Keine Alternative zum Frieden

 

Ich wurde am 19. Juni 1928 in der Paulstrasse in Westerland geboren. Es war eigentlich eine sehr ruhige Strasse. Meine erste Bekanntschaft mit den Nationalsozialisten machte ich als Kind von ca. 5 Jahren, als ich abrupt von meiner Mutter von der Strasse geholt wurde. Denn es kam ein LKW mit laut grölenden und singenden Männer die Strasse Richtung Neue Strasse hochgefahren. Diese waren SA Leute (Schlägertruppe), wie ich durch Erwachsenengespräche erfahren konnte. Diese Leute sollen auch in der Neuen Strasse von jüdischen Bewohnern Betten usw. rausgeschmissen haben. Habe da aber nur eine schwache Erinnerung davon. Aber dieses Rollkommando habe ich wie heute noch in der Erinnerung. War wohl der Schreck oder die Angst als Kind. Weitere Entwicklungen bekam ich als Kind auch nicht mit.

Vater und Mutter hatten meistens Arbeit, und so ging es uns auch wirtschaftlich entsprechend gut. Politisch war keiner von den beiden besonders interessiert. Später zogen wir in die Bismarkstrasse, von da aus in ein mit Eigenleistung gebautes Doppelthaus in die Deckerstrasse. Als ich ca. neun Jahre alt war, kam ich in die DJ (Deutsches Jungfolk). Zuerst war dieses mehr freiwillig und brachte sogar Spass. Wir hatten uns im Süden von Westerland in einem ehemaligen Bunker aus dem ersten Weltkrieg eine Art Heim eingerichtet.

Das ganze war mehr so richtig nach Pfadfinderart gehandhabt. Etwas später, ca. 1938 - 39 kam dann immer mehr Zwang hinein. Ich erschien immer in Zivil zum Dienst. Denn ich bekam und bekam von Zuhause einfach kein Braunhemd mit Schlips und Knoten gekauft (Geld war auch knapp). Aber man konnte zum Aussenseiter werden, wenn man da nicht mitmachte. Das wollte ich zu der Zeit auch nicht. Denn zu alternativen Denken wurden wir nicht erzogen. So bekam ich dann eines Tages von meiner Grossmutter das gewünschte Hemd (Fünf Reichsmark zu der Zeit). Mittlerweile hatte uns die DJ so im Griff mit Mittwochs und Sonntagsdienst. Laufend Sport usw. Und immer im militärischen Stil. Auch die Schleiferei gefiel mir in dem Stil nicht.

Aber andererseits waren wir in diese Entwicklung reingewachsen und fanden uns damit ab. Ich fehlte schon mal beim Sonntagsdienst. Auch schon mal dreimal hintereinander. Das hiess zu der Zeit eigentlich: Wochenend - Jugendarrest Flensburg. Zuerst musste ich, wenn ich dreimal hintereinander gefehlt hatte, zur Kripo. Da wurde ich dann zusammengestaucht. Der Kripo-

Beamte (Konrad) hatte es aber irgendwie immer unter den Tisch fallen lassen und deshalb brauchte ich nie zum Jugendarrest. Da gab es wohl nichts zu lachen. Ich machte dann auch einigermassen weiter mit. Die Eltern hatten zu der Zeit auch überhaupt keinen Einfluss auf diese Dinge. So kam dann, wie wohl für viele voraussehbar, der 1.September 1939 mit dem Kriegsanfang. Wir waren, kann ich mich erinnern, zu der Zeit gerade am Strand. Ich dachte, hoffentlich kommen wir noch heil nach Hause bevor geschossen wird. Als Kind hatte man eben noch keine Vorstellung vom Krieg.

Am Strand hat sich die Nachricht vom Kriegsanfang wie ein Lauffeuer verbreitet. Es war auch schon viel Militär zu dem Zeitpunkt auf der Insel. Trotzdem lief der Kurbetrieb normal ungestört mit Kurkonzert usw. weiter. Ab und zu hatten wir Besuch von meinem Onkel (Bruder meines Vaters). Der war zu der Zeit Offizier im Heer. Von Hitler hielt er aber nicht viel. Sein Eid als Soldat war ihm heilig. Das wusste ich zu der Zeit auch noch nicht. Hätte ich wahrscheinlich vom Alter her auch nicht begriffen. Wenn es darüber Gespräche der Erwachsenen gab, passten sie sowieso auf, dass wir Kinder nichts mitbekamen.

Es gab auch einiges Kurioses zu erzählen. Zum Beispiel, gab es im Soldatenheim einen Feiertag, wo SA, HJ und alles, was es sonst noch gab, aufmarschiert war. Dann hiess es:

"Präsentiert die Flaggen!"

Da war H.W. wohl zu übereifrig und stiess den Flaggenmast mit der Spitze so fest in den Holzbalken, unter dem er mit seiner Gruppe stand, dass er diesen nur mit Mühe wieder herausbekam. Das sah so lustig aus, dass ich grinsen musste. Dabei wurde ich erwischt und musste nach der Feier strafexerzieren (bin geschliffen worden).

An etwas ähnliches kann ich mich noch erinnern. Inzwischen war ich von der HJ (Hitlerjugend) über nommen worden. Es war ein grösserer Aufmarsch an dem Tag von HJ und DJ. Wir marschierten vom Bahnhof Westerland los und wurden von einem grösseren Musikzug angeführt. Ganz vorne an der Spitze lief der Tambourmajor H.Br. (Sehr eifrig in seinem Amt). Wir sollten laut Marschbefehl hinter dem Hotel "Deutscher Kaiser" (heute Kaisers Kaffee Geschäft) rechts in Richtung Norden (Rathaus) abbiegen. Was wir einschliesslich Musikzug auch taten ! Nur der Tambourmajor hatte wohl nicht richtig zuge- hört. Dieser marschierte statt nach rechts, alleine gerade- aus die Friedrichstrasse hoch. Irgendwann hat er es dann auch gemerkt Lustig war auch dieses, nur gelacht haben wir erst später darüber !

Unser Vater wurde gleich am Anfang des Krieges eingezogen. Es hat sehr viel Tränen beim Abschied gegeben. Wir sind drei Geschwister. Wenn mein Vater auf Urlaub war, sagte er immer zu mir: "Wenn du dich freiwillig zum Militär meldest, fliegst du Zuhause raus!"

Solche Bemerkungen haben damals schon gereicht, um ins KZ (Konzentrationslager) zu kommen. Die Soldaten, die fern der Heimat waren, wussten auch nicht, was so in der Heimat politisch vor sich ging. Ich hatte schon als 15jähriger meinen Wehrpass als Kriegsfreiwilliger. Wir wurden so darauf gedrillt, uns freiwillig zu melden, dass uns gar nichts anderes übrig blieb.

Was es hiess Frontsoldat zu sein, mit all seinen grausamen Erlebnissen, sollte ich später auch noch erfahren.

Zwei, eigentlich drei Begegnungen, mit Hermann Göring hatte ich auch. Ich mag etwa zwölf Jahre alt gewesen sein. Wir waren mit mehreren Kindern in der Nähe vom Hotel "Miramar". Da hiess es: Hermann Göring kommt zum Strand und wird hier am Strandübergang Friedrichstrasse aussteigen. Wir waren natürlich neugierig und wollten ihn sehen. Er kam dann auch mit einem Wagen vorgefahren. Ich stand ziemlich vorne und wurde soweit von der Menge zum Wagen geschoben, dass Hermann Göring fast die Wagentür nicht mehr aufbekam.

Alles schrie: "Sieg heil !" Ich selber war nie für lauten Jubel. Das hatte zu der Zeit nichts mehr damit zu tun, dass ich vielleicht ein Gegner, oder Ähnliches, dieser Leute war. Ich war, wie alle anderen in meinem Alter auch, in diese Entwicklung reingewachsen und fand diese Welt, wie sie war, absolut in Ordnung.

Meine zweite Begegnung mit Hermann Göring war in Berechtesgaden. Dort war ich für ca. neun Monate am Königssee mit der KLV (Kinderlandverschickung). Dieses war mit Schuldienst verbunden, und natürlich gab es auch jede Menge HJ-Dienst. Eines Tages, wir hatten Freigang, ich war am Bahnhof von Berechtesgaden und stand an so einer Art Zeitungsstand in der grossen Bahnhofshalle. Mit einem Mal sah ich, ich dachte ich gucke nicht richtig, Hermann Göring eilig und grossen Schrittes die Bahnhofshalle durchqueren. Es war noch ein Bayer in der Halle. Dieser rief laut: "Sieg Heil", als er Hermann Göring sah. Wenn einer in so einer grossen Halle "Sieg Heil" ruft, klingt das doch recht komisch. Göring war auf dem Weg zum Obersalzberg. Den Obersalzberg bekamen wir aber während unseres KLV Aufenthaltes nie näher zu sehen.

Wieder zuhause ging es mit der Schule, HJ-Dienst usw. wie gehabt weiter. Meine Mutter hatte einmal ein besonderes aufregendes und gefährliches Erlebnis in der oberen Friedrichstrasse. Ein groes Flugzeug, eine HE 111 oder ähnliches, hatte versucht am Strand notzulanden. Dabei flog es dicht über die Dächer der Friedrichstrasse hinweg und streifte dabei mit einem Flügel das Hotel "Miramar". Das Flugzeug ist dann ins Wasser abgestürzt. Die Mannschaft ist dabei ums Leben gekommen.

Was noch erwähnenswert ist: Die in den ersten Kriegsjahren angeschwemmten englischen Seeleute und Piloten wurden mit Ehrensalven beigesetzt. Dieses war für uns Kinder natürlich interessant, da wir unter anderem die leeren Patronenhülsen sammeln konnten. Der Ehrensalut wurde von Luftwaffensoldaten gefeuert. Später, als man anfing die Städte zu bombardieren, hörte diese Art von Beisetzungen auch auf.

Noch ein erwähnenswertes Erlebnis hatte ich in der Nähe der Hauptwache zum Fliegerhorst. Diese war unmittelbar am heutigen, nördlichen Friedhofseingang. Wir hatten da in der Nähe auch unser Elternhaus. Mein Vater hatte gerade seinen Fronturlaub. Er lag zu der Zeit mit seiner Einheit vor Leningrad. Wir spielten in der Nähe der Flugplatzwache. Da kam ein HJ-Führer mit ein paar Mädchen des Weges. Weil ich ihn nicht grüsste, rief er mich zu sich. Er hat mich dann so richtig runtergeputzt. So etwas musste man erlebt haben !

Die Vorgehensweise lässt sich nicht überliefern. Ich ging nach Hause und erzählte diesen Vorfall meinem Vater. Zufällig kam auch noch dieser HJ-Führer mit den Mädchen an unserem Haus vorbei. Mein Vater bekam so einen Wutanfall und stürzte auf diesen, nicht Gegrüssten zu, dass ich dachte, den prügelt er wohl durch. Aber zum Glück, für meinen Vater, tat er dies nicht, sondern schimpfte ihn, im wahrsten Sinne des Wortes, so richtig aus. Er wäre ein "Rotzbengel" usw.

Hätte dieser HJ-Führer meinen Vater angezeigt, hätte es für ihn bös aussehen können, obwohl er Frontsoldat war. Aber gerade weil er an der Front so viel gesehen hatte und nun dieses Zuhause erleben musste, war er wohl so erbost. Mein Vater hatte allerdings ein gestörtes Verhältnis zu Uniformträgern und zum Militär überhaupt. Deshalb wurde er wohl auch nur Gefreiter. Sein Bruder dagegen war Oberstleutnant, wurde später Oberst. Die beiden trafen sich durch grossen Zufall vor Leningrad. Sie hatten sich schon lange Zeit nicht mehr gesehen. Das war ein Treffen, der "Vollblutsoldat" und der "Musssoldat"!

Der Vater der beiden Brüder (mein Grossvater) wohnte in einem kleinen Dorf bei Flensburg. Er war ebenfalls ein grosser Hitlergegner. Dies ist mir zu der Zeit alles nicht besonders aufgefallen. Denn man musste doch sehr vorsichtig sein. Mein Grossvater liess aber doch hier und da mal eine entsprechende Bemerkung los. Das begriff ich auch erst später.

