  abgekürzt  GSO (  GermanService Organisation).    Der  Engländer hatte  diese GSO  Leute  als  Fahrer,  Wachpersonal  (unbewaffnet)  und Dolmetscher   bei sich  beschäftigt. Ob  wir  wohl  wegen unserer  Klamotten  Wut   im    Bauch  hatten ?   Auflehnen  wäre  uns   wohl nicht gut bekommen,  und   wir  wollten  ja  auch so schnell wie  möglich   nach Hause. Ein ganzer   Teil   der  Gefangenen  hatten schon ihre Angehörigen   benachrichtigen können, das sie   im  Munster-Lager  sind und entlassen werden sollten.  Viele  Familien waren   daher angereist  und standen  ausserhalb des  Zaunes  und konnten    sich   mit  ihren Männern und  Angehörigen  auf diese Weise   zum Teil  nach   jahrelanger  Trennung wiedersehen.  Aber  dann  gab  es den  grossen Knall.   Der   Engländer   liess  bekannt  machen,   das  alle  gesunden  und arbeitsfähigen   Männer   nach  England zum  arbeiten  abtransportiert  werden  sollen (meistens  im Bergwerk).    Diese   Nachricht schlug wie eine Bombe  ein.  Zur Untersuchung wurden im   Freien  Tische   aufgestellt, wo pro Tisch  ein deutscher Arzt  die Untersuchungen vornahm.  Als  die    Nachricht  noch  nicht   bekannt    war,  waren alle  gesund.   Aber   nach  Bekanntgabe der   "Englandfahrt",   humpelte  fast  das  ganze  Lager.  Viele  haben sich  mehr  oder weniger    schwer verstümmelt,  um  nach Hause  kommen  zu können. Bei  dieser Untersuchung traf   ich zu  unser  beider Überraschung  meinen Vetter Heinrich  Nielsen (auch von  Sylt) wieder.  Er  hat  mich auf  Anhieb   nicht gleich wieder   erkannt. Denn  es  standen  ja auch   alle unter grosser  Anspannung.  Mein Vetter wurde   wegen   seiner  Fussverletzung entlassen.   Ich   wurde,     weil  ich  noch  keine   18 Jahre  alt  war,   entlassen.   Die   Freude   darüber kann man  nicht   beschreiben.  Was  wirkliche Freude ist,  kann   man nur   durch  solche Erlebnisse erfahren.  

