Übergang
Willi Witte geb. 1929
Möchte meine Erlebnisse als 16 jähriger Soldat durch den Erlebnisbericht eines meiner besten Freunde ergänzen. (Auch einer der Wahnsinnsbefehle im 2. Weltkrieg)
Wie das so im Leben mitunter geht, da kennt man sich seit Jahrzehnten und weiss trotzdem nicht alles voneinander. Wir kennen uns seit Anfang der 50 er Jahre und haben, bis er mein Buch im Oktober 1997 gelesen hatte, nie erwähnungswert über unsere Kriegserlebnisse unterhalten. So wie uns, ist es wohl den meisten Menschen ergangen. (Schlechte Erinnerungen werden gerne verdrängt) Hans Fillbrandt, geb. 1925, hat mir dann über seinen ersten Einsatz als Flieger und seine Vor-geschichte erzählt , ich habe dann durch langes Drängen ihn dazu bewegen können, seine Erlebnisse nieder zu schreiben.
Ich selbst habe nie gewusst, das es deutsche Kamikaze ähnliche Flieger (Todessflieger) gab. Rammjäger war wohl in Deutschland bekannt, und Kamikaze bei den Japanern. Die beluden sich mit Sprengstoff und stürzten sich mit ihren Flugzeugen auf den Gegner. Bei der deutschen Luftwaffe nannten sich diese Einsätze, "Totaleinsatz". Es ist ein ganzer Teil dieser Sprengstoffbeladenen Flugzeuge zum Einsatz gekommen. Mein Freund hatte Glück, das er nicht zum Einsatz kam, weil nicht genügend Maschinen vorhanden waren. Aber so kamen viele andere Piloten ohne Infanterie-ausbildung an die Ostfront. Aber lesen Sie selbst seinen eindrucksvollen Erlebnisbericht.
Willi Witte
Vom Piloten zum Infanteristen. (1942)
Hans Fillbrandt geb. 1925
Ich war gerade 17 Jahre alt. Bin in einer Kleinstadt mit 3000 Einwohnern in der Nähe von Danzig aufgewachsen. Wir lebten wie in einer Dorfgemeinschaft. Wir kannten uns fast alle. Der Krieg nahm immer mehr an Härte und Brutalität zu. Menschenmateriel wurde an der Kriegsfront verheizt. Die Blüte der Jugend wurde im viel zu frühen Alter im Kampf für das Vaterland gefordert. Der grösste Teil der Jugend wurde zur Infanteri oder Waffen SS einberufen.
An der Zahl der öfters in unserem Ort eintreffenden Vermissten, Verwundeten und Gefallenenmeldungen konnte man sich ein Bild über den äusserst erzwungenen
Kampfeinsatz machen. Die deutsche Wochenschau tat noch einiges dazu bei. Durch Gespäche mit Soldaten (Heimaturlaubern, Vewandten, Brüder) war auch die Vorstellung vorhanden, welche Strapazen und unsagbare Leiden, hauptsächlich die Infanteristen durchzumachen hatten. Es gingen viele Gedanken durch meinen Kopf und ich kam zu dem Entschluss nicht bis zur Einberufung zur Infanteri oder Waffen SS zu warten. Ich meldete mich freiwillig zur Luftwaffe und sah in meinem Wunsch Flugzeugführer zu werden, ein nicht so hartes Los im Vergleich zum Infanteristen.
Nach Prüfungen in der Fliegerannahmestelle Elbing und Königsberg war ich für eine Ausbildung zum Flugzeugführer vorgesehen. Anfang 1943 musste ich noch 3 Monate zum Reichsarbeitsdienst. Nach Ableistung des RAD kehrte ich nach Hause zu meinen Eltern zurück. Zwei Wochen später lag der Einberufungsbefehl zur Luftwaffe vor. Ich war recht froh, das es mit der Einberufung so schnell geschah, denn zu dieser Zeit erging es etlichen, die für die Luftwaffe oder Marine gemustert waren, ganz anders und sahen sich in den Erdkampftruppen wieder.
Nach Einkleidung in Eger wurden wir zum Luftwaffen–Ausbildungs–Regiment nach Frankreich verlegt. Kurze Grundausbildung und Versetzung zum Fluganwärterbatallion Abt. Mante – Rosa im Raum St. Malo Frankreich. Ende 1943 erfolgte die Versetzung zur Flugzeugführerschule A 115 Wels bei Linz. Nach Ausbildung zum Flugzeugführer wurde ich zum Schlachtgeschwader 104 Putow (Pommern) versetzt. Der Aufenthalt in Putow war nur von kurzer Dauer. Benzinmangel für die Flugzeuge war an der Tagesordnung. Eine Staffel (FW 190) kam noch zum Einsatz an det Ostfront.
Mitte Februar 1945 wurde das Schlachtgeschwader 104 mit 1. Gruppe (3Staffeln) 2. Gruppe (3 Staffeln) nach Dänemark Aalborg West verlegt. Hier tat sich nur lange Weile für uns auf. Ein Gammelleben an der sogenannten Butterfront. Essen reichlich, Speck, Eier, Schinken, Torten etc. Konnte man bei den Dänen kaufen. An Geld mangelte es nicht, denn der Wehrsold und die Fliegerzuschläge wurden in dänischen Kronen ausbezahlt.
Im Gegensatz zum reichlichen Essen hatten wir aber kein Flugbenzin um unsere Flugzeuge zu fliegen. Durch Auflösung anderer fliegender Verbände kamen noch Zuversetzungen von Flugzeugführern zum Schlachtgeschwader 104. Die Staffeln (6 an der Zahl) hatten inzwischen je Staffel mehr als 100 Flugzeugführer erreicht.
So konnte es wohl nicht mehr lange weitergehen, zumal ein General (genannt Heldenklau) schon 1944 technisches Personal und allgemeines Truppenpersonal aus fliegenden Verbänden ausgekämmt hatte und diese Luftwaffensoldaten der Fallschirmjägertruppe im Erdeinsatz zugeführt hatte. Der Ausfall dieser Soldaten wurde durch weibliches Personal ersetzt, die in Lehrgängen zu Flugzeugtechnikerinnen und allgemeines Truppenpersonal geschult und eingesetzt wurden. Wir hatten inzwischen so viele Luftwaffenhelferinnen, so das wir schon das Putzlappengeschwader genannt wurden.
Wir brauchten nicht mehr lange auf einen für uns bewegenden, ereignisreichen Tag zu warten. Es wurde befohlen, das alle Flugzeugführer des Geschwaders in der Flugzeughalle anzutreten haben. Wir begaben uns mit sehr gemischten Gefühlen dorthin. Was sollte mit uns geschehen. Die Vermutung, das eine Verlegung mit Flugzeugen nach Deutschland erfolgen könnte, war so gut wie ausgeschlossen, denn wir konnten auf Grund von Benzinmangel die Flugzeuge kaum bewegen. Die Frontlage und das restliche Trümmerfeld Deutschland, liess dieses auch nicht zu. In der Halle waren ca. 1000 Flugzeugführer angetreten.
Es wurde ein geheimer Aufruf des Reichsmarschalls Göring verlesen, der die Flugzeugführer aufforderte, sich für einen entscheidenen geheimen Einsatz freiwillig zu melden, von dem es möglicher Weise kein Zurück geben würde.
Wer sich melden wollte oder nicht melden wollte, hatte ein Formular zu unterschreiben. Freiwillige hatten ein Testament zu machen. Bei dieser Bekanntgabe über ein Selbstopfer Unternehmen hatte wohl jeder mit sich selbst zu kämpfen. Konnte überhaupt zu dieser Stunde, wo die Amerikaner über den Rhein vorgestossen waren, die Russen waren startbereit, um auf Berlin vorzustossen, im Süden war die Front zusammengebrochen, die Deutsche Luftwaffe war fast vernichtet, Industrie und Städte lagen in Schutt und Asche, noch der Mut augebracht werden, sich für einen Totaleinsatz mit Opferung des Lebens zu melden??.
Wer wollte aber als feiger Soldat abgestempelt werden? Der geleistete Eid als Soldat hatte wohl auch seine Berücksichtigung bei den meisten Flugzeugführern gefunden, sich freiwillig zu melden. Ein Kamerad der sich nicht freiwillig melden wollte, sagte zu mir, das er den Tod durch Selbstopferung nicht gegenüber seinen Eltern verantworten könnte. Es war wohl denen bewusst, die sich nicht freiwillig meldeten, das eine Abschiebung zur Infanterie bevorstand.
Inzwischen kamen Parolen auf, das bereits Selbstaufopfer-Kommandos eingesetzt worden waren. Flugzeugführer, die sich mit Sprengstoff beladenen Flugzeugen auf besonders wichtige Ziele zu stürzen hatten und Rammjäger feindliche Bombenflieger zu rammen hatten. Später hat sich erwiesen, das die Parolen der Wahrheit entsprachen.
Wir verblieben weiter in Wartestellung. Ganz überraschend war die Wahrheit durchgesickert, das die für ein Selbstopfer – Unternehmen geforderte hohe Anzahl an Flugzeugen nicht zur Verfügung standen, sondern nur eine geringe Anzahl an Flugzeugen gestellt werden konnte.
Kurz danach kam dann der Befehl an das SG 104 zum Erdeinsatz im Grossraum Berlin. Nun ging es sehr hektisch bei uns zu. Es musste uns erst klar gemacht werden, das wir keine Luftwaffensoldaten mehr seien, sondern Infanteristen. Wir konnten auch nicht für einen Erdeinsatz richtig ausgerüstet werden. Modernes Waffengerät und Material war nicht vorhanden.
Schlechte Bekleidung, abgetragenes Schulzeug wurde ausgegeben. Ganz zu schweigen von der Tatsache das wir im Erdeinsatz ungeübt waren. Am 11.04.1945 verliessen wir mit dem Güterzug (Stärke 1.200 Mann), Aalborg West in Richtung Ostfront. Auf dem Flugplatz Aalborg waren Dänen beschäftigt und so konnte unsere Verlegung nicht geheim bleiben. Der Dänische Widerstand hatte davon Kenntnis bekommen. Es kam zu Sabotageakten an den Gleisanlagen und wir benötigten 3 Tage bis zur deutschen Grenze. 3 Tage Bahnfart dann noch bis in Nähe der Ostfront. (Grossraum Berlin) Das Schlachtgeschwader 104 wurde in Luftwaffen – Regiment 6 umbenannt. Die Führung des Rgt. (1. und 2. Batallion) übernahm ein Oberst von den Fallschirmjägern. Die russische Armee hatte bereits die Offensive auf Berlin begonnen. Wir wurden auch kurzerhand in den Einsatz geschickt um die Russen aufzuhalten. Die Frage war aber, wie wir mit unseren Waffen, (zum Teil Gewehre aus dem 1. Weltkrieg, knapp an Munition, keine Granatwerfer), gegenüber den russischen Panzern und gut ausgerüsteten russischen Infanterieverbänden, stand halten sollten.
Diese Frage beantwortete sich sehr schnell, denn das 1. Batallion (3 Kompanien) wurde innerhalb von 2 Tagen aufgerieben. Das 2. Batallion (3 Komanien) hielt am Pinow – Kanal und Hohenzollern – Kanal, 8 Tage den Russen stand. Nach Rückzug und einen sinnlosen Gegenangriff über flaches, offenes Gelände im Feuer von Artillerie, Flugzeugen und russischer Infanterie, ebenfalls aufgerieben wurde.
Von den 1200 eingesetzten Soldaten sind leider ca. 800 Soldaten, darunter viele junge Flugzeugführer nicht aus dem Krieg zurückgekehrt.
Auf weitere Schilderungen möchte ich verzichten, in Verehrung für den deutschen Infanteristen, der oft Jahre aufs Schwerste zu Leiden hatte.
Schau bitte auch hier: Generationen Projekt - Geschichtsschreibung von unten
Itzehoe, den 16.11.1997
Hans Fillbrandt