Denn für mich, wie schon erwähnt, war die Welt, wie ich sie erlebte, in Ordnung.

Ein ins sehr nahestehendes älteres Ehepaar auf dem Festland, (er war Frührentner) bekam vom Winterhilfswerk einige Kleidungsstücke geliefert. Da war eine Jacke dabei, mit einem ganz deutlichen Einschussloch drin. Natürlich weigerte er sich diese Jacke anzunehmen, (wohl auch mit unpassender Bemerkung). Darauf hatte er dann auch Gestapobesuch! Aber er hatte Glück. Es passierte nichts weiter. Inzwischen wurden die Bombenangriffe auf unsere Grossstädte intensiver. Wir auf Sylt wurden aber verschont. Ausser mal ein Notabwurf. Einmal hatten wir, wie ich mich erinnere, zwei Luftminen als Blindgänger in Westerland. Eine war in der Feldstrasse im Garten von Walter Lange runtergegangen und guckte über einen Meter aus der Erde. Ich bin morgens auf dem Weg zur Arbeit daran vorbeigegangen. Warum da nicht abgesperrt war, weiss ich auch nicht mehr. Die andere Luftmine war in dem heutigen Westhedig runtergegangen. Zu der Zeit war ein Bauernhaus (Friesenhaus) auf dem Grundstück. Dieser Blindgänger war tiefer in den Boden gedrungen. Zur Bergung dieser Luftminen hatte man KZ Häftlinge herangezogen. Es hat wohl Schwierigkeiten bei der Bergung gegeben, da diese immer tiefer absackte. Die Bergung glückte aber später ohne Verletzte.

An die Postboten der damaligen Zeit möchte ich erinnern. Diese hatten nämlich nicht immer leichte Aufgaben zu erfüllen. Wenn Briefe (Feldpostbriefe) vom Mann oder Sohn zu überbringen waren, war das gewiss eine freudige Angelegenheit. Die Postboten waren meistens weiblich und zu diesem Dienst vom Staat verpflichtet worden. Wenn aber die Gefallenenmeldungen gebracht werden musste, dann war das gewiss ein besonders schwerer Gang. Ich weiss, da eine Nachbarin von uns, die als Postbotin verpflichtet war, meiner Mutter mal erzählte, dass sie es einfach nicht über das Herz brachte, so eine Gefallenenmeldung bei Frau X abzugeben. Am nächsten Tag musste sie dann doch den schweren Gang machen.

Viele Frauen mussten im Krieg auch reine Männerarbeit machen. Die Männer waren ja meistens zum Militär eingezogen worden.

_______________________________

Auf der Insel Sylt waren im Zweiten Weltkrieg enorm viele Soldaten und auch Fremdarbeiter für den Bunkerbau und andere Befestigungsarbeiten verpflichtet worden. Unmittelbar neben dem Bahnhof (südlich) auf einer grossen Fläche waren Eisenbieger für den Bunkerbau stationiert. Hier arbeiteten hauptsächlich Gefangene der italienischen Badoglio-Armee. Diese Strafgefangenen wurden im wahrsten Sinne des Wortes wie Vieh behandelt! Ich habe selbst gesehen, wie man diese Leute mit geflochtenen Draht verprügelte. Wir wurden aber meistens von den Bewachern weggejagt.

Im Osten von Westerland, Ende Stadumstrasse, war das sogenannte Arbeitslager. Dort waren auch Italiener, die sich aber so halbwegs freiwillig in ihrem Land für Arbeiten in Deutschland verpflichtet hatten. Denen ging es aber wesentlich besser als den Angehörigen der Badoglio-Armee. Diese hatten auch mal die Möglichkeit, im Urlaub nach Hause zu fahren. Wenn sie aus dem Urlaub wieder zurückkamen, brachten sie so manche Dinge mit, die es in Deutschland schon lange nicht mehr gab. Das war wohl auch für einige deutsche Frauen sehr interessant, soweit ich mich erinnern kann. Ausserdem waren, soweit ich mich erinnern kann, Dänen, Niederländer, Belgier und Marokkaner in den Arbeitslagern auf der Insel untergebracht.

Den russischen Kriegsgefangenen auf der Insel ging es wohl am schlechtesten. Das Barackenlager dieser Menschen stand etwa da, wo heute die Telekom mit dem Funkturm ihren Standort hat. Es mag auch 100m südlicher gewesen sein. Was die Russen so alles machen mussten, weiss ich nicht mehr so ganz genau. Aber an einige Gefangene kann ich mich noch gut erinnern, denn sie arbeiteten bei unserem Kohlenhändler A. Nielsen, der später nach dem Krieg Bürgermeister der Stadt Westerland wurde. Ich hatte gesehen, wie zwei Russen bei Schnee und eisiger Kälte nur Lappen anstatt Schuhe an den Füßen hatten. Die brachten mal Kohlen zu uns. Meine Mutter bat sie, diese im Schuppen auszuschütten.

Da lag ein Haufen Brot für die Hühner, dass wir immer bei den Soldaten holten. Es war steinhart und total verschimmelt. Aber diese beiden fielen wie Tiere darüber her, so ausgehungert waren sie. Den Russen etwas zu Essen zu geben war ja streng verboten. Ich weiss aber, dass meine Mutter und eine Nachbarin immer frisches Brot für die Russen unter dem Ascheimer versteckten. Später, nach Kriegsende und der Befreiung der Kriegsgefangenen, trafen die Russen mal meine Mutter am Kino. Sie sind gleich auf sie zugegangen und sagten: "Gute Frau". Wie schon erwähnt, wenn jemand erwischt wurde, der den Russen etwas gab, dem war mindestens Gefängnis sicher.

Andreas Nielsen, der Kohlenhändler, hat damals sehr viel riskiert, als er den Russen so viel geholfen hatte.

Wir Jungs kannten damals einen Niederländer, einen Belgier und einen Marokkaner etwas näher. Es waren Zivilarbeiter, die sich auch ein bisschen freier bewegen konnten. Leider weiss ich die Namen nicht mehr. Den Marokkaner nannten wir "Olala". Denn immer wenn er irgendwie erstaunt oder erschrocken war sagte er, "Olala". Von nun an hatte er so seinen Namen weg.

Diese drei, vielleicht auch mehr, wurden eines Tages von der Gestapo abgeholt. Einige von uns, ich auch, mußten daraufhin zur Gestapo in der Bahnhofsstrasse. Leider weiss ich heute nicht mehr warum. Man sprach von Sabotage, glaubte ich aber nicht. Die drei wurden dann im Rathaus für kurze Zeit in eine Zelle gesperrt. Die Zellen wurden von einer hohen Mauer zum Hof hin, (heute Hof der Feuerwache) abgegrenzt.

Über diese hohe, halbrunde Mauer haben wir den Gefangenen, weiss ich noch, mit Wäschestützen Zigaretten und Brot gereicht. Dazu mussten wir übereinander stehen. Später wurden die Gefangenen an einen anderen Ort verlegt. Wir haben niemals wieder von ihnen gehört! Wehe, man hätte uns dabei erwischt. Von wegen, "nicht strafmündig". Das gab es in diesem Sinne nicht. Erziehungsanstalten waren mehr als harte Schulen. Es ging aber alles gut für uns.

Allerdings war zu der Zeit alles gefährlich, wenn man etwas "Verbotenes" tat. Denn man konnte nicht mal seinen Nachbarn, Arbeitskollegen, Freunden, Verwandten, wem auch immer, trauen. Dieses Problem hatten aber mehr die Erwachsenen.

Die Heranwachsenden waren ja in dieses System hineingewachsen und kannten es eben nicht anders. Das wir diesen drei Menschen, soweit es uns möglich war, geholfen hatten, war wohl unserem Instinkt zuzuschreiben. Denn wir waren auch noch sehr jung und hatten mit denen nur ein bisschen angefreundet. Dieser Vorgang war auch einmalig. Wir haben ähnliches auch nie mehr riskiert. Es gingen auch enorm viel uniformierte Streifen durch die Strassen.

Es waren auch H-J Streifen dabei. In den Dünen habe ich oft Streifen vom Zoll gesehen. Es war praktisch alles unter voller Kontrolle. Wir hatten z.B. den kasernierten Luftschutzdienst. Die meisten waren unter 18 Jahre alt. Da war z.B. ein Kaufmann aus der Strandstrae. Ich glaube, der war Zugführer oder ähnliches. Wenn man den Mann irgend etwas über die Luftschutzeinheit (SHD) fragte, war seine Antwort stets: "Geheim ! Geheim !"

Nun gab es beim Luftschutz wohl kaum Geheimsachen. Ansonsten ging es aber streng militärisch beim SHD zu.

___________________________________

Ich kam 1943 in die Lehre der Sylter Inselbahn. Die Inselbahn war damals ein richtiger Grossbetrieb. Denn dieses versorgte die Dörfer von List bis Hörnum mit Gütern aller Art. Personenverkehr war zu der Zeit auch nur mit der Inselbahn möglich. Der Transport der Materialien für die im Bau befindlichen Befestigungsanlagen ging auch nur mit der Bahn. Bei der Inselbahn waren damals noch sehr unter-schiedliche, politische Auffassungen unter den Beschäftigten vertreten.Diese machte sich allerdings nur zwischen den Zeilen bemerkbar. Da waren Sozialdemokraten, Kommunisten oder Nationalsozialisten. Bei Unterhaltungen merkte man auch schon mal mitunter die leisen Reibereien untereinander.

Im August 1944, nach dem Attentat auf Hitler, ging eine Verhaftungswelle durch Deutschland. Ich arbeitete gerade bei unserem Altgesellen Carl Jessen. Im Zivilberuf Hotelier und Stadtvertreter war er im Kriege zur Sylter Inselbahn als Schlosser dienst-verpflichtet worden. Carl Jessen war für seine Arbeitskollegen und auch Meister nicht immer ein leichter Brocken. Er nahm auch kein Blatt vor den Mund, wenn es um Politik ging. Er war ein alter Sozialdemokrat. Als Handwerker im Betrieb waar er überdurchschnittlich tüchtig und wurde auch so respektiert. Für einen Lehrling war es schon fast wie eine Auszeichnung, bei ihm arbeiten zu dürfen.

Eines Tages, im August 1944, kamen zwei Hilfspolizisten an unser Werkstatttor und traten auf Carl Jessen zu. Es waren zwei hiesige Leute, die als Hilfspolizisten eingezogen worden waren. Der eine, Kaufmann Kr., sagte zu Carl Jessen auf Plattdeutsch: "Ich soll dich abholen". Carl Jessen wie es so seine Art war, sagte nur kurz: "Jo". Dann sagte der Hilfspolizist Kr. auf platt: "Ich darf das ja nicht, aber willst du noch mal nach Hause und eine Jacke überziehen?" Carl Jessen sagte kurz: "Nein". Und ging dann in voller Arbeitskleidung mit den beiden über die Schienen in Richtung Rathaus.

Ich musste dazu noch sagen, dass ich nur einen Polizisten gesehen hatte. Der zweite konnte hinter einem Mauervorsprung gestanden haben. Ich war ganz schön aufgeregt. Von einem jüngeren Gesellen wurde ich angeschnauzt, er sagte: "Verschwinde hier, das ist nichts für dich!" Ich begriff sowieso nichts mehr. Blieb aber in der Nähe. Der junge Geselle, Ernst Schmidt, war zu der Zeit Kommunist. Er machte auch keinen Hehl aus seiner politischen Einstellung. Aber er hatte wohl Glück, dass er nie angeschwärzt wurde.

Dieser Geselle erzählte mir auch später (52 Jahre später), dass die beiden Polizisten mit Carl Jessen erst zum Zigarettenladen ("Max Zigarre") gegangen sind um Zigarren für Carl Jessen zu kaufen. Das muss für die beiden Polizisten ein sehr grosses Risiko gewesen sein. Ich hatte immer geglaubt, dass Ernst Schmidt schon lange tot sei. Durch Zufall hörte ich, dass er noch lebt. Ich habe ihn auch gleich aufgesucht, um meine Erinnerungen aufzufrischen. Selber schreiben mag er nicht mehr. Er wird bald 90 Jahre alt. Er sagte mir auch, dass da noch ein zweiter Polizist mit dabei war. Ich hatte hauptsächlich den einen, der auch die Verhaftung durchführte, in meiner Erinnerung.

Es war wohl für beide Hilfspolizisten eine schwere und peinliche Aufgabe, denn man kannte sich ja schon seit Jahrzehnten und sprach Plattdeutsch miteinander. Die Schwere seiner Aufgabe war Hilfspolizisten Kr. auch anzumerken.

Es wurden zu der Zeit, im August 1944 mehrere bekannte Westerländer verhaftet.

__________________________________________________

Die damaligen Feinde rückten immer näher auf das Reich zu. Dann hiess es: "Die HJ muss zum Panzergräben bauen an die dänische Grenze!" So wurden wir dann verpflichtet, in der Nähe von Süderlügum Panzergräben zu bauen. Wir waren z.B. in einer ausgeräumten Gaststätte untergebracht. Am Tag war hartes Arbeiten mit dem Spaten angesagt. Wenn Feierabend war, ging es singend in Reih und Glied nach Hause (Unterkunft). Es wurde auf Stroh geschlafen.

Ein Mädchenlager (BDM) war auch da. Ich glaube, die machten meistens Küchendienst.

Ich war vorher auch schon mal in so einem Wehrertüchtigungslager in der Nähe von St.Michaelisdon. Die meisten von uns, die da ankamen, waren zu der Zeit schon Kriegsfreiwillige, man hatte ja auch gar keine andere Wahl! Denn als wir ankamen, hie es beim Antreten z.B. "Kriegsfreiwillige, rechts raus!" Der Haufen, der sich nicht freiwillig meldete, war deshalb immer sehr klein. Diese wurden mittags früher zum Exerzieren vom Tisch geholt.

Auch nachts holte man sie oft aus den Betten. Da war es bald für die meisten vorbei mit "Verweigern". Auch beim Antreten mussten sie oft nach vorne treten und wurden als Muttersöhnchen usw. lächerlich gemacht. Es wurden mal zwei beim Rauchen erwischt. Denen wurde eine Glatze geschnitten, und jeder musste auf einem Stuhl sitzen. Ich glaube es waren über 24 Stunden. Wir, die dann gerade Wache (Streife) schoben, hatten strenge Order, darauf zu achten, dass die beiden nicht einschliefen. Anschliessend wurden beide abgeholt. Ob zum Jugendarrest oder ähnliches, weiss ich nicht mehr.

Diese Wehrertüchtigungslager waren meist einmal im Jahr. Mindestens einmal musste man an diesen teilgenommen haben. Durch dieses Lager hatte ich auch Schwierigkeiten mit meinem Pastor Wester. Denn ich war zu der Zeit gerade im Konfirmandenunterricht. Dieser dauerte damals zwei Jahre. Der Pastor sagte zu mir: "Lager oder Konfirmandenunterricht, sonst wirst du nicht konfirmiert!" Es fehlten mir noch drei Monate vom Konfirmandenunterricht. Da ich ins Lager musste, war es mit der Konfirmation vorbei. Der Pastor hatte viel Mut gehabt, muss ich sagen. So bekam ich dann die Jugendweihe. Auflehnung gegen den Pastor wäre zwecklos gewesen. Dafür war dieser viel zu konsequent. Ich glaube, er hatte auch so genug Schwierigkeiten im Dritten Reich. Später wurde Pastor Wester ein angesehener Bischof.

Anfang 1944 bekam ich mit mehreren Syltern nach der Wehrtauglichkeitsprüfung in Schleswig meinen Wehrpa. Anfang Dezember 1944 kam dann eine Einberufung in das RAL (Reichsausbildungslager). Wir waren drei Westerländer: Harald Koopmann, Harald Voigt und ich. Wir sollten uns am 8. 12. 1944 um 9 Uhr in Hamburg-Altona melden. Dort angekommen, war aber keiner da, der uns weiterhelfen konnte. Nach stundenlangen Suchen, fanden wir andere, zukünftige Kameraden, die Bescheid wussten.

Am 9. 12. 1944 waren wir dann auf der Fahrt nach Dresden und von dort aus weiter nach Bernsdorf/Oberlausitz. Gegen Mitternacht kamen wir dort an. Wir wurden dort auch von keinem abgeholt. Des Wartens überdrüssig, machten wir uns dann auf den Weg durch die leeren Strassen. Wir sprachen einen Offizier an, den wir trafen, und fragten nach einem RAL. Von einem RAL war ihm in dieser Gegend nichts bekannt. Aber draussen im Wald, wäre ein HJ-Lager und da würden wir wohl erwartet werden. Nachts gegen 02.30 Uhr kamen wir dann in diesem Lager an.

Die genannten Daten habe ich freundlicherweise aus dem Tagebuch von Harald Koopmann entnommen. Dieses hat er von Anfang unserer Einberufung an mit vielen Details geführt. Er hat die Aufzeichnungen sogar nach mehreren Jahren in tschechischer und russischer Gefangenschaft mit nach Hause gebracht.

Als wir im Lager ankamen, wurde uns auch dort kein Empfang bereitet. Wir mussten erst durch Klopfen an die Fenster auf uns aufmerksam machen. Dann ging man endlich bei und hat uns in verschiedene Stuben untergebracht. Aber die Stuben hatten weder Decken noch Betten, und es war hundekalt. In meiner Stube war glücklicherweise ein Ofen drin. Es kam dann einer in Uniform und Unteroffiziers-Litzen auf der Schulter mit einer Handvoll Holz zu uns rein. Wir machten wie gelernt, Meldung. Der nahm unsere Meldung aber gar nicht soldatisch entgegen, sondern machte Feuer im Ofen. Da erfuhren wir dann auch, dass wir in einem OT-Lager gelandet waren. OT heisst Organisation Todt.

Das war so eine Art technisches Hilfswerk. Die OT baute auch Befestigungen usw. Hier sollte eine Werkstatt für Panzer errichtet werden. Morgens beim Antreten und Begrüssen sagte man uns, dass man sich freue, dass wir endlich da wären, denn man hatte schon länger auf die HJ gewartet, um mit Mauerkelle das Werk aufzubauen. Unsere Gesichter wurden immer länger, denn hier lag ein ganz klarer Irrtum vor. Nach einigen Telefonaten klärte sich dann auch alles auf.

Wir wurden dann nach einigen Hin und Her in einen Zug Richtung Breslau geschickt. Gegen Mitternacht kamen wir 15- und 16jährigen in Breslau an. Von Breslau sollte es dann um 04.00 Uhr morgens weiter nach Mähren-Weisskirchen gehen. In Breslau bekamen wir strenge Order, nicht in die verlassenen Häuser zu gehen, erinnere ich mich. Breslau war wohl schon ziemlich von der Bevölkerung verlassen. Alles war dunkel und unheimlich. Ich war aber trotzdem mit einigen Kameraden in einer verlassenen Wohnung. Denn so jung wie wir waren, war man natürlich auch neugierig. Die Wohnung war so akkurat verlassen worden, als wären die Bewohner nur zum Einkaufen gegangen. Die Betten waren frisch bezogen und gemacht usw. Den grossen Küchenwecker auf dem Küchenschrank habe ich auch noch in Erinnerung.

Am nächsten Tag, es mag gegen Mittag gewesen sein, kamen wir in Mährisch-Weisskirchen an. Da holte uns wieder keiner ab. Wir hatten so langsam alle die Schnauze voll. (Es wäre gewiss ein guter Einfall gewesen, wenn wir da alle nach Hause gefahren wären). Nach einer gewissen Wartezeit kam ein Wagen mit einem Zivilisten vorbei. Er teilte uns mit, dass das Lager noch nicht fertig eingerichtet sei und wir so lange in Ollmütz untergebracht würden. Dort angekommen, wurden wir in einer Schule untergebracht. Bis wir etwas zu essen bekamen, dauerte es noch eine Weile. Betten waren auch da nicht. Wir mussten auf dem Boden campieren. (Das war in der Adventszeit…!).

Weil unser Lager noch nicht fertig organisiert usw. war, kam die tolle Nachricht, dass wir erstmals Weihnachtsurlaub bekamen und nach Hause fahren konnten. Weihnachten 1944 habe ich nicht mehr in voller Erinnerung. Am 28. 12. 1944 ging die Reise schon wieder nach Mährisch-Weisskirchen los.

Nach unserer Meldung auf der Dienststelle wurden wir im Haus "Puschner" eingewiesen. Auf unserer Stube waren Harald Koopmann (Sylt), W.Barg, H.H., Koberg, Jung, ein Pinneberger und ich. Harald Vogt (Sylt), der vorher mit uns war, konnte zu Hause bleiben und einer Einberufung zum Arbeitsdienst (RAD) auf Sylt folgen. Der hatte somit Riesenglück, denn uns erwartete noch so einiges.

Unser Zugführer war Uffz Stössel. Unser Stubenältester war Harald Koopmann. Stubenscheuern war unser erster Dienst. Abends wurden die letzten mitgebrachten Kuchen von zu Hause aufgegessen. Das war dann auch das Jahresende 1944 für uns.

Weisskirchen ist ein hübscher Ort mit mehreren Hochschulen. Bad Teplitz mit seinen hübschen Hotels gehörte auch dazu. Es kehrte endlich eine gewisse Regelmässigkeit in unser Dasein ein. Es begann ein strammer militärischer Ausbildungsdienst. Aber darin hatten wir ja auch schon einige Erfahrungen. Viel Geländeausbildung von der Panzerfaust bis zum MG 42 usw. Auch Spähtrupp und Nahkampf war dabei. Wir wurden perfekt gemacht.

Am 18. 01. 1945 wurden wir nach Luhacowitz ins Lager 7 verlegt. Da war die Ausbildung noch gründlicher. Geländeübungen im Schnee mit unseren Winterklamotten war kein Vergnügen. Die Front kam schon bedenklich näher. Es hörte sich von uns aus wie ein nahendes Gewitter an. An den Strassen wurden von der OT Panzersperren und Gräben zur Verteidigung gebaut. Es wurden vor allen Dingen Nachtwachen von uns gestellt. Notfalls wollte man uns mit Waffen ausrüsten. Wir waren ja immer noch bei der HJ und keine Soldaten. (15 und 16 Jahre alt).

Die Begeisterung war trotzdem noch sehr gross. Jeder von uns wäre blindlings in den Tod gerannt. Die Propagandaschule, Ausbildungslager usw. hatten das ihre getan. (Die Erkenntnisse kamen erst später). Wir gehorchten nur Befehlen. (Auch Minderbegeisterte). Es blieb uns ja auch gar keine andere Wahl. Wir dachten eben, das sei alles richtig. Es herrschte sogar der Gedanke, wenn der Russe kommt, dann jagen wir ihn zurück bis zur Wolga.

Die jungen Tschechen verhielten sich uns gegenüber absolut distanziert. Wir hätten natürlich gerne mal mit den hübschen Mädchen geflirtet. Aber die waren uns gegenüber eiskalt. Nicht mal die zehn oder zwölf jährige Tochter unserer Hauswirtin liess sich ansprechen.

Am 08. 03. 1945 war das Lager und die Ausbildung zu Ende, und wir sollten wieder nach Hause. Das Gefühl lässt sich nicht überliefern, da musste man erlebt haben. Bannführer Moritzen nahm die Meldung des Ausbildungslagerabschlusses mit 1400 HJ-lern entgegen. Da sagte er dann: "Der Führer hat euch schon heute zu den Waffen gerufen!" Wir würden geschlossen der Waffen SS übergeben werden. Vorher sprach er noch davon, dass Deutschland in höchster Gefahr wäre.

____________________________________

Am 08. 03. 1945 war das Lager und die Ausbildung zu Ende, und wir sollten wieder nach Hause. Das Gefühl lässt sich nicht überliefern, da musste man erlebt haben. Bannführer Moritzen nahm die Meldung des Ausbildungslagerabschlusses mit 1400 HJ-lern entgegen. Da sagte er dann: "Der Führer hat euch schon heute zu den Waffen gerufen!" Wir würden geschlossen der Waffen SS übergeben werden. Vorher sprach er noch davon, dass Deutschland in höchster Gefahr wäre.

Wir wurden dann aufgeteilt. 200 Mann nach Wien, 50 Mann Panzernahkampfbrigade nach Berlin, der Rest auf den Truppenübungsplatz Beneschau bei Prag. Nach dieser Nachricht gab es natürlich lange Gesichter und wohl auch so manche heimliche Träne. Da war natürlich nichts mehr mit nach Hause fahren und dann noch zur SS. Denn soweit ich mich erinnern kann, hatten alle bereits einen Wehrpass für das Heer, die Marine oder die Luftwaffe.

Die SS hatte uns im wahrsten Sinne des Wortes ohne eigene Zustimmung einfach kassiert. Man lud uns dann in Waggons in Richtung Kienstlag. Beim Aussteigen in Kienstlag sahen wir lauter SS Uniformen. Schon auf dem Bahnhof wurden wir in Kompanien aufgeteilt. Harald Koopmann und ich blieben in einer Kompanie. Dann ging es in die Quartiere. Tschechen gab es kaum noch auf dem Truppenübungsplatz. Es war alles verlassen und grausam öde. Zu allem Überfluss hatten wir auch noch einen Schneesturm. Wir lagen in dem Dorf Networschitz in einem kleinen Tal. In der ehemaligen Lederfabrik war eine Grossküche eingerichtet.

Ein Kino gab es da auch noch. Das war ständig mit Soldaten überfüllt. Wir kamen mit unserem Zug in die ehemalige Schule. Da waren Doppelbetten in den Klassen aufgestellt. Harald Koopmann war in einem anderen Zug und nicht bei uns. Bei mir im Zug waren Leute aus allen Ecken Deutschlands. Am nächsten Morgen gab es schon Gewehre. Das Eintätowieren der Blutgruppe unterm Arm liess auch nicht lange auf sich warten. Ausgebildet wurde noch in HJ Uniformen. Es war ein unwahrscheinlich harter und erbarmungsloser Schliff dort. Es wurde das Letzte bei der Ausbildung aus uns herausgeholt.

Am 12. 03. 1945 marschierte das ganze Regiment zur Vereidigung auf. Der Kommandant hielt eine Ansprache und liess durchblicken, dass wir an der Front eingesetzt werden sollten. Unser Regiment nannte sich: "Konepacki, Kampfgruppe Böhmen SS Division Hitlerjugend". Man nahm uns auch die Wehrpässe ab. Da kam dann auf irgend eine Seite der Stempel der SS mit unserem Namen und unserer Einheit rein.

Unsere Ausbildung ging erst noch weiter. An die Panzerbekämpfung kann ich mich noch genau erinnern. Wir sollten mit einer Tellermine auf einen schnell fahrenden Panzer springen und eine Haftmine am Turm befestigen. Das war gar nicht so leicht wie sich das anhört, denn man wollte auch nicht in die Ketten kommen.

Am 30. 03. 1945 war eine Grossübung. Zwei Tage waren wir unterwegs. Wir haben feste mit Platzpatronen geschossen. Es spielte sich alles in einer einmalig schönen Gegend ab. Aber für solche Betrachtungen war nicht viel Zeit. Danach, wieder im Quartier, wurden wir Feldgrau eingekleidet. Abends wurde der Ort in Alarmbereitschaft gesetzt, keiner durfte den Ort verlassen. Jeden Moment konnte der Befehl zum Abmarsch kommen. Wir bekamen auch scharfe Munition ausgehändigt.

Am 05. 04. 1945, 16.00 Uhr kam der Befehl zum Abmarsch. Vorher gab es noch mal Essen. Dann nahmen wir Waffen aller Art und die Notverpflegung in Empfang. Unsere Ausbilder blieben unsere Vorgesetzten. Es waren zum Teil hochdekorierte Leute, wie Ritterkreuzträger, dabei. Mit diesen Leuten war es besonders leicht auszukommen. Die hatten ja auch einiges an Schlamassel mitgemacht. Schlimmer waren die Fahnenjunker. Diese waren zum Teil unsere Gruppenführer, fanatisch und ehrgeizig. Unser Spiess, der auch mit zur Front kam, hatte sich während unserer Ausbildung mit seinem fast krankhaften Drill mehr als unbeliebt gemacht.

Wir wurden auf LKW mit Holzgasantrieb verladen und fuhren so schwer beladen in Richtung Front. Die Fahrt ging durch Böhmen, Niederdonau über Znaim Richtung Krems. Am 07. 04. 1945 abends bei Krems a.d. Donau wurden wir in die Frontlinie eingereiht. Wir mussten uns eingraben. Der Blick über die Donau war herlich. Drüben sollte schon der Russe sein. Ich habe aber keinen gesehen. Es fiel auch kein Schuss. Neben uns lag eine Einheit von ehemaligen Flak Soldaten (nur Infanterie). Das waren grösstenteils ältere Leute. Als sie uns sahen, schüttelten sie den Kopf und sagten: "Jungs, geht bloss nach Hause". Darauf wurde uns strengstens verboten mit denen zu sprechen.

Am Tag wurden wir aus den Löchern zurückgezogen. Nachts ging es wieder rein. Das ging in völliger Ruhe einige Tage gut. Am 16. 04. 1945 mussten wir wieder in unsere Autos steigen und fuhren Richtung Osten. Bei einem Dorf südöstlich Lan a.d. Thaya mussten wir uns als zweite Linie wieder eingraben. Ich hatte mein Loch mit meinem Kameraden noch nicht halbfertig, da wurden wir von unserem Zugführer (freiwillig) eingeteilt, einen schwer verwundeten Soldaten einer anderen Einheit nach hinten zu tragen. Wir waren vier Mann zum Tragen. Die Trage bestand nur aus einer Wolldecke. Diesem Soldaten war das ganze Bauchfell weggerissen worden. Zum Teil konnte man die Eingeweide schon sehen. Aber er lebte noch. Er war aber mehr ohnmächtig als wach.

Wir konnten auf unserem Weg voll vom Russen eingesehen werden, aber es fiel kein Schuss in unserer Richtung. Auf dem Rückweg wurden wir dann aber sogar von Granatwerfern beschossen. Wir vier kamen aber wieder wohlbehalten bei unserer Kompanie an. Das war allerdings unsere erste, äusserst kräftige Feuertaufe. Wir wurden nochmals auf dem Gelände neu verteilt. Mit zwei Gruppen lagen wir links neben der Strasse, die in ein kleines Dorf führte, auf halber Höhe eines Abhangs (Weinberg) in Stellung.

Einige Kameraden und ich lagen in einem Hohlweg. Nach oben hin durch eine ca. 2 m hohe Erdkante geschützt. Rechts von uns, ca. 15-20 m weiter, wo die anderen Gruppen lagen, hatte der Weg keine schützende Kante nach oben mehr. Da spielte sich dann die nächste Nacht eine Tragödie ab. Denn oberhalb, ca. 30 m entfernt von uns, hatte sich ein russisches SMG (Schweres Maschinengewehr) eingenistet. Dieses SMG hat in der Nacht fast die ganze Gruppe samt Gruppenführer getötet. Was richtig los war in der Nacht, konnten wir wegen der tiefen Dunkelheit aber nicht feststellen. Wir, die in der Vertiefung des Weges standen, waren vor den MG-Salven, die von oben kamen, absolut sicher. Bis zum Morgengrauen war das russische MG ausgeschaltet. Wir mussten uns um die verwundeten Kameraden, die rechts von uns gelegen hatten kümmern (Meist Hackenschüsse). Es hatten, wie bereits erwähnt, nur wenige überlebt.

Auf der anderen Seite der Straße, hinter einem Hügel, vom Dorf nicht einsehbar, lag unsere Restkompanie. Man teilte uns mit, dass wir auch dahin kommen sollten. Dazu mussten wir den Abhang runter und die Strasse überqueren, die voll von den Russen im Dorf einsehbar war. Zu allem Überfluss war da ein dichtes Gestrüpp (Hecke) vom Hohlweg aus, das nach unten mit Anlauf übersprungen werden mute (inkl. Gepäck!!). Alle kamen auch ohne getroffen zu werden gut rüber. Ich blieb beim Sprung in der Heckenkrone hängen und zappelte da oben wie ein Ertrinkender rum. Ich sah auch von da oben ein russisches MG-Nest etwa auf halber Strecke zwischen Dorf und uns. Glück für mich, die Russen waren alle tot. Nach vielem Zappeln kam ich dann doch frei. Solche Erlebnisse vergisst man nicht.

Unten bei der Kompanie hiess es dann, wir sollten bald das Dorf angreifen. Auch diese Zeit davor bleibt unvergessen. Das sind schlimme Stunden und Minuten vor einem Angriff. Das Warten ist nervtötend. Das Dorf einzunehmen war dann gar nicht so schwierig, wie vermutet. Wir hatten allerdings viel Schwierigkeiten mit unserer Gewehrmunition. Es waren lacküberzogene Eisenpatronenhülsen und die klebten nach einem Schuss immer einen kurzen Augenblick im Gewehrlauf fest. Das war nicht gerade beruhigend. Im Dorf durchkämmten wir dann alle Häuser, Scheunen usw. Auf der Strasse lag ein toter russischer Offizier mit gespaltenem Schädel. Dem nahm ich die Pistole ab. Da kam ein deutscher Wehrmachtsoffizier auf mich zu und verlangte die Pistole. Ich hatte auch so genug zu schleppen. In den Häusern war sehr viel geplündert worden. Ein Russe wurde noch von einem anderen Zug bei einem Überfall und der Misshandlung einer Frau erwischt. Den hat man gleich erschossen.

Ich hätte beinahe eine deutsche Frau erschossen. Aus einer von aussen verriegelten Kellertür sah ich, wie jemand durch ein Loch in der Tür von innen auf mich zielte. Ich habe sofort geschossen. Gott sei Dank daneben, denn es war eine Frau mit einem Stück Rohr, die sich nur bemerkbar machen wollte.

Die erzählte uns, dass der Russe auch einige Frauen mitgenommen hätte. Ich selbst bin einem Russen im Gefecht nie so nah gewesen, dass ich das Weisse in den Augen hätte sehen können. Auf so einen dann schiessen zu müssen, hätte mich wohl doch einige Überwindung gekostet. Aber die ständig sich überschlagenden Ereignisse, als auch neue Eindrücke, liessen uns nicht viel Zeit zum Nachdenken. Wir haben uns auch bald wieder aus dem Dorf zurück gezogen.

________________________________________________

Die Russen waren nicht aufzuhalten gewesen und unser Haufen wurde immer kleiner. Nach dem Absetzen versammelten wir uns meistens zum Zählen. Einmal weiss ich, fehlte einer aus unserem Nachbarschützenloch. Unser Zugführer meinte, dass wir versäumt hätten, den Befehl zum Absetzen weitezugeben, wir waren mit unseren Löchern auf Rufweite auseinander. Na ja, ich bekam den Befehl, Kamerad X zu holen. Vielleicht war er eingeschlafen in seinem Loch. Alleine zurück ohne zu wissen, ob der Russe schon da ist ! Und das im Halbdunkeln. Als ich angekommen war, entdeckte ich, dass Kamerad X tot war. Als es hell wurde, sah ich, das das Gewehr rot vom Blut war.

Ein anderes Erlebnis. Einer unserer Gruppenführer (Fahnenjunker), ohne Auszeichnung, unterhielt sich mit unserem Zugführer (Die waren miteinander befreundet). Der Zugführer war hochdekoriert! Der Zugführer über-gab dem Junker einen Brief und sagte: "Ich glaube nicht, dass ich hier herauskomme. Wenn ich falle, gib bitte diesen Brief meiner Verlobten". Aber ich hörte weiter, dass der Junker zu gerne das EK 1 mit nach Hause gebracht hätte. Da durfte der Junker sich dann Freiwillige für eine Art Spähtrupp aussuchen. Davon waren, als er zurück kam, mehr tot, als er gefangene Russen mitbrachte. Ob er dafür das EK 1 bekam, kan ich nicht sagen. Das ich dieses Gespräch mitbekommen hatte, war beiden sicher höchst peinlich. Leider, leider weiss ich die Namen der beiden auch nicht mehr.

Ich habe sehr viele Daten und Orte vergessen. Diese konnte ich aber von meinem ehemaligen Kriegkameraden Harald Koopmann aus seinem exakt geführten Tagebuch entnehmen, das er trotz Krieg und Gefangenschaft mit nach Hause durchbringen konnte. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Sicher hatten viele Soldaten ähnliche Erlebnisse. Aber da wir zu der Zeit erst 15 und 16 Jahre alt waren, wollte ich das schon immer festgehalten haben. Leider weiss ich den Namen meines Kameraden, der mit mir in dem Schützenloch lag, auch nicht mehr.

Da lagen wir zu zweit in dem Loch, welches Küche, Klo und Schlafzimmer war. Ständig unter Beschuss von Scharfschützen und MG mit Explosionsmunition. Einmal schoss sich ein Granatwerfer auf unser Loch ein. Drei Schuss auf uns. Rechts, links und 2 m hinter unserem Loch. Der nächste hätte uns treffen müssen. Aber es kam keiner mehr. Sterben ging schnell zu der Zeit.

Ich hatte mal mein Kochgeschirr auf die Lochkante gestellt. Es machte nur kurz "peng" und weg war es. Unmittelbar vor unserem Schützenloch ist auch unser Spiess gefallen. Man munkelte aber bei uns, dass er versehentlich von eigenen Leuten erschossen worden sei. Er hat sich angeblich mit offenem Mantel und ohne Kennwort nachts auf die Löcher zubewegt. So ähnlich liefen auch die Russen voran.

Wir müssen wohl ganz schön verdreckt gewesen sein, denn an Waschen und Wäschewechsel war nicht zu denken. Ich träumte in meinem Schützenloch oft davon, einmal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen. Ich wollte, weiss ich noch ganz genau, immer einmal gerne wieder das Geräusch einer bestimmten Tür von zu Hause hören.

Dann hiess es mal wieder nachts, "wenn eine grüne Leuchtkugel erscheint: Rückmarsch!" Es wurden viele Leuchtkugeln abgeschossen in dieser Nacht, aber eine grüne haben wir nicht gesehen. Es wurde schon wieder hell und noch immer gab es keinen Befehl zum Abrücken. Die Russen schossen aber auch nicht mehr. So verhielten wir uns ruhig bis zum Abend. Dann merkten wir, dass alle links und rechts von unserem Zug abgerückt waren. Wir hatten glücklicherweise einen erfahrenen Zugführer. 20, vielleicht 30 Soldaten mögen wir gewesen sein. Wir konnten die Russen rechts unten, vielleicht zwei Kilometer weg, mit ihrem LKW fahren hören. Die dachten wohl, dass wir alle weg waren, sonst wäre es uns wohl dreckig ergangen.

So sammelten wir uns um unseren Zugführer und marschierten auf Schleichwegen (nie auf Strassen) los. Wie uns wohl zumute war: Aber das Vertrauen in unseren Zugführer war gross. Wir mussten ja auch Ortschaften, offenes Gelände usw. umgehen. Wir sind ohne Kompass, Karte oder anderen Hilfsmitteln marschiert. Irgendwann stellten wir aus irgendeinen Grund mit einem riesigen Schrecken fest, dass wir uns hinter den russischen Linien befanden. Wir waren also genau in die verkehrte Richtung gelaufen. Es könnte zwei Tage vorher gewesen sein, dass wir da falsch marschiert sind. Der Magen hing uns in der Kniekehle. Aber die Angst entdeckt zu werden, trieb uns voran. Ich weiss nicht mehr, wie lange wir gebraucht haben, aber wir hatten es tatsächlich geschafft mit Gewaltmärschen und ohne Essen durch die russischen Linien zu kommen. Wahrscheinlich hatte der Russe sich auf den Strassen gesammelt, um weiter zu marschieren, und wir sind mit unheimlichen Glück durch die Lücke durchgekommen. Wenn wir versucht hätten, durch eine kämpfende Einheit oder Front zu kommen, wären wir wohl entdeckt worden.

So kamen wir dann erst mal in ein Niemandsland hinein, denn die deutschen Truppen hatten sich wohl schon weiter abgesetzt. Da kamen wir dann in eine Stadt rein, die total verlassen und dunkel war. Wir zogen nun los, um Verpflegung zu ergattern. Tatsächlich fanden wir ein grosses Verpflegungslager der Wehrmacht. Es wurde von einem Soldaten (vielleicht auch Offizier) bewacht. Der hatte sich die Adler Schulterstücke schon alles runtergetrennt. Der Haken war nur, dieser Mann wollte nichts an uns herausrücken. Unser Zugführer sagte: "Jungs, Ihr geht mal bis zur nächsten Ecke". Dann krachte ein Schuss, und das Verpflegungslager stand uns zur Verfügung.

Unser Zugführer hat uns nie erzählt, dass er den Mann erschossen hatte. Wir haben dann gegessen, was nur hineinging. Ich hatte Schmalz mit Händen gegessen. Durchfall und Magenverstimmung waren garantiert.

Dann ging es nach kurzer Zeit und voll bepackt auch schon wieder weiter. Wie lange wir brauchten, weiss ich nicht, aber wir fanden bei all diesem Durcheinander tatsächlich unsere Einheit - oder was davon übrig war - wieder. Nach dem Tagebuch von Harald Koopmann waren es ca. 16 Mann. Mit uns zusammen war es wohl knapp eine Zugstärke. Dieses muss ca. Ende April 1945 gewesen sein. Wir mussten noch einige dramatische Gefechte durchstehen. Man hatte uns auch neu aufgeteilt. Aus mehreren ehemaligen Kompanien wurde eine gemacht.

Verwundete blieben mitunter einfach liegen. Einen aus unserer Gruppe mit total zerfetzten Bein, hatten wir schon eine ganze Weile getragen. Da sahen wir, als wir uns nach hinten schauten, etwa zwei Kilometer entfernt über einen Weinberg schon russische Soldaten kommen. Es fuhr ein Wehrmachtsoffizier vorbei. Den hielten wir an und fragten, ob er nicht den Verwundeten mitnehmen konnte. Er verneinte aus irgend einen vagen Grund. Wir mussten diesen Jungen, vielleicht nicht einmal 16 Jahre alt, auf Befehl unseres Zugführeres liegen lassen. Der Zugführer, erinnere ich mich, gab dem Jungen seine eigene Pistole.

(Alles Wahnsinn)

Aber zu der Zeit hatte man gar keine Zeit, viel nach-zudenken. Dann war es auch höchste Eile, dass wir da verschwanden. Dieses passierte in der Nähe von Zneim (Zuojmo). Wir marschierten in der Kolonne und wurden von LKW und Pferdefuhrwerken des Trosses laufend überholt. Wir zu Fuss waren alle restlos fertig.

Einige, ich auch, schliefen sogar beim marschieren fest ein. Ich fragte den Zugführer, ob ich und noch vier Mann mit dem Panjewagen ein Stück voraus fahren dürften. Das wurde uns unter der Bedingung erlaubt, im nächsten Dorf auf unsere Einheit zu warten. Das taten wir dann auch.

Es wurde Abend und langsam dunkel, aber unsere Einheit kam nicht. Es war unheimlich diese Ungewissheit. Das Dorf war auch restlos verlassen. Wir holten uns aus einem Haus einen Küchenwecker und schoben am Dorfeingang Wache. Es war noch dunkel, da hörten wir Panzergeräusche. Unsere Nerven waren zum Zerreissen gespannt. Wir liessen den ersten Panzer vorbei. Beim zweiten waren wir sicher, dass es deutsche Panzer waren, beim dritten machten wir uns dann bemerkbar. Der hielt dann glücklicherweise an und nahm uns mit. Es waren Königstiger, riesige Kolosse.

Erstmal war es schön warm durch die Motorwärme, und wir konnten uns auf dem glühenden Auspuff Bratkartoffeln machen. Die Panzerbesatzung erzählte uns, dass der Russe alles eingekesselt hatte. Bei unserer Fahrt vorher mit dem Panjewagen kam ich auch an Harald Koopmann vorbei und sagte zu ihm: "Komm doch mit bis zum nächsten Dorf!" Aber er wollte nicht. So wurde er auch eingekesselt und kam in Gefangenschaft. Wir fuhren mit den Panzern immer weiter in Richtung Westen.

Auf diesem Weg mit den Panzern konnten wir erleben, dass die russischen Flugzeuge beim Angriff auf die Rückzugdrecks (Pferdefuhrwerke, LKW und viele Menschen) ganze Arbeit geleistet hatten. Es waren auch viele Flüchtlinge dabei. Es brannte noch in dieser kilometerlangen Kolonne. Der Geruch von verbrannten Menschen und Pferden hatte ich noch zwei Jahre nach Kriegsende in der Nase. Die Panzer mussten nach und nach gesprengt werden, weil der Sprit alle war. So fuhren dann alle Mannschaften zuletzt auf einem Panzer. Das wurde natürlich eng. In einem voll mit Wehrmacht besetzten Dorf mussten wir dann auch runter. Irgendwie konnten wir uns dann auch Marschbefehle beschaffen. Ohne diese wurde man an dem nächsten Baum aufgehängt, wenn einen die Feldgendarmerie erwischte.

Solchen Aufgehängten waren wir auf unserem Weg schon genügend begegnet. Irgendwie kam ich dann mit mehreren Soldaten auf einem LKW mit. Es mussten immer mehrere Soldaten zusammen sein, denn wer Tschechen in die Hände fiel oder den freigelassenen ehemaligen KZ-Häftlingen hatte nichts zu lachen. Diese liessen dann ihre aufgestaute Wut an den Leuten aus.

Einen Marschbefehl, weiss ich noch, bekamen wir in einer Stadt, wo auch eine hübsche Burg gelegen war. Dort feierten eine Menge auch hoher Offiziere, eine wahre Alkoholorgie. Einer hatte wohl Mitleid mit uns, obwohl wir zur SS gehörten, und stellte uns den lebenswichtigen Marschbefehl aus. In einer offenen Scheune war ein langer Tisch aufgestellt. Auf diesem Tisch tanzten Frauen, urinierten sogar in Sektgläser.

So etwas Wildes habe ich in meinem ganzen Leben nicht wieder gesehen. Wir waren wohl richtig geschockt. Wir waren ja auch noch so jung und nicht mal richtig aufgeklärt. Wir sind auch bald nach diesem Burgbesuch weiter nach Westen gefahren. Irgendwie kamen wir nach mehreren Abenteuern, die ich im Detail nicht mehr im Kopf habe, in der Nähe von Kamp zum Amerikaner.

Dort mussten wir an so einem LKW vorbeifahren und unsere Waffen auf diesen werfen. Ich warf mein Gewehr drauf. Aber in meinem jugendlichen Leichtsinn behielt ich meine 08 Pistole in meinem Brotbeutel bei mir. Das war eigentlich tödlicher Leichtsinn. Meine vier Kameraden hatte ich schon vorher aus den Augen verloren. Es war ein grosses Lager im Freien. Meine SS-Runen usw. hatte ich schon vor der Gefangenschaft abgetrennt.

_________________________________________

Flucht aus dem Lager

Im Lager kam die Parole auf, dass das Lager geschlossen den Russen übergeben werden sollte. Da habe ich meine Siebensachen unter den Arm genommen und bin aus dem noch schwach bewachten Lager rausgeschlichen. Dabei lernte ich einen Niederländer und einen Hamburger kennen, die dieselbe Absicht hatten. Wir sind nachher nur nachts marschiert. Abends versuchten wir, etwas zu Essen bei den Bauern zu ergattern. Das klappte auch meistens ganz gut.

Ich hatte zu allem Überfluss auch noch so eine Art Ruhr. Wenn die beiden Landser nicht gewesen wären, wäre ich wohl elendig umgekommen. Auch die Angst, in den Wäldern von freigelassenen KZ Häftlingen erwischt zu werden, war gross. Weshalb und warum, begriff ich erst später.

Uns dreien ging das zu Fuss gehen mittlerweile zu langsam. Da sahen wir vom Berg aus vor einem Bauernhof einige Pferde weiden. Wir haben uns nicht lange besonnen und uns drei Pferde von der Weide geklaut. Es waren zwei russische Panjepferde und ein deutsches Reitpferd. Gott sei Dank hatten alle drei Pferde Mundstücke und Zügel, aber keine Sättel. Ich hatte noch nie auf einem Pferd gesessen. Die beiden anderen Landser hatten da schoneinige Erfahrung. Der Niederländer und ich nahmen uns die beiden Panjepferde. Das Schlimmste war, wenn der Niederländer mal mit seinem Pferd ein Trab vorlegte, dann wollte mein Pferd gleich immer hinterher.

Weiter auf gestohlenen Pferden

Die beiden Panjepferde sind wohl längere Zeit ein Gespann gewesen. Es dauerte so seine Zeit, bis wir beide uns einig wurden. Wir ritten meistens am Tag oberhalb der Verkehrswege. Denn der Amerikaner war schon oft unten auf den Strassen zu sehen. Wir wollten weiter nach Westen. Zusammen sind wir ca. 200 km geritten. Abends machten wir meistens für die Nacht bei Bauern Rast. Die Gegend war voll von Flüchtlingen, die meistens bei den Bauern unterkamen. Mein Hintern war so wund geritten, dass ich noch knapp laufen konnte. Aber meine beiden Kameraden hatten mich immer rührend versorgt. Im Stall hiess es immer: ?Hosen runter!? Ein Eimer Wasser hinten drauf und ein paar Händevoll Mehl (selten knappes Puder) hinterher. Mittlerweile hatten wir uns Wolldecken als Reitsättel zurecht gemacht. Zusammengebundene Lederriemen dienten als Steigbügel. Das war schon mal eine grosse Erleichterung. Es rutschte natürlich ein bisschen hin und her.

Meine beiden Freunde waren in der Nacht meistens bei irgendwelchen Frauen. Ich musste immer schön brav in der Scheune schlafen, bis die beiden wiederkamen. Am frühen Morgen ging es wieder in die Berge. Ich hatte immer noch meinen Durchfall und musste oft Halt machen. Meine beiden Freunde haben immer gewartet. Alleine hätten sie es wohl auch leichter gehabt. Einmal haben wir einen ganzen Tag Pause gemacht, denn unsere treuen Pferde brauchten auch mal eine längere Pause. Meine Freunde hatten mich bei einer jungen Frau untergebracht. Diese wollte gerne, wenn ich wollte, dass ich bei ihr bliebe, bis sich alles normalisiert hätte. Aber abends ging sie zu irgendeinem Amerikaner, die in der Nähe stationiert waren. Da ging ich doch lieber mit meinen Freunden weiter. Die beiden hatten das Bleiben bei dieser Frau eingefädelt.

"Räuberzivil"

Auf unserem Ritt trafen wir auch viele andere Landser, die sich wie wir schon Räuberzivil besorgt hatten. Da gab es Typen mit grossem Einfallsreichtum, um sicher weiter nach Westen zukommen. Bei einer Rast auf einem Bauernhof lernten wir so einen kennen. Der hatte sich irgendwie einen Leiterwagen beschafft. Das Pferd dazu hat er wohl auch nicht geschenkt bekommen. Aber so konnte er ganz frech die Strassen benutzen. Die Amis, die vorbeifuhren, grüsste er immer. Die dachten wohl, dass ist einer von irgendeinem Bauernhof in der Nähe. Er sagte uns, dass er sogar von der amerikanischen Militärpolizei, die auf Kreuzungen stand, eingewiesen wurde. Wir mussten uns aber weiter in den Bergen fortbewegen. Wir stiessen einmal auf eine Gruppe Landser mit fast 50 Pferden. Diesen schlossen wir uns kurz an. Ein Offizier führte diesen Haufen an. Der kannte viele Schleichwege. So ein Haufen von 50 Pferden und Reitern war schon imponierend, aber auch höchst riskant.

Wir haben uns bald wieder in kleinen Gruppen getrennt. Irgendwann später machten wir in einem kleinen Dorf Rast bei einem größeren Bauern. Dieser Bauer hat für uns den Tisch reichlich decken lassen. Vom Ami weit und breit nichts zu sehen. Das Risiko erwischt zu werden, wurde aber immer grösser. Wir entschlossen uns, dem Bauern die Pferde gegen Gebot zu verkaufen. Wir bekamen einen geräucherten Schinken und mehrere hundert Zigaretten. Ich glaube, dass ich Tränen in den Augen hatte als ich Abschied von meinem treuen Pferd nehmen musste.

"Mit einem Mal war der Ami auf dem Hof"

Mit einem Mal war der Ami auf dem Hof und wollte uns gefangennehmen. In der Zeit, als wir beim Essen waren, hatte der Bauer sich durch die Hintertür auf die Socken gemacht und beim Ami Bescheid gesagt, dass da drei Soldaten bei ihm auf dem Hof sind. Es waren nur ein paar Amis im Dorf. Meine Pistole hatte ich schon länger nicht mehr. Wehren wollten wir uns sowieso nicht. Die Amis nahmen uns dann bis zu dem Haus mit, wo sie sich einquartiert hatten. Wir drei mussten uns dann auf der Strassenseite des Hauses hinsetzen und der Dinge harren. Die Amis gingen dann erst mal rein und haben sage und schreibe erst mal Mittag gegessen. Wir sassen ganz ohne Bewachung draussen.

Aber auszurücken wagten wir auch nicht. Wenn ich hätte englisch sprechen können, hätte ich glatt gefragt, ob ich noch mal zum Hof zurückgehen könnte, um etwas Vergessenes zu holen. Ich hätte den Bauern zu gerne eine Weile mit der Mistgabel bearbeitet. Denn das war einfach zu viel für mich. Essen geben, Pferde abkaufen und uns dann verraten und sich so einen Namen machen wollen. Der Ami, auch später in Gefangenschaft, hat auf solche Typen nie richtig reagiert oder diese für voll genommen.

In meiner Dummheit und Angst hatte ich mein Wehrmachtssoldbuch weggeworfen. Denn da war ja auf irgendeiner Innenseite der Stempel der SS-Einheit drin, zu der man uns ja gegen unseren Willen eingezogen hatte. Es war ja bekannt, dass man mit Angehörigen der SS nicht zart umging. Meine Freunde und ich blieben aber noch zusammen. Dann kamen wir in ein Sammellager. Im Gefangenenlager wurden wir erstmal sortiert, Arme hoch und nach tätowierten Blutgruppen gesucht. Diese kamen erst mal rechts raus. So wurde ich von meinen Freunden und dem Schinken getrennt. Abschneiden oder teilen ohne Messer, die man uns abgenommen hatte, konnten wir nicht. Wir sahen uns leider nie mehr wieder.

_______________________________

Großes SS-Sammellager

Alle von der SS kamen zuerst mal in ein grosses Sammellager (ca. 10 000 Mann) auf eine grosse Wiese. Nichts zum Essen und keine Decken. Nachts war es hundekalt. Unsere Toilette war ein langer Graben mit einem Baumstamm darüber zum Sitzen. Das war eher immer ein Balanceakt, denn man konnte sich ja nirgendwo festhalten. Wir waren auch grösstenteils sehr geschwächt. Das Einzige, was wir hatten, waren Läuse. Da sass ich dann am Tag, wie andere auch, wenn die Sonne schien, und knackte Läuse. Mittlerweile wurden Gruppen eingeteilt mit Kurieren. Denn es sollte Verpflegung geben. Es gab, kaum zu glauben, für 100 Mann eine Dose Rindfleisch und für 50 Mann ein Brot. Da halfen mir meine Zigaretten viel, denn ich konnte hier und da mal ein kleines Stück Brot eintauschen.

Die Einwohner des nahegelegenen Ortes (leider den Namen vergessen) warfen auch schon mal Brot zu uns herüber. Das war für uns mehr als ein Geschenk des Himmels. Dieses Brot wurde auch nach strengen Regeln verteilt. Es wurden auch fast die Krümel gezählt. Wie viele gestorben sind, weiss ich nicht. Mancher musste auch aus unserem Latrinengraben geholt werden. Es muss ja für den Ami wohl schwer gewesen sein, plötzlich so viele Gefangene zu versorgen. Aber da alle von der SS waren, hat er sich wohl mit der Versorgung nicht überschlagen.

Dieses Lager hat mehrere Wochen gedauert. Einmal kam ein Amerikaner und suchte über 1000 Freiwillige, die einen Stechschritt marschieren konnten. Der Ami wollte mal gerne so etwas filmen. Für die Beteiligten sollte es Sonderverpflegung und Zigaretten geben. Er bekam seine Freiwilligen und konnte filmen.

Ein deutscher höherer Offizier wollte mir mal befehlen, vor einer amerikanischen Baracke zu harken. Ich war aber einfach zu matt und verweigerte dieses. Da bekam ich eine kraftige Ohrfeige von diesem Offizier. Da standen dann viele Mitgefangene auf und nahmen eine drohende Haltung diesem Mann gegenüber ein. Gott sei Dank lief alles ruhig ab, denn der Ami hätte glatt mit seinem MG dazwischen gefunkt.

Verlegung in das Lager nach Plattlingen

Nach gut zehn Wochen kamen wir in mehrere, verschiedene andere Lager. Ich kam auf einen ehemaligen Flugplatz. Da wurde von uns dann ein einem ehemaligen Hangar auf halber Höhe der Halle ein Fussboden eingezogen. Da wurden wir dann untergebracht. Läuse waren durch Entlausung auch weg. Die Verpflegung wurde auch etwas besser. Leider habe ich auch den Namen des Flugplatzes vergessen. Wir haben auch da noch auf dem Fussboden schlafen müssen. Wir, die auf dem Zwischendeck schliefen, hatten es nachts ein bisschen wärmer. Wir wurden dann nach kurzer Zeit nochmals auf andere Lager verteilt. Ich kam nach Plattlingen. Zuerst in Zelte von unseren eigenen Planen, die wir noch hatten. Eine Dreiecksplane gehörte mal zu unserer alten Ausrüstung. Wenn sich vier zusammentaten, ergab es ein Zelt für vier Personen - war aber sehr eng. Aber wir hatten wenigstens ein Dach über den Kopf. Bei Regen war es schon schlechter, denn die Planen hielten ja nicht dicht. Die Verpflegung war auch sehr knapp bemessen. Butter war so gross wie ein Zuckerwürfel (pro Tag ). Jeden Tag wurde zur Arbeit marschiert, vorne weg die Offiziere. Die hatten es am besten, denn da konnte man die Kippen der weggeworfenen Zigaretten der Amis einsammeln. Bald kam auch eine Beschwerde der anderen Soldaten an den Kommandanten des Lagers, man möchte auch mal andere vorne marschieren lassen. Dies wurde aber nicht geändert.

Neben mir stand beim Antreten oft ein Österreicher. Der hatte eine Sicherheitsnadel, mit der spiesste er die gefundenen Kippen auf und konnte diese so fast bis auf zwei Millimeter zu Ende rauchen. Dieser Österreicher sammelte auch in den Mülleimern der amerikanischen Küche leere Lebensmitteldosen und kochte diese mit Wasser aus zu einer fürchterlichen Brühe. Aber der Magen hatte wenigstens etwas zu tun.

Wir bauten hier ein riesiges Barakkenlager mit zwei- und dreistöckigen Betten auf. Später zogen wir da selbst rein. Es waren immer grosse Blocks für rund 1000 Mann. Zehn solcher Blocks wurden gebaut. Jeder Block hoch mit Stacheldraht eingezäumt. Diese Blocks hatten eine Grösse von 100 x 100 Meter. Ich arbeitete meistens beim Fussbodenverlegen. Wir legten Holzfussboden. Das war auch nicht so anstrengend. Auch stand der Posten nicht immer daneben.

Betten zusammenbauen

Ich habe auch mal mit dem Österreicher beim Betten zusammenbauen gearbeitet. Das war ein harter Job. Denn wenn so ein Bett fertig war, musste es im Dauerlauf mit 4 Mann zu einer Sammelstelle getragen werden. Wenn der Posten nicht guckte, sagte ich immer: "Lauf doch mal ein bisschen langsamer!" Aber mein Österreicher hatte immer die Hosen voll und trieb uns mit an. Der Ami schoss schon mal, wenn es zu langsam ging, eine Salve über uns weg. Die Bewacher des Bettenkommandos waren meist jüdischer Herkunft. Es war ein ganzer Teil der Bewacher dabei, die Angehörige im KZ verloren hatten. Meistens aus Polen, Deutschland oder Frankreich. Das bekam man aber erst nach und nach zu wissen. Richtige Vorstellungen von einem KZ hatte ich sowieso nicht.

Die ersten Bilder des Greuels bekam ich bei diesem Bettenkommando zu sehen. Ich wurde da von zwei Bewachern gerufen die auf so einem zweistöckigen Bett sassen. Als ich vor ihnen stand, zeigte mir der eine neue Illustrierte, die voll von grausamen Bildern aus einem befreiten KZ war. Seine Eltern waren auch in Polen umgekommen. Wohl war mir nicht dabei.

Der andere Ami neben ihm verhielt sich sehr zurückhaltend. Dann holte mit einem Mal der wütende Ami mit dem Fuss aus und wollte mir mit seinem grossen Stiefeln ins Gesicht treten. Dieses hat der andere Ami in letzter Sekunde verhindert. Ob ich da wohl froh war?

Zigaretten aus dem Mund schießen

Mit meinen 16 Jahren sah ich wohl mehr wie ein Kind als ein Mann aus. Ich wurde dann auch gleich wieder zum Arbeiten geschickt. Wie leichtsinnig man mitunter war, zeigt ein anderes Beispiel. Da hatten wir einmal einen Bewacher, der schoss gern auf Dosen und ähnliches. Von dem wurde ich mal gefragt, ob er mir eine Zigarette aus dem Mund schiessen durfte. Ich willigte in meinem jugendlichen Leichtsinn ein. Er schoss und es ging alles gut. Ich glaube, ich bekam ausser Zigaretten auch Schokolade von ihm. So etwas macht man nur einmal. Später suchte der Ami für seine Kolonne die Leute, die er haben wollte, selber aus.

Ich wurde immer von einem geholt, der den Kraftfahrzeugpark des Bataillones unter sich hatte. Ich wurde von ihm "Sneip" genannt. Morgens wenn er kam und seine Leute holte, sagte er ständig zu mir: "Snipe (Sneip), come on". Ich konnte ja nicht viel englisch. Bei unserer Unterhaltung pfuschte immer ein anderer Gefangener dazwischen und wollte übersetzen. Später erzählte mir der Ami, dass er keine Kinder habe und in Amerika eine grosse Autowerkstatt mit Tankstelle besässe. Ob ich nicht mit ihm nach Amerika kommen wollte. Ich wollte aber endlich mal wieder nach Hause und so wurde aus diesem einmaligen Angebot dann nichts. War vielleicht ein Fehler, wer weiss??

Mittlerweile wurde unser Barackenlager auch bezugsfertig. Das Lager hatte eine breite Strasse in der Mitte. Links und rechts der Strasse waren jeweils fünf Lager zu jeweils 1000 Mann. Das ganze war rund 500 bis 800 Meter lang. Jedes Lager hatte zur Strasse einen eigenen Eingang. Die Strasse war nur zu einer Seite offen und durch ein grosses Haupttor gesichert. Tor und Aussenzaun waren natürlich streng bewacht. Im ersten Lager rechts vom Haupteingang war die deutsche Lagerleitung drin. Ich bekam durch grosses Glück einen Job als so eine Art Bote bei der Lagerleitung. Ich brachte Order und Mitteilungen der Lagerleitung in die verschiedenen anderen Lager. Diese wurden auch erst nach und nach mit Gefangenen aus allen Ecken der amerikanischen Zone gefüllt. Es war auch ein Lager mit Russen da.

10.000 Mann im Lager

Das gesamte Lager, rund 10 000 Mann, waren alles ehemalige SS-Angehörige. Es mögen auch noch andere Nationalitäten da gewesen sein. Ich habe hauptsächlich noch die Russen in meiner Erinnerung. Der Lagerleiter im Rang von einem Oberstleutnant hiess Cäsar (oder Zäsar). Sein Stellvertreter Oberstleutnant Neumann, ein Fahnenjunker, und ich teilten uns einen grösseren Schlafraum. Jeder hatte sein Zwei-Etagenbett. Abgeteilt hatten wir unsere Ecken mit Wolldecken. Wir hatten es uns so richtig gemütlich zurecht gemacht. Ich war natürlich für die Sauberkeit zuständig. Unsere Betten haben wir selber gemacht. Der Lagerleiter Cäsar war ein ehemaliger Rittergutsbesitzer. Im Lager erfreute er sich grosser Beliebtheit.

Sein Vertreter, Neumann, war dagegen ein aalglatter Typ. Von mir wollte er immer einiges in Erfahrung bringen über Cäsar und sein Tun und Lassen wissen. Da musste ich immer sehr vorsichtig sein. Er äusserte sich immer gegenüber dem Fahnenjunker (Namen leider vergessen), dass er eigentlich Kommunist sei. Der Lagerleiter und Vertreter waren schon über 50 Jahre alt. Der Fahnenjunker war ungefähr 24 Jahre alt. Er war Journalist und wollte, wenn er wieder Zuhause war, wieder seinen Beruf ausüben.

Das Zimmer nebenan von uns war auch von einem äusserst interessanten Mann belegt. Der war Leutnant oder Oberleutnant. Seine Funktion in der Lagerleitung war es hauptsächlich, zu dolmetschen. Hier tut es mir besonders leid, dass ich den Namen vergessen habe. Das war so ein richtiger Abenteuertyp und Frauenheld noch dazu, wie sich später herausstellte. Ihm waren an beiden Füssen alle Zehen abgefroren. Wie er mir erzählte, war er früher mal Rollschuhkunstläufer gewesen. Er hatte sich mit einem amerikanischen Offizier angefreundet. Die beiden hatten sich etwas Unglaubliches erlaubt. Das Lager existierte ja schon einige Zeit. Verpflegung, Unterkunft, alles war mittlerweile mehr als sehr gut geworden. Zigaretten gab es auch. Zigaretten wurden unsere Hauptwährung. Durch die Marketender-Zigaretten sank natürlich der Tauschwert dieser Währung.

Die Abenteuer der Offiziere

Nun zu den beiden Offizieren und ihren unglaublichen Abenteuern. Anders kann man das wohl nicht nennen. Da kam eines Abends der amerikanische Offizier, wie sonst auch, mit dem Jeep angefahren und besuchte den SS-Offizier. Nur diesmal sassen bei der Wegfahrt zwei Offiziere in amerikanischen Uniformen im Jeep. Da hatte der Ami tatsächlich für seinen deutschen Freund eine amerikanische Offiziersuniform mitgebracht. So sind sie dann auch nach München gefahren und haben Mädchen aufgerissen.

Ich konnte kaum glauben was ich da gesehen hatte. Das haben die beiden mehrere Male gemacht. Dieser gefährliche Leichtsinn ist glücklicherweise nie entdeckt worden. Auch von deutscher Seite nicht. Für den Ami hätte das wohl den Ausschluss aus der Armee bedeutet oder mehr, wenn man die beiden erwischt hätte. Der Ami war sowieso nicht zimperlich bei der Bestrafung.

Durch meine Arbeit als Bote und Überbringer hatte ich sehr viele Freunde und Bekannte im Lager, aber auch misstrauische Neider. Ich konnte ja mit meinem Ausweis in jedes Lager gehen und Besuche machen. Das war sonst für die anderen streng verboten. Aber immer aus der Lagerleitung zu verschwinden, war auch für mich nicht zu jeder Zeit möglich.

Kriegsverletzte

In einem Lager, wo ich öfters mal war, gab es etwas besonderes Trauriges zu sehen. Da waren drei junge Soldaten, nicht viel älter als ich, die schwer kriegsverletzt waren. So etwas habe ich auch später nie wieder gesehen. Bei zwei von den dreien waren beide Arme und Beine weg. Nur noch der Rumpf und der Kopf waren da. Diese beiden waren trotz ihres Schicksals voll unglaublicher Dinge und Witz. Die beiden waren auch von ihren Kameraden aufopfernd und rührend umsorgt. Die Kameraden hatten auch alle möglichen Hilfsmittel zur Lebenserleichterung für die beiden gebaut. Der Ami nahm sogar regen Anteil an diesen vom Schicksal so hart gebeutelten jungen Menschen.

Wenn diese beiden nicht so enorm gut versorgt gewesen wären, hätte der Ami diese Menschen in ein Krankenhaus gebracht. Wie lange ein Mensch so leben kann, weiss ich nicht. Der Dritte hatte es etwas leichter, weil er noch seine beiden Arme hatte. Für den hatten seine Kameraden so ein Brett mit Rädern gebaut. Damit konnte er sich wenigstens in der Baracke bewegen.

"Dorfgemeinschaft" bei den Russen

Bei den Russen war ich auch immer gerne. Bei denen war es wie in einer richtigen Dorfgemeinschaft. Die hatten sogar einen Pastor da. Der Pastor lebte in dem Lager sogar mit seiner Frau zusammen. Dieses Ehepaar hatte mit einigen anderen auch mal ein Theaterstück einstudiert. Es konnte mit der Erlaubnis der Amis aufgeführt werden. Wir von der Lagerleitung waren bei der Uraufführung dabei. Es mögen 500 Zuschauer dabei gewesen sein. Es war natürlich nur eine bestimmte Anzahl auf einmal erlaubt. Es gab viel Beifall. Aber dann, zum Schluss des Stückes, sang die Frau des Pastors (einzige Frau im Lager) : "…Heimat deine Sterne…". Da flossen Tränen.

Aber als die schöne Russin mit dem Lied zu Ende war, folgte ein Beifall, Geschrei und Getobe, dass der Russin wohl der Angstschweiss ausbrach. Das hörte sich auch beängstigend an.

Das hatte sogar den Ami auf die Beine gebracht. Der kam mit einem Wagen voller Soldaten an, um den vermeintlichen Aufstand niederzuschlagen. Aber er brauchte mit seinen durchgeladenen MPs nicht einzugreifen, als er hörte, was die Ursache war. Das war so ein Erlebnis, was man nicht vergisst !

Bewachung

Das Lager selbst war noch streng bewacht. Bei den Arbeitskommandos war die Bewachung nicht mehr ganz so streng. Es haute aber auch keiner ab, denn erstmal wollten alle ordnungsgemäß mit Papieren entlassen werden, sonst bekamen sie draussen keine Lebensmittelkarten usw. und die vielen anderen Soldaten, die aus den ehemaligen Ostgebieten kamen, wehrten sich halbwegs gegen eine Entlassung, da sie ja kein Zuhause mehr hatten. Das war natürlich ein besonders hartes Schicksal für diese Menschen.

Ich glaube, wenn der Ami mal für ein paar Tage seine Bewachung aufgegeben hätte, wäre keiner getürmt. Denn wir hatten es mittlerweile im Lager besser, als die meisten Menschen ausserhalb des Lagers. Ganz zu schweigen von den Flüchtlingen, die im Lager lebten.

Frauen in das Lager geschmuggelt

Es gibt, wie überall, immer wieder Menschen, die ihre relativ gute Lage übel ausnutzten. So auch dieses fast unglaubliche Erlebnis. Es war mitten in der Nacht, als uns der Ami schwer bewaffnet aus den Betten jagte. Da war folgendes passiert: Die Arbeitskolonnen gingen morgens immer in 10er-Reihen zum Zählen durch das Haupttor zur Arbeit oder zum LKW, wenn weiter entfernt gearbeitet wurde. Dabei hatten es einige bei ihren Jobs fertig gebracht, mehrere Frauen kennen zu lernen. Diesen Frauen, fünf bis zehn, haben sie dann Lageruniformen angezogen und die gleiche Anzahl Landser draussen gelassen. Die Frauen wurden in diesen Zehnerreihen mit untergebracht und so durch das Haupttor mit eingeschleust. Der Ami hatte nichts bemerkt. Am nächsten Morgen sollte dann alles wieder getauscht werden. Ob da Frauen bei waren, die zu ihren Männern wollten, kann ich nicht mehr sagen. Jedenfalls hat dieses wohl irgend jemand den Ami wissen lassen.

Der Ami ist dann in die betreffenden Unterkünfte gestürmt und hat die Frauen, so wie sie waren, aus den Betten geholt. Am Ende der Strasse hat er dann einen Stacheldrahtverhau gespannt. Dahinter mussten alle Frauen, nackt oder mit Hemd bekleidet, verschwinden. Dazu war es auch noch lausig kalt. Was mit den Männern geschah, weiss ich nicht mehr. Das allerschlimmste für die Frauen war, dass am nächsten Morgen alle Männer des gesamten Lagers da vorbei marschieren mussten.

Ich erinnere mich, dass die meisten von den draussen gebliebenen Landsern ins Lager zurückgekommen sind (Strafen unbekannt). Der Ami war natürlich stocksauer. Alle Vergünstigungen für das gesamte Lager sollten gestrichen werden. Unsere deutsche Lagerleitung hat große Anstrengungen unternommen, um alles einigermassen human verlaufen zu lassen. Das Ganze war eine "Dummheit hoch drei". Der Ami wurde natürlich strenger bei den Arbeiten ausserhalb des Lagers. Zu allen Lagern muss ich sagen, dass der Ami uns immer verhört hat, um KZ-Bewacher und andere hohe Funktionäre ausfindig zu machen. Aber die meisten hatten sich wohl mit falschen Papieren eingedeckt und waren in der Masse untergetaucht. Ab und zu erwischten sie aber doch einen.

POW-Uniformen

Wir im Lager hatten schon sehr viel ausgediente Uniformen der Amis an. Es musste groß hinten POW auf dem Rücken stehen. Da waren die Gefangenen sehr erfinderisch: Die Buchstaben wurden meistens mit Zahnpasta geschrieben. Wenn der Ami seine Kontrolle beendet hatte, konnte man die Zahnpasta wunderbar wieder auswaschen.

Weihnachten 1945

Weihnachten 1945 war ich noch in Plattlingen. Da gab es natürlich für die meisten Gefangenen das große Heimweh. Es gab viele, die ihre Angehörigen und ihr Zuhause bereits ein bis zwei Jahre schon nicht mehr gesehen hatten. Das Weihnachtsfest selbst war wunderbar gestaltet. In der Lagerleitung war dieses natürlich besonders schön, weil wir nicht so viele Landser waren und uns alle persönlich kannten. Aber ein Weihnachtslied zu singen, fiel wohl alle wegen eines Kloses im Hals schwer.

Um diese Zeit herum war es wohl auch, als wir zum erstenmal nach Hause schreiben durften. Meine Eltern hatten ja seit Weihnachten 1944 nichts mehr von mir gehört. Wir bekamen spezielles Briefpapier vom Ami geliefert. Da konnte man sogar mit Feder und Wasser drauf schreiben. Wo das Papier feucht wurde, wurde es tintenblau. Zensiert wurde unsere Post auch. Aber unsere Angehörigen bekamen endlich Post von uns. An Silvester habe ich keine Erinnerung mehr. Es war natürlich strengstes Alkoholverbot. Aber ich glaube, unser Nachbar in der Baracke nebenan, der mit dem Ami befreundet war, hatte eine Flasche Schnaps gehabt. Dieser Mann war wirklich ein Lebenskünstler. Er konnte einfach aus jeder Situation das Beste machen.

Verlegung nach Dachau 1946

Etwa Mitte Januar 1946 hieß es, wir kämen in ein anderes Lager. Die Parole ging um, dass Flüchtlinge in dieses Lager kommen sollten. Ob was an dem Gerücht dran war, habe ich nie erfahren. Aber ob das Lager ganz aufgelöst wurde, weiss ich nicht mehr. Ein Teil anderer Kameraden und ich fuhren mit großen dreiachsigen LKWs und verrückten Fahrern zum ehemaligen KZ Dachau. Ganz wohl war uns sicher nicht dabei. Aber es wurde nicht so schlimm, wie wohl einige erwartet hatten.

_____________________________________________

Entlassung aus dem Kriegsgefangenenlager Dachau

Wir waren ca. 1000 Mann, die aus dem Kriegsgefangenenlager Dachau Mitte 1946 in Güterwagen mit nur einem amerikanischen Begleitoffizier Richtung Munster - Lager fuhren. Es war eigentlich die schönste Bahnfahrt in meinem Leben. Den Empfang vom Engländer in Munster-Lager werde ich auch so schnell nicht vergessen. Denn der stand da, mit einer Menge schwer bewaffneter Soldaten und mehreren Panzerwagen. Das war wie ein schlechter Traum. Ob der Ami wohl geschmunzelt hat? Wir gewiss nicht?

Wir wurden zuerst in grosse Nissenhütten geführt. Da mussten wir dann antreten und unser Gepäck vor uns auf den Boden legen. Dann kam ein englischer Offizier mit einen Stock unter dem Arm (üblich beim englischen Militär). Er hatte einen deutschen Wehrmachtsoffizier in seiner Begleitung dabei, in einer grün gefärbten Uniform, auch mit einem Stock unter dem Arm…

"German Service Organisation" im britischen Kriegsgefangenenlager

Die beiden schritten unsere Front ab. Der deutsche Offizier nahm uns fast alle unsere schönen Klamotten ab, samt meine Feldflaschen. Das grüne Personal, ehemalige deutsche Wehrmachtsoldaten, nannte man abgekürzt GSO (German Service Organisation). Der Engländer hatte diese GSO Leute als Fahrer, Wachpersonal (unbewaffnet) und Dolmetscher bei sich beschäftigt.

Ob wir wohl wegen unserer Klamotten Wut im Bauch hatten? Auflehnen wäre uns wohl nicht gut bekommen, und wir wollten ja auch so schnell wie möglich nach Hause. Ein ganzer Teil der Gefangenen hatten schon ihre Angehörigen benachrichtigen können, dass sie im Munster-Lager sind und entlassen werden sollten. Viele Familien waren daher angereist und standen ausserhalb des Zaunes und konnten sich mit ihren Männern und Angehörigen auf diese Weise zum Teil nach jahrelanger Trennung wiedersehen.

Aber dann gab es den grossen Knall. Der Engländer liess bekannt machen, dass alle gesunden und arbeitsfähigen Männer nach England zum Arbeiten abtransportiert werden sollen (meistens im Bergwerk). Diese Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Zur Untersuchung wurden im Freien Tische aufgestellt, wo pro Tisch ein deutscher Arzt die Untersuchungen vornahm.

Als die Nachricht noch nicht bekannt war, waren alle gesund. Aber nach Bekanntgabe der "Englandfahrt" humpelte fast das ganze Lager. Viele haben sich mehr oder weniger schwer verstümmelt, um nach Hause kommen zu können.

Überraschung

Bei dieser Untersuchung traf ich zu unser beider Überraschung meinen Vetter Heinrich Nielsen (auch von Sylt) wieder. Er hat mich auf Anhieb nicht gleich wieder erkannt. Denn es standen ja auch alle unter grosser Anspannung. Mein Vetter wurde wegen seiner Fussverletzung entlassen. Ich wurde, weil ich noch keine 18 Jahre alt war, entlassen. Die Freude darüber kann man nicht beschreiben. Was wirkliche Freude ist, kann man nur durch solche Erlebnisse erfahren.

Wir wurden mit reichlich Verpflegung eingedeckt. Dann ging die Reise los. Erstmal ins Durchgangslager Segeberg. Segeberg war auch Durchgangslager für Flüchtlinge. Dieses Elend, was wir da zu sehen bekamen, war unbeschreiblich. Nicht nur, dass diese Menschen ihr Hab und Gut in der verlorenen Heimat lassen mussten, es waren auch viele die von den Russen schwer misshandelt worden waren. Die unglücklichen Kinderaugen vergisst man auch nicht so leicht.

Wir haben gleich unsere ganze Butter usw. an diese armen Menschen verschenkt. Wir dachten natürlich auch, dass wir bald nach Hause kämen und dann ja alles hätten (Irrtum). Wir machten uns, nach dem wir unsere Papiere fertig hatten, auf den Weg Richtung Niebüll. Heute von Sylt nach Paris zu kommen, ist gewiss einfacher als 1946 von Segeberg nach Niebüll.

"Endlich die Tür von Zuhause"

Auf halben Weg vom Bahnhof nach Hause traf ich, als erstes bekanntes Gesicht, unsere Nachbarin L.G. Nach dreizehn Monaten Gefangenschaft und vier Monaten Militärzeit war es natürlich ein überwältigendes Gefühl, unsere Strasse mit der bekannten Umgebung wieder zu sehen. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass ich nun endlich die Tür von Zuhause hören konnte, an die ich an der Front oft gedacht habe. Das mögen kleine Dinge sein, aber sie können eine grosse Bedeutung haben. Zuhause gab es natürlich das grosse Wiedersehen. Meinen 18. Geburtstag konnte ich zu Hause feiern, obwohl ja alles knapp war.

Nun ging erst mal die ganze Anmelderei los. Ich war ca. 14 Tage zu Hause, da bin ich wieder zur Sylter Inselbahn und habe meine abgebrochene Lehre als Maschinenschlosser weitergemacht. Das war auch ein Erlebnis, die alten, bekannten Gesichter der Gesellen wieder zu sehen. Es war auch wiederum eine komische Situation für mich, denn nun durfte ich in den Pausen nicht rauchen. Die Gesellen wurden alle mit "Sie" angesprochen. Zu Hause musste ich abends pünktlich um 22 Uhr sein. "Aber Lehrjahre sind nun mal keine Herrenjahre" sagt man. Die Lehre bei der Inselbahn hat mir trotzdem Spass gemacht. Leider war die verlorene Zeit durch Militär und Gefangenschaft nicht mehr aufzuholen. Die Prüfung bestand ich trotzdem.

Eines Morgens, ich war schon ungefähr ein Jahr wieder zu Hause und hatte länger geschlafen. Meine Mutter machte sauber. Fenster und Türen standen zum Lüften auf, da knallte meine Zimmertür vom Durchzug mit grosser Wucht zu. Ich hatte wohl auch gerade vom Krieg geträumt. Ich hatte so einen Schreck (Schock) bekommen, dass ein Arzt kommen musste.

Zwischen Wut und Verdrängung

Den Geruch verbrannter Menschen und Pferde hatte ich immer noch zeitweise in der Nase. Aber meine Jugend hat mir viel bei der Verdrängung des Erlebten geholfen. Ich wollte auch kaum mit jemanden über meine Erlebnisse sprechen. Meine Wut auf Uniformen war so gross, dass mir sogar die Bahnbeamten mit ihrer Uniform ein Dorn im Auge waren.

Politisch war die Zeit auch interessant. Bei Wahlveranstaltungen aller Coleur war es immer proppenvoll. Meine Freunde und ich, besuchten fast alle Veranstaltungen aller Parteien. Aber mit der Demokratie umzugehen, mussten wir erst noch lernen.