                                                Unter Geschrei der Vorarbeiter bin ich wieder runtergeklettert


Wir   wurden   mit   reichlich Verpflegung eingedeckt.   Dann  ging  die Reise   los.  Erstmal  ins  Durchgangslager Segeberg.   Segeberg  war   auch  Durchgangslager   für   Flüchtlinge.  Dieses Elend,  was  wir  da  zu  sehen  bekamen, war  unbeschreiblich.   Nicht  nur,  dass  diese  Menschen  ihr  Hab und  Gut  in  der  verlorenen   Heimat lassen   mussten,   eswaren  auch  viele die  von  den  Russen schwer mishandelt   worden   waren.  Die   unglücklichen  Kinderaugen  vergisst    man  auch nicht  so  leicht.   Wir  haben  gleich  unsere ganze Butter   usw.  an diese  armen  Menschen verschenkt.  Wir dachten   natürlich  auch,  das  wir  bald  nach  Hause  kämen  und  dann ja alles   hätten.  ( Irrtum)  Wir machten uns,    nach  dem  wir  unsere Papiere  fertig  hatten,  auf  den Weg  Richtung  Niebüll.  Heute  1996   von Sylt nach  Paris zukommen,  ist  gewiss einfacher als  1946 von  Segeberg  nach Niebüll.  Mein   Vetter blieb noch bis  zum   nächsten   Tag  in  Niebüll,  weil  er  dort    von  einem ehemaligen  Kameraden eine  Nachricht  überbringen  wollte.   Ich bin   weiter   gefahren. Auf   halben  Weg vom  Bahnhof  nach  Hause,  traf    ich  als erstes   bekanntes Gesicht,   unsere    Nachbarin  L.G.    Nach dreizehn   Monaten  Gefangenschaft  und  vier Monaten  Militärzeit war es    natürlich  ein überwältigendes  Gefühl,  unsere Strasse  mit  der  bekannten   Umgebung   wieder zu  sehen.  Ich konnte  es  immer  noch  nicht  fassen,  das   ich   nun  endlich  die  Tür von  Zuhause  hören  konnte,  an  die ich an  der   Front  oft  gedacht   habe. Das  mögen  kleine  Dinge sein,   aber  sie  können   eine  grosse  Bedeutung  haben. Zuhause  gab  es  natürlich das  grosse Wiedersehen.    Meinen   18  Geburtstag  konnte ich  zu  Hause  feiern,   obwohl  ja  alles  knapp  war.  Nun  ging  erst mal die ganze  Anmelderei   los. Ich  war  ca.  14   Tage  zu  Hause,  da  bin  ich  wieder  zur   Sylter   Inselbahn  und   habe  meine  abgebrochene    Lehre  als  Maschinenschlosser  weitergemacht.  Das   war   auch   ein  Erlebnis,  die  alten,   bekannten  Gesichter  der  Gesellen    wieder  zusehen.   Es  war  auch  wiederum   eine   komische Situation  für  mich, denn  nun  durfte   ich  in  den Pausen  nicht  rauchen.
                                                                                                                        Ausweis
Die  Gesellen  wurden  alle  mit  "Sie"  angesprochen.   Zu  Hause musste  ich  Abends pünktlich  um  22 Uhr  sein. "Aber   Lehrjahre  sind nun  mal  keine  Herrenjahre"   sagt man. Die  Lehre  bei   der   Inselbahn hat  mir trotzdem  Spass gemacht. Leider  war die   verlorene Zeit  durch   Militär  und Gefangenschaft nicht mehr  aufzuholen.   Die   Prüfung bestand   ich  trotzdem.    Eines Morgens,  ich  war  schon  ungefähr  ein Jahr wieder zu   Hause  und  hatte  länger  geschlafen.  Meine  Mutter   machte  sauber. Fenster  und  Türen  standen  zum Lüften auf, da  knallte   meine    Zimmertür  vom Durchzug  mit  grosser  Wucht zu.  Ich  hatte wohl   auch  gerade vom Krieg  geträumt.  Ich  hatte   so  einen  Schreck  ( Schock) bekommen,   das  ein Arzt   kommen musste. Den  Geruch   verbrannter  Menschen   und Pferde  hatte  ich  immer  noch  Zeitweise   in   der  Nase.   Aber meine    Jugend  hat  mir  viel bei  der  Verdrängung  des   Erlebten geholfen.  Ich  möchte   auch  kaum  mit jemanden  über   meine Erlebnisse  sprechen. Meine  Wut  auf   Uniformen   war  so gross,  das mir  sogar   die   Bahnbeamten  mi t ihrer     Uniform  ein  Dorn   im  Auge  waren.   Politisch  war die  Zeit  auch interessant.   Bei Wahlveranstaltungen   aller   Coleur   war es   immer  proppenvoll.   Meine Freunde und  ich,  besuchten  fast   alle Veranstaltungen  aller  Parteien.   Aber  mit   der  Demokratie  umzugehen,   mussten   wir  erst  noch   lernen.   Unsere   Freizeit   bestand  meistens darin,   tanzen   zu    gehen. Alle   Lokale hatten  eine  Tanzkapelle.  Die  Kleidung  der Männer   bestand meist   aus  ehemaligen  Uniformen.  Marinehosen   waren  schon   etwas besonderes.  Sogar   ehemalige  Jacken  der Panzerfahrer tauchten   auf.     Viele  Mädchen   trugen  Blusen  und  Röcke aus  karierten  Militärbettbezug.  Die  Not  war  eben   sehr  gross. Aber wir    machten  das  Beste  daraus.  Schnaps  haben   wir   auch schon   mal  selbst  gebrannt.  Dieses war  natürlich  strengstens   verboten.  Zigaretten   waren  besonders  knapp,   daher  natürlich  beste  Währung.  Der   Schwarzmarkt   blühte.   In  der  Zeit  lernte  ich  meine heutige  Frau Gisela   kennen.   Sie war   damals  16  Jahre  alt.   In  den  Lokalen  war  der   Eintritt  erst   ab  18   Jahren  erlaubt.  Wenn  die  Kontrolle  kam,   hatte  ich meistens  eine  Schulkollegin,   die   über  18 Jahre  war und  schon  kontrolliert   war.  Sie ging  dann  nach   draussen   und reichte   meiner  damaligen  Freundin   ihren Ausweis  durch  das  Toilettenfenster  rein.  Das  ging  immer  sehr gut.   Schlimmer war  es,  wenn  der    Engländer  eine Razzia   machte.  Der  nahm  dann  kurzerhand  immer  alle  Mädchen  mit   auf   LKW,   mit  denen   sie   zur    Nordseeklinik gefahren  wurden.   Dort  wurden  sie  auf   Geschlechtskrankheiten   untersucht.   Darüber  waren  wir    natürlich   immer  stinksauer.   Der  Abend   war  dann natürlich   im  Eimer.   Einmal  haben  wir,   als  eine  Razzia  im  alten Kursaal  war,   dem Engländer   die  Luft  aus   den  Reifen   gelassen.   Die haben   uns noch  mehrere  Kilometer    am Strandverfolgt,   aber   nicht  bekommen.  Sonst vertrug   man  sich  einigermassen mit  den  Engländern.   Die   gingen   ja  auch mit  ihren   Mädchen zum  Tanzen  ins Lokal,   in  denen  auch   Deutsche  waren.  Die  meisten  Engländer  hielten   sich  aber hauptsächlich   in   ihren   eigenen  Messen  (Pub)  auf.   Da  war  natürlich  für  Deutsche   kein   Zutritt.   Deutsche  Mädchen  in  Begleitung  eines Engländers konnten  aber   mit  rein  in  den   Pub. Das schönste   an dieser    Zeit  war, das  die  Menschen   sehr  zusammen   gehalten hatten.  Wir  waren   immer  eine  grössere  Gruppe   zusammen,  die  zum  Tanzen nach  Wenningstedt,   Keitum  oder  wohin auch  immer   gingen.   Die  Mädchen waren    meist   in  grosser   Überzahl auf  dem  Tanzboden.   Das  war  hauptsächlich durch  die  grosse   Menge  Flüchtlinge  auf    der   Insel   zu  erklären. In  Diekjen  Deel,  wie  ich  mich erinnere,   bewohnten   fünf   Familien einen  Raum.   Diesen   hatten  sich die  Bewohner   mit  Wolldecken   unterteilt.  Das  Elend  war  unbeschreiblich,   Kasernen, Baracken,   Hotels,   Pensionen   und Privathäuser waren  vollgestopft   mit  Flüchtlingen.  Dazu gab   es  auf  der  Insel so  gut  wie keine    Arbeit.   Das   Arbeitsamt  war gegenüber   der   Alten   Post  im  alten Hotel.  "DeutscherKaiser".    Da  musste  man  sich   jede  Woche  einmal melden  und bekam  einen   Stempel  in seine  Stempelkarte.  Oft  standen  mehrere hundert    Arbeitslose Schlange  vor  dem  Arbeitsamt.    Im  Winter bei  eisiger  Kälte,   war  das  keine schöne  Angelegenheit.   Ich  zog   damals zu meinem  Freund  Max  Jensen  in  die Bastianstrasse,  in  ein  kleines,   winziges  und ungeheiztes    Zimmer.  Denn  wer  zu Hause wohnte,   bekam überhaupt   kein  Stempelgeld.  Das  war meine  Jugendzeit.   In dieser  Zeit   von Not   und   Elend hat man sich  nicht mit  der  Überlieferung und über  das  Tun   und   Lassen  des Dritten   Reiches  beschäftigt.   Dafür hatten die   Menschen  ganz  andere  Sorgen und nach  den gemachten   Erlebnissen  und   Erfahrungen   glaubte  man  sicher, das eine  Wiederholung  auch nur  in ähnlicher Form   vollkommen   ausgeschlossen    sei.  Heute weiss  man,  das eine bessere  Überlieferung  an  die folgenden Generationen  sehr  hilfreich gewesen wäre   Dann  würde   auch so mancher  Politiker heute  besser   zu diesem Thema  argumentieren  können.  Eine Rückblende in    sachlicher  Form  als Lehre sollte  für   uns immer  unerlässlich sein. Mittlerweile  wurde die  Notstands   arbeit eingeführt.   Wer eine  gewisse  Zeit gestempelt hatte,    musste diese  Notstandsarbeit verrichten.   Das  war  fast nur   Arbeit  mit  Spaten  und  Schaufel  (Kanalisation  usw.).   Ich    bekam mal,  weil ich Schlosser  war,   eine Zuweisung  zu   einer  Abrissfirma   in  List,  die  die Flugzeughallen demontiere.   Da  waren  schon mehrere  tödliche Unfälle    passiert.  Ich  war  auch gerade zehn  Minuten in etwa  zwölf  Meter Höhe und sollte einen  Träger abbrennen.


                                                                                 Arbeitslosenkarte
Als  ich  rundherum  die Sicherheitsmassnahmen  sah,  bin  ich  unter Geschrei   der  Vorarbeiter  wieder runtergeklettert     und  habe  meine  Papiere  verlangt  (Heute  würde  man solche  Firmen  vor  Gericht  bringen ). Der  Mann  vom  Arbeitsamt  hatte  für  mich  Verständnis,   und  so   bekam ich  mein  Stempelgeld  weiter.   Das wurde   sonst  nicht  so  gehandhabt. Viele  junge   Leute  waren  damals  vom  Engländer  im  Ruhrgebiet    verpflichtet   worden.   Dort   gab  es vor  allen  Dingen  im  Bergbau  viel Arbeit.  Im     Bergbau   zu   arbeiten   war  mehr  als  ein  harter  Job.   Viele,   die  einen  anderen  Beruf erlernt   hatten,  fanden  auch  Arbeit in  diesem  Beruf.   Auf  der   Insel war  es  immer  noch   eine  grosse Glückssache wenn  man  mal  für  ein  paar Wochen  Arbeit  bekam.

                                                                                                                                         
 Das  Geld reichte   knapp  für  die  Zimmermiete und  Kostgeld   für  zu  Hause.   Es war  garnicht   daran  zu  denken,  neue  Garderobe  zu  kaufen.   Die   Zukunft  für  uns   junge    Menschen  sah  nicht   gerade  rosig   aus.  Unser Hauptvergnügen   war  es  meistens,  abends zum  Tanzen  zu  gehen.   Vor  allen Dingen  im  Winter,   da   waren  die  Lokale geheizt. Tanzschulen  waren  zu  der  Zeit gross  im   Kommen.   Meistens   wurde  ein  Heissgetränk getrunken.  Eintritt  musste wegen der   Gage der   Kapellen   gezahlt  werden.  Die Preise  waren  dem  Geldmangel  aber  angepasst.

                                                                         Von Hamburg nach Düsseldorf mit dem Fahrrad


Da  ich  inzwischen  verlobt  war und es  auf   Sylt  keine  Möglichkeit  gab,  auf  den  grünen  Zweig zu  kommen,   habe   ich  meinen Holzkoffer  auf   mein altes  Fahrrad geschnallt  und  bin  im Oktober 1950 Richtung  Rheinland   aufgebrochen. 50  Mark hatte  ich  mir  als  Reisekasse zusammengespart.   Damit   konnte  man  bei einer sehr    sparsamen  Lebensweise  gute drei Wochen auskommen.   In  Niebüll  bin ich auf das  Rad  gestiegen  und  Richtung  Husum reradelt.   Es  war  Rauhreifwetter.  In Husum  lernte  ich  zwei  Kraftfahrer kennen, die   mit  ihrem  kleinen  LKW nach  Eckernförde  sollten  und  einen Tag später   nach  Hamburg  weiter wollten.  Bis nach  Hamburg  wollten sie  mich   auch  mitnehmen.  Das war natürlich   ein  grosser Sprung  in meine  Richtung.   Erstmal  musste  ich mir eine    Unterkunft   für  die kommende Nacht  suchen.   Ich  weiss  nicht  mehr auf wie  vielen  Stellen   ich   war. Es gab einfach  keine    Möglichkeit  unterzukommen. Beim  Roten   Kreuz   war  ich mehrere  Male. Zuletzt  bin  ich  zur Polizei  gegangen, um    mein  Glück  zu  versuchen.   Ich musste lange  reden,  bis  sie  sich  erweichen liessen.   Freie  Zellen  hatten   sie nicht.  Aber   wenn ich  wollte,  konnte  ich  im  Spritzenhaus  übernachten.  ( Spritzenhäuser  waren früher so  eine  Art   Gefängnis).  Da  war auch noch  ein älterer   Mann aus der  Ostzone,  der auch   eine  Übernachtungsmöglichkeit   suchte.  So  hatte   ich  wenigstens Gesellschaft.  Wir  wurden  natürlich  eingeschlossen. Im  Gebäude  drinnen  war  alles   kahl und  nur  Betonfussboden.   Dazu war   es  lausig   kalt .   Decken hatten  wir  auch nicht.  Da  haben wir  uns  dann,   als  wir es  vor   Kälte  nicht  mehr  ausgehalten hatten,  Späne  aus  den   Balken geschnitten  und   ein  offenes  Feuer   gemacht.  An  Schlafen  war nicht   mehr  zu  denken.  Das   Feuer  war  auch  kläglich.  Nächsten Morgen  wurden   wir    wieder von  der  Polizei   befreit.  Wir  haben  wohl  bös  ausgesehen,   dazu  kohlrabenschwarz  im  Gesicht   von  dem    Feuer ! Wir mussten bei  der  grossen   Not  und dem Platzmangel,  die  in   ganz  Schleswig-Holstein  durch den     immer   noch  anhaltenden Flüchtlingestroms  herrschte,    dankbar  sein. Wir  waren  beide  allerdings  fix  und  fertig.  An  das   Auto Richtung   Hamburg   war  in  meinem  Zustand nicht  zu  denken.   So  haben wir   uns  beide  wieder   an  das   Rote  Kreuz   gewandt  und  um  Hilfe  gebeten.    Mein Kumpel,   der  von    Beruf   Melker   war,  konnte  an  einen  Bauernhof  vermittelt  werden.  

                                                                                                                   Personalausweis


Das  war  zu  der  Zeit  schon ein  riesiges  Glück.  Mit  mir  hatte die   Angestellte  vom  Roten  Kreuz  so viel  Mitleid,   das sie  mich  zu  sich  mit   nach  Hause  nahm.  Da konnte  ich  mich  erst  mal  waschen,  bekam  zu  essen  und   ein  Bett.  Es  war   eine  grosse ,   nette Familie.   Von  der  Frau  war  das eine   aussergewöhnlich   grosse,   menschliche Geste.    Denn  zu  jener  Zeit,  hatte   jeder  sein  eigenes  schweres  Schicksal  zu  tragen.    Dazu waren  die  Menschen   vom  Roten  Kreuz  jeden Tag  total   überfordert.   Dank  dieser  Familie  bekam   ich  am  nächsten  Tag  einen  Platz  auf  einem   KW  Richtung Hamburg.  Von   Hamburg  bin  ich  fast die  ganze   Strecke   bis  Düsseldorf mit  dem  Rad     gefahren.   Details dieser  Tour  sind  mir  entfallen.  Bis  Düsseldorf   habe  ich volle   14 Tage  gebraucht.    In  Düsseldorf  habe   ich   mein  Fahrrad  erstmal  in  der   Gepäckaufbewahrung  aufgegeben.   Übernachtet   habe  ich  mehrmals  in   einem   Obdachlosenheim  ( in  einem ehemaligen   Luftschutzbunker).   Am  Tag bin   ich  dann  los  auf   Zimmersuche.   Das  war   aber   ein  hoffnungsloses Unterfangen.   Arbeit  gab  es  genug, aber nur  wenn  man  eine   feste Bleibe    nachweisen   konnte.   Das war  ein  Teufelskreis.   In  Düsseldorf   wollte  ich   mich eigentlich   mit einem  anderen  Westerländer    treffen,   der   mit  dem  Zug  kommen wollte.  Irgendwann nach  Tagen  haben  wir uns tatsächlich  in  einem    Obdachlosenheim wieder  getroffen. Wir  hatten  bald  von  Düsseldorf   die Nase  voll.  Wir  sind  dann  in  Richtung  Duisburg - Hamborn - Meiderich weitergegangen.   Da war   aber  das   Gleiche wie  in Düsseldorf.   Keine  Arbeit ohne  Bleibe   und umgekehrt.  Nach   langem  Suchen  fanden  wir endlich Arbeit  in  einer  Baufirma  "Sager  und Woerner" in    Meiderich.   Diese  Firma  hatte Wohnungbaracken   auf   dem  Gelände aufgestellt,  auf  dem  auch  gebaut  werden sollte. Das   ganze   Gelände  war ein Schlammloch.   In    unseren Wohnräumen lag  nachher,   vom   Reintreten,   über 5 cm  Schlamm.   Wir wohnten  zum  Teil mit acht  Personen  in   einem  Raum.  Von der Firma  wurden  vor  allen    Dingen  Maurer  gesucht.    Aber   da   waren nicht  viele  unter   uns,  die  diesen Beruf  oder  ähnliches    gelernt  hatten.   Da   wurden  dann  einfach  Leute  von  uns  ausgewählt  und  ein paar   Tage  angelernt   und  dann  als Maurer   eingesetzt.   Ich  wurde  als  Maurer  eingestzt,   weil  mein   Vater Maurer  war.  Die   Poliere  waren  da natürlich  voll    gefordert.   Denn  die  Bauten  mussten  bald   bezugsfertig sein.    Ich  schätze,  das  wir  rund   200  Arbeiter  gewesen  waren.  Das    Arbeitsklima  war  aber  auch  wunderbar.   Verdient   wurde  auch  gut. Jeder  konnte   so  viel  Überstunden  machen,  wie  er   wollte   und  konnte. Unsere  Tage bestanden   nur  aus Arbeiten  und  Schlafen.  Ich  war   bei dieser  Firma   vom  7.11.1950 bis  zum  6.12.1950.    Bei  dieser Firma hatte  ich  mich  mit  einem Arbeitskollegen aus   Duisburg-Hambornan gefreundet.   Bei  ihm konnte  ich erstmal  wohnen  und  mir so eine Arbeitsstelle   als    Schlosser  suchen. Bevor  ich  das  tat,    habe ich mich aber  erstmals  nach  Kriegsbeginn neu   eingekleidet,  ein  neues Fahrrad   gekauft  und  eine  Rückfahrkarte  nach   Westerland  gelöst.  Da  war mein  Geld  auch bald  alle.  Aber ich  hatte    mir, wenn  ich  zurück  nach  Hamborn  komme,  eine  Unterkunft und  eine  Arbeit  gesichert. Das  war eigentlich  alles  in   allem  für   fünf   Wochen  in der  Fremde  eine  gute Bilanz.   Ich  fuhr  erst  einmal  nach  Hause zum   Weihnachtsfest.  Auf  das  Wiedersehen mit  meiner  Verlobten  Gisela freute  ich   mich   natürlich  besonders.  Sie  hatte  zu  der   Zeit  ein kleines  Zimmer bei   meinen  Eltern. Zuhause   zahlte  ich  dann  mit  meinem Fahrrad  als  Kostgeld.  Anfang    Januar   fuhr  ich  dann  wieder  runter nach  Duisburg-Hamborn.   Bei  der Firma  Josef   Brand  habe  ich  dann bis   1953 als  Schlosser  gearbeitet.  Wir stellten  alles her,   was so  im  Bergbau  gebraucht   wurde. Einmal  bin  ich   für   unsere  Firma in  so   ein   Bergwerk  eingefahren   ( niewieder!).    Was  Bergleute  da  unten  leisten  mussten,   war   schon  ungeheuerlich!  Die  hatten auch  immer  Durst, wenn  sie  ans  Tageslicht  kamen.  Drei Kneipen   vor  einem   Zechentor  waren  keine  Seltenheit!   Überhaupt war   rundherum  Grossindustrie.   Wenn   die  Hochöfen   angestochen   wurden  oder  von  den  Kokereien  sah  es  Abends immer so   aus,  als wenn   der ganze  Himmel   brannte.  Wenn  man   eine  Stunde mit  einem hellen  Hemd  auf  der   Strasse ging,   war  der   Kragen  schwarz.   Die  Häuser waren   auch   schon   mehr schwarz  als rot.  Die   Gegend   war  nichts  für mich. Ich  wollte   nicht   für  immer hierbleiben.


                                                                 Solange es Menschen gibt, wird es auch Kriege geben


Ich  verdiente  aber  gutes  Geld, rund  50  Mark  in  der  Woche. Inzwischen   konnte  ich  mir  auch  ein Zimmer  besorgen, das  ich  mit  einem Bergmann  teilte.   Wir  wuschen  uns in  einem  Waschbecken  in  der Küche.   Die  Wirtin,    eine   ältere Witwe,   verschwand  dann  immer  so lange. Das  Zimmer  kostete  inkl.   Wäschewaschen und  Kost,  28  Mark    die  Woche. Eines Tages  stand  meine   Verlobte plötzlich ohne vorherige  Anmeldung  vor der  Tür.  Das  gab  natürlich Probleme  mit der  Unterbringung. Wir hatten  aber  riesiges  Glück,   denn sie  bekam  eine  Stellung im  Haushalt bei   einem  Kokerei - Direktor.  Dort bekam sie  ein   Zimmer  mit Zentralheizung.   Dieses Glück  zur  damaligen Zeit   war    schon  aussergewöhnlich. Zentralheizung  war  sowieso eine Rarität.  Ich   durfte  sie  auch zu jeder   Zeit,  ausser    Nachts, besuchen.  Direktor Meurer   war   eine echte  Persönlichkeit. Ich  schreibe   auch darüber,   um  zu  versuchen,   ein bisschen  aus  jener  Zeit zu  übermitteln. 1952    haben  wir  geheiratet.   Eine kirchliche  Trauung  war  nicht möglich,  da  ich  ja  nicht   konfirmiert  war.    Es  fehlten  mir  ja,  wie  bereits  erwähnt,  drei  Monate  von  zwei  Jahren   an Konfirmationsunterricht.   Meine  Frau  und  ich  haben  dann   noch  ein  Jahr in   Duisburg-Hamborn   gearbeitet.   1953   zogen  wir  wieder  nach  Westerland.
Wir  bekamen   auch  bald  eine  Wohnung über  den  Flüchtlingeausweis   meiner Schwiegermutter.   Die    Schwiegermutter  wohnte oben und  wir  unten.   Die  Wohnung  hatte eine Wohnfläche   von  ca.  42  qm.  Eine Wohnung   in  einem   Neubau  war  1953 schon ein  grosses  Glück.    Bald  meldete sich bei  uns  der  erste   Nachwuchs  an. Der sollte nun  getauft  werden.  War  aber nicht  möglich,   da  wir  nicht  kirchlich geheiratet hatten  und  nicht  konfirmiert    waren.  Nach  Rücksprache  mit  Pastor Wilken,   gab  es  die  Möglichkeit,   die Trauung  und  die  Konfirmation   nachzuholen.  Aber  dann  müssten wir   nochmals  drei  Monate Konfirmandenunterricht  mitmachen.   Das  taten wir    dann   auch,   denn  ohne  kirchlichen  Segen  wollten  wir  nicht gerne  leben.   Dasselbe   Schicksal   hatte meine  Schwester   und  ihr  Mann  auch.   So  gingen  wir  zu  viert,  einmal  in  der  Woche  abends zum  Unterricht.   An  irgend   einem   Sonntag  im  Juni   1954  wurden wir  kirchlich  getraut  und  konfirmiert.  Nun  stand  der   Taufe  von  unserem  Sohn  Udo   nichts  mehr  im Wege.    Dabei  war  für  mich  der   Glaube   absolut   unerlässlich.   Trotzdem  hatte  ich  so  meine   Schwierigkeiten  mit   dem   "Bodenpersonal".   Heute  würde  man  wohl toleranter   verfahren.   Aber  auch  dieser   Vorgang  erschien  mir  erwähnenswert.    Arbeit   war  auf   der  Insel immer  noch  knapp.   Meine  Schwiegermutter zog    bald  aus  in   eine  eigene  Wohnung.  Ich  bekam  Arbeit  bei dem  Engländer  auf  dem  Flugplatz.  Unsere   Miete,  50   DM im  Monat,   haben  wir  oft  in  drei Raten  zahlen  müssen.   Ein   Dreirad  für  den  Jungen  wurde ebenfalls  in drei    Monatsraten  zu zehn   Mark   bezahlt. Die  Tochter unseres  Nachbarn  sollte  zu Weihnachten auch  ein   Dreirad   bekommen.   Der Händler verlangte  von  mir,   weil  er ihn  nicht  kannte,   das   ich  für unseren Nachbarn  bürge.  Das    waren schon  harte  Zeiten   für   die  Menschen!   Unsere  Winterfeuerung   z.B.  war  immer  knapp  bemessen   und   schwer   zu  bezahlen.  Möglichst nicht  so  früh  am  Morgen  mit Feuermachen   anfangen,   war  unsere Spardevise,     eine  von  vielen  anderen !   Aber  es   ging   allen anderen  Menschen auch  nicht  besser.  Im  Gegenteil,   die  Menschen  (hauptsächlich   Flüchtlinge),   die sich mit  ihrer  ganzen   Familie   ein Zimmer  teilen   mussten.  Viele  dieser Unterkünfte   hatten  nicht   mal   einen Schornstein   anschluss.   Da  hat  man einfach  das  Ofenrohr  durch  das Fenster   rausgeleitet..  Es  gab   eben keine  andere  Alternative.   Denn  frieren  ist  noch   schlimmer  als  hungern.  Im Herbst  halfen  wir  den Bauern  bei der  Kartoffelernte.   Bezahlt wurde  mit   Kartoffeln.  So  kamen  wir einigermassen  über die  Runden.

Ich  wollte  schon  vorher  die  Musik  mal  erwähnt  haben.   Im  Krieg  war  das   Tanzen   ja  verboten  gewesen.   Nach  dem  Kriegsende  war  da   natürlich  ein  grosser  Nachholbedarf.   Es  wurde  hauptsächlich  Tango,   langsamer  Walzer,   Slowfox,   Walzer  und  Swing   getanzt.   Zum  Teil  machte sich   mehr  oder   weniger  in  den  fünfziger  Jahren  der  Einfluss  der  amerikanischen  Musik  bei     uns  bemerkbar.
Diese  beschwingte  Art  machte  sich in  der  Tanzmusik  bis  hin  zur Weihnachtsmusik  bemerkbar.  Diese  Entwicklung   wurde  zu  der  Zeit  lange nicht  von  allen  mit   Freude aufgenommen,   denn  die  Generation  und  auch  die  Älteren    waren  da  noch  sehr  konservativ  eingestellt.   Es brauchte damals  eine  ganze  Zeit, bis   man   sich damit   anfreundete. Man  sagte  zu  der Zeit:  "Es wird wohl allesverjazzt!"    Dann  kam der  Rock`n   Roll.   Damit  gab  es natürlich   auch   mal Schwierigkeiten auf  dem Tanzboden,   weil  dafür viel  Platz  nötig  war.   Ich  konnte mich  auch  nicht so  recht  an   diesen  wilden  Tanz gewöhnen.  Dabei   war  die  Rock`n  Roll Musik  eigentlich  das,   was  die Jugend zu  der    Zeit   gebrauchen  konnte !   Persönlich  meine  ich, das  es  bis zum  heutigen  Tage  nichts   Vergleichbares  gibt.  Als  man sich   mit  der  Musik  angefreundet hatte   und  Elvis   Presley  seines dazu gegeben  hatte,   war  das  schon eine   kleine  (oder   grössere) Revolution  zu  der Zeit.   Mittlerweile wurde  es  auf    Sylt  etwas besser  mit   der  Arbeitsplatz  situation.  Das   Ende  der  fünfziger  Jahre nahte. Viele   Flüchtlinge  haben  sich ins  Rheinland umsiedeln  lassen.   Viele  Insulaner  fingen auf  der Insel  an,   ihre  Häuser   zu bauen.  Ein  Quadratmeter  Bauland   war  noch für  50 Pfennig   zu haben.  Ich   komme  nochmals   auf  das  Jahr 1956   zurück.   Da  arbeitete ich   bei der  Heizungsfirma  Rudolf Otto   Meyer   in   den  Lister Kasernen  als  Monteur.  Zu  der  Zeit wurde  ja  die  Bundeswehr  auf   die Beine  gestellt.   Für  mich  brach fast  eine  Welt  zusammen,   als  das  bekannt  wurde.   Denn  ich  und viele meiner   Mitmenschen  zu  dieser   Zeit,  glaubten  sicher,  das  Deutschland  mehr  aus der  Geschichte und  Vergangenheit   gelernt  hätte.  Zu  der  Zeit   (1956)   musste  man wohl  antworten:    "Denkste!!"  Wir  sprachen natürlich   die  zukünftigen Soldaten auf   ihre  Motive   an.   Es waren meistens  Soldaten,  die  im  letzten Krieg schon  gedient  hatten   und   jetzt wieder freiwillig    zur    Bundeswehr   gingen. Die Antwort  auf  unsere   Fragen   war  fast  immer  gleich.   Sie  sagten:    "Wir haben  ja  nichts   anderes   gelernt oder sollten  wir  als   Schuhputzer arbeiten ??"   Eine  für   mich  nicht    nachvollziehbare  Entwicklung. Heute,  1996,  sieht  man  da  doch einiges   anders.   Wenn  man  die Gegenwart,  aber  auch   die   Geschichte   unserer  Welt    betrachtet,   dann   kommt man wohl  oder  übel   zu   folgender  Erkenntnis:  "Solange   es  Menschen  gibt, wird   es  auch  Kriege   geben!   "Darum  soll  man  immer   auf  der  Hut  sein und  die  Entwicklung  verfolgen   und  dann  soll   es uns  nie   gleichgültig   sein,  welcher  Geist  in   unserer    Bundeswehr  und   in   den  Menschen  dieses  Landes   steckt. 

Ich  hoffe,  das  die  Bundeswehr immer  ihre   Vornehmliche  Aufgabe   wahr  nimmt  und  für  den  Frieden arbeitet.

Denn  zum  Frieden  gibt  es  keine Alternative

Schlusswort:

Eigentlich  war  ich  immer  zu  faul zum  Schreiben.   Selbst  eine  Postkarte  war   mir  schon  zu  viel.  Andererseits,  war  es mir  schon  seit Jahren  ein   Bedürfnis,  vor  allen Dingen  meine  Kriegserlebnisse,  als  16  jähriger  Soldat  festzuhalten. Durch  die  vergangenen  Jahre,    habe  ich natürlich  vieles  vergessen,   worüber  ich noch gerne  berichtet  hätte.  So manches  Erlebnis  wurde   wieder  geweckt,   als ob es  erst  gestern  gewesen  wäre,  und hat  mir  schlaflose   Nächte bereitet. Wenn  auch,   als  Einzelerlebnis  geschrieben,  so  sollte   es  doch auch  an  das unermessliche  Leid  vieler    Menschen,   und  an  die damalige   Zeit  erinnern.   Frauen  mussten  und  haben,    Unwahrscheinliches  leisten  müssen,   und  geleistet. Kinder  ( Jugendliche ),  15  und  16 Jahre  alt  wie  wir  waren,   wurden  an  die   Front   geschickt.

                 J u g e nd z e i t  w a r  e i n  F r e m d w or t !

Mit  diesem,  meinem  Bericht,  soll vor  allen  Dingen  daran  erinnert werden.   Dies  alles  habe  ich spontan    nieder   geschrieben,   wobei ich,  es  kein  zweites   Mal   tun würde.   Meine  Hoffnung  ist,   das   diese   persönlichen    Erlebnisse, späteres  Interesse  finden  werden.   Erschreckend ist für  mich  die   Tatsache,   wie   manipulierbar  der  Mensch  doch   ist,   obwohl  es  in  unserer Geschichte   das  Dritte   Reich  gab!  Eigentlich  müsste  unsere  Welt,    nach  all  den    gemachten  Erfahrungen,   in   Ordnung  sein.  Das dies  aber  nicht  der  Fall   ist,   gibt  mir   schwer  zu  denken. 

Die  Zahl  der  Opfer  des  Zweiten Weltkriegs  wird  auf  über  50 Millionen  geschätzt,   mehr  als  die Hälfte  davon   Zivilisten.    In  den deutschen  Zeitungen  der späten Kriegsjahre  beanspruchten  die  Listen mit der   Überschrift   "Gefallen für Führer, Volk  und  Vaterland"    immer  mehr  Raum.    Keine  öffentlichen Listen gab  es  für  die  Opfer   von Besatzungsterror,  Kriegsgefangenschaft,    Zwangsarbeit und  rassischer  Verfolgung,   ebenso   wenig  für die  Opfer  des   Partisanenkriegs oder des alliierten   Luftkriegs.   Hunderttausende deutscher  Soldaten   blieben   viele  Jahre  in  sowjetischer Kriegsgefangenschaft.   Millionen  von  Menschen waren  vermißt.   Ihr Schicksal   konnte nie  oder   erst  nach Jahren   oder Jahrzehnten  geklärt  werden.   Dieser  totale  Krieg   unterschied   nicht  mehr zwischen   Soldaten  und  Zivilisten,  zwischen  Männern   und Frauen,  zwischen   Erwachsenen und  Kindern  und verursachte   inbisher   ungekanntem  Ausmaß  Angst,  Unfreiheit,   Schmerz,  Krankheit,  Trennung,  Hunger,   Verwundung,  Entfremdung,  Verlassenheit,  Tod.    Für  die meisten  Deutschen  vermischten sich  die  Kriegserfahrungen  mit  dem  Erlebnis   einer   tiefgreifenden Niederlage.   Sie war  nicht  allein eine  militärische,   sondern   auch  eine   politische,   wirtschaftliche,  vor allem   aber eine  moralische   Katastrophe.

Die Anzahl der toten